Militärausgaben:Die Mär von gleichen Militärausgaben

NATO-Soldaten in Polen

Viele europäische Staaten haben 2016 ihre Rüstungsausgaben erhöht.

(Foto: dpa)
  • Die Nato debattiert darüber, dass jeder Mitgliedstaat zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investierten sollte.
  • Viele Länder verfehlen die Marke, andere geben dafür sogar mehr aus als vereinbart.
  • Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri hat durchgerechnet, was passieren würde, wenn sich alle Partner an die Vorgaben halten würden.

Von Silke Bigalke, Stockholm

In der Nato wird derzeit viel über Zahlen gesprochen. Konkret geht es um die Abmachung, dass jeder Mitgliedstaat zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung investierten sollte. Viele Länder verfehlen die Marke, andere geben dafür sogar mehr aus als vereinbart - doch was wäre, wenn sich alle Partner genau an die Vorgabe hielten? Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri hat das durchgerechnet, um "die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken", sagt Sipri-Forscher Pieter Wezeman.

Das Institut will an diesem Montag seine jährliche Studie über die weltweiten Militärausgaben veröffentlichen, die im Jahr 2016 leicht auf 1686 Milliarden Dollar angestiegen sind - das sind 2,2 Prozent des Bruttoweltprodukts. Und weil es um die zwei Prozent in der Nato zuletzt viele Diskussionen gab, hat Sipri die Zahlen genutzt, um sich das westliche Verteidigungsbündnis genauer anzusehen. Demnach haben im vergangenen Jahr nur vier Mitgliedstaaten die Zwei-Prozent-Marke erreicht: Estland, Frankreich, Griechenland und die USA. Die anderen 23 Staaten blieben darunter - und Island, das kein aktives Militär hat, ist ganz außen vor. Die Zahlen des Instituts weichen leicht von denen der Nato ab, weil es zusätzliche Quellen berücksichtigt.

Militärausgaben 1

SZ-Grafik, Quelle: Sipri

(Foto: SZ)

Trumps Behauptung, Deutschland schulde der Nato Geld, ist nicht richtig

Der Vorwurf, dass manche Staaten ihren Beitrag nicht leisten, ist alt. Im März hat US-Präsident Donald Trump nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington getwittert, dass Deutschland der Nato "riesige Summen Geld" schulde. Das stimmt so zwar nicht. Richtig ist aber, dass alle Mitglieder versprochen haben, bis 2024 auf das Zwei-Prozent-Ziel hinzuarbeiten, und Deutschland derzeit nur etwa 1,2 Prozent investiert.

Sipri rechnet zwei Szenarien durch: Im ersten geht es davon aus, dass sich alle Länder genau an die zwei Prozent halten. In diesem Fall würden die Gesamtausgaben der Nato nicht steigen, sondern sogar um 18 Prozent sinken. Das liegt daran, dass allein die USA dann 240 Milliarden Dollar weniger investieren würden. Sie haben im vergangenen Jahr 3,3 Prozent ihres BIP, das sind 611 Milliarden Dollar, für Rüstung ausgegeben. "In einem realistischeren Szenario würden die USA ihre Ausgaben nicht derart senken", sagt Sipri-Experte Wezeman.

In der zweiten Rechnung bleiben die US-Investitionen deswegen konstant, und nur die Staaten, die unter der Zielmarke liegen, erhöhen ihre entsprechend. Gemeinsam würde die Nato so 962 Milliarden Dollar ausgeben, statt 881 Milliarden im Jahr 2016. Das ist mehr als die gesamte übrige Welt zusammen in Verteidigung investiert - nämlich 57 Prozent der globalen Militärausgaben. Deutschland wäre in diesem Szenario der viertgrößte Militärinvestor der Welt; tatsächlich liegt es mit etwa 41 Milliarden Dollar auf Platz neun.

Militärausgaben 2

SZ- Grafik, Quelle: Siri

(Foto: SZ)

Die USA geben mit großem Abstand am meisten Geld für Verteidigung aus

Pieter Wezeman will nicht kommentieren, ob er die Nato-Vereinbarung für sinnvoll hält. "Man kauft Waffen nicht, nur weil man es kann, sondern weil man einen Grund dafür hat", sagt er. "Unsere Zahlen werfen zumindest die Frage auf, ob zwei Prozent des BIP wirklich notwendig sind." Die Gewichte auf der Welt würden sie nicht verschieben, sondern die aktuelle Verteilung nur stärken. Die USA geben heute mit großem Abstand am meisten Geld für Verteidigung aus, 2016 haben sie mehr als ein Drittel der globalen Rüstungsausgaben allein bestritten. Auf den Plätzen zwei und drei folgen China und Russland.

Viele europäische Staaten haben 2016 ihre Rüstungsausgaben erhöht. "Sie werden dazu vor allem durch ein Gefühl von Bedrohung getrieben", sagt Wezeman - durch Russland, die Situation im Nahen Osten, den Zustrom an Flüchtlingen, den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat, durch "das starke Empfinden einer unsichereren Welt". Am klarsten greifbar ist dabei die Bedrohung durch Russland, vor allem für die angrenzenden baltischen Staaten und Schweden. "Man sollte aber berücksichtigen, dass Russlands militärische Fähigkeiten begrenzt sind", sagt Wezeman. Die Nato-Länder investierten hier gemeinsam deutlich mehr.

Der Trend kommt der westlichen Rüstungsindustrie zugute. "Deren Druck, auch in unzuverlässige Länder zu exportieren, wird ein wenig abnehmen. Sie werden mehr auf dem europäischen Markt loswerden", sagt Wezeman. In den vergangenen Jahren haben die westlichen Staaten eher abgerüstet und der Rest der Welt eher aufgerüstet; 2016 sieht es etwas anders aus. Das "könnte Deutschland helfen, bei seiner restriktiveren Exportpolitik zu bleiben", meint Wezeman. Während Europa mehr investiert, sind die Ausgaben der Erdöl exportierenden Länder wegen des niedrigeren Ölpreises stark gefallen. Das gilt selbst für Länder, die 2016 an bewaffneten Konflikten beteiligt waren. Allein Saudi Arabien hat vergangenes Jahr 30 Prozent weniger in sein Militär investiert als 2015, ist damit aber immer noch viertgrößter Investor der Welt.

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