Süddeutsche Zeitung

Militär:Stresstest

Deutschland hat mit dem Jahreswechsel die Führung über die schnelle Eingreiftruppe der Nato übernommen. Für die Bundeswehr könnte das laut Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen "enorm fordernd" werden.

Von Mike Szymanski, Berlin

Für die Bundeswehr hat mit dem Jahreswechsel ein großer Stresstest begonnen. Am Dienstag hat die Truppe für ein Jahr die Führungsrolle der schnellen Eingreiftruppe der Nato übernommen. Im Militärjargon heißt sie VJTF. Die Abkürzung steht für Very High Readiness Joint Task Force, mitunter wird sie auch als Nato-Speerspitze bezeichnet. Innerhalb von spätestens sieben Tagen sollen die Soldaten samt Ausrüstung überall dorthin verlegt werden können, wo das Militärbündnis sie gerade braucht. Nach Angaben von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) leiste Deutschland mit seinem Engagement einen "herausragenden Beitrag zur Sicherheit des gesamten Bündnisses". Gleichwohl sei die Aufgabe "enorm fordernd" für die Bundeswehr.

Die Kampfbrigade wurde im Zuge der Ukraine-Krise aufgestellt und ist seitdem ein Element der Abschreckungsstrategie gegenüber Russland. 8000 Soldaten umfasst die internationale VJTF-Brigade. Beteiligt sind derzeit neun Länder, darunter Frankreich, die Niederlande und Norwegen. Deutschland stellt mit mehr als 4000 Soldaten das größte Kontingent; die Panzerlehrbrigade 9 aus Munster hat die Aufgabe des Leitverbandes.

Die Bundeswehr muss Ausrüstung und Großgerät für diese Aufgabe zusammenziehen

Die Herausforderung besteht darin, Material und Truppen schnell verlegebereit zu halten, um bei Krisen eine Eskalation durch schnelles Eingreifen nach Möglichkeit noch verhindern zu können. Die schnelle Eingreiftruppe der Nato bindet Kräfte der Bundeswehr immer für einen Zeitraum von drei Jahren, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Um die Last der hohen Bereitschaft zu verteilen, werden die Soldaten für die VJTF-Brigade jedes Jahr von anderen Nationen gestellt. 2018 steuerte Italien den Großteil der Kräfte bei, 2020 wird es Polen sein. 2019 ist das Jahr, in dem die Bundeswehr am stärksten beansprucht wird. Die Brigade findet sich in der höchsten Bereitschaftsstufe. Innerhalb einer Woche muss sie in ein Krisengebiet verlegt werden können. Erste Vorauskräfte müssen bereits innerhalb von 72 Stunden vor Ort sein. Das bedeutet: Material wie Panzer müssen in dieser Phase ständig für den Einsatz vorgehalten werden. Nach Jahren des Sparens an der Bundeswehr kann die Truppe dies aber nur sicherstellen, wenn sie aus ihrem gesamten Bestand Ausrüstung und Großgerät für diese Aufgabe zusammenzieht. Der deutsche Kommandeur der VJTF-Brigade, Brigadegeneral Ullrich Spannuth, sagte am Rande einer Nato-Großübung im Herbst in Norwegen: "Entscheidend ist für mich, dass ich für meine Brigade das habe, was ich brauche, um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich weiß aber eben auch, dass es an anderer Stelle eben deswegen jetzt fehlt."

Für Ministerin von der Leyen zeige dies nur, wie groß der Nachholbedarf innerhalb der Bundeswehr nach wie vor sei und, dass die Modernisierung der Truppe "einen langen Atem" brauche. In der Vergangenheit hatte sie öfter von "hohlen Strukturen" gesprochen, die nun nach und nach wieder aufgefüllt werden müssen. "Dafür arbeiten wir an einem milliardenschweren Personal- und Rüstungspaket, für das ich mich gemeinsam mit dem Parlament einsetze", teilte sie mit. Allein fürs Heer sollen in den kommenden Jahren Milliardenbeträge ausgegeben werden. Mehrere Hundert neue und modernisierte Panzer werden in Dienst gestellt. In Munster, dem größten Standort des Heeres, sollen über 300 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert werden. Für die Digitalisierung der Landstreitkräfte will von der Leyen in den nächsten Jahren mehr als vier Milliarden Euro ausgeben. Das nächste Mal, wenn die Deutschen bei der schnellen Eingreiftruppe die Führungsrolle übernehmen, planmäßig ist dies im Jahr 2023 der Fall, soll eine "hochmodern und komplett ausgestattete Brigade aus eigener Kraft zur Verfügung stehen", erklärte von der Leyen. Die VJTF fungiere auch als "ein wichtiger Schrittmacher für die Modernisierung der Bundeswehr".

In der Opposition sorgte die schlechte Ausstattungslage der Bundeswehr angesichts internationaler Verpflichtungen weiter für Kritik. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Verteidigungspolitikerin der FDP, sagte angesichts der anstehenden Aufgaben: "Wenn die Hälfte bereits erreicht wäre, können wir schon glücklich sein."

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SZ vom 02.01.2019
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