Migroko in Österreich:Wenig Erwartung = wenig Enttäuschung

Austria to form new government

"Lieber Werner, lieber Michael": Der neue-alte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), rechts, und der neue-alte Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) im Wiener Bundeskanzleramt

(Foto: dpa)

Österreichs "mittelgroße Koalition" verständigt sich auf einen bescheidenen Regierungsplan. Statt großer Würfe gibt es umstrittene Personalentscheidungen wie einen 27 Jahre alten Außenminister und einen Anwalt des Kanzlers als Chef des Justizressorts. Viele Wähler winken jetzt schon ab.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die Kommentare über die spröden Details der Koalitionsvereinbarung von SPÖ und ÖVP in Österreich reichten am Freitagmorgen von deprimiert bis empört. "War das alles?", fragte die Kronenzeitung. Von einer "Koalition des Kleingeists" schrieb der Standard, und die Presse stellte lakonisch fest, wer über die Ergebnisse der mehr als zweimonatigen Verhandlungen enttäuscht sei, der habe in den vergangenen Jahren in einem anderen Land gelebt. Nur wer wenig erwarte, so die Botschaft, der werde auch nicht enttäuscht.

Zufrieden gaben sich nur die Parteichefs, die einander mit "lieber Werner" und "lieber Michael" für die Zusammenarbeit der harten Verhandlungswochen dankten. Doch präsentieren mochten Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) der Öffentlichkeit ihr mehr als hundertseitiges Papier erst am Freitagabend, nach Rückversicherung in Bundesländern und Parteigremien.

Aus gutem Grund: Zwar hatte man sich schon am Vortag geeinigt, aber es hatte danach noch einigen Wirbel gegeben, der den Erfolg in Frage stellte. Der ÖVP-Vorstand wütete gegen eine Personalentscheidung, die schon nach draußen gesickert war und dann wieder kassiert werden musste.

Widerstand in der SPÖ

Und im SPÖ-Bundesvorstand gab es sechs Gegenstimmen und einen Rücktritt: Der steirische Landeshauptmann Franz Voves gab aus Protest gegen das Ergebnis sein Amt als stellvertretender Parteivorsitzender ab, auch der Vorarlberger Parteichef sowie der Chef der Sozialistischen Jugend sagten Nein zum Koalitionsvertrag.

Das harte Ringen nach der - für die Regierung wenig erfolgreichen - Parlamentswahl vom 29. September, bei der die SPÖ (27 Prozent) vor dem konservativen Partner (24 Prozent) landete, war zuvor in relativer Heimlichkeit vor sich gegangen. Regelmäßige Wasserstandsmeldungen, wie sie die Verhandler in Deutschland dem interessierten Wahlvolk präsentierten, wurden in Österreich vermieden.

So ist nun ein Endergebnis zu begutachten, dass ebenso stark von den Sozialpartnern, also von Gewerkschaften, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Bauernbund beeinflusst wurde wie von den mächtigen Landeshauptleuten, Pendants der deutschen Ministerpräsidenten. Der Tiroler Günther Platter etwa war noch am Donnerstagabend eilig nach Wien gereist, um einen Tiroler als Landwirtschaftsminister durchzusetzen, sodass der Kärntner Kandidat, der schon gefragt worden war, das Nachsehen hatte.

In der Präambel der Koalitionsvereinbarung heißt es, dass die Partner, die alles in allem schon mehr als 40 Jahre gemeinsam regiert haben, das Land trotz verschiedener Sichtweisen zu "kraftvollen gemeinsamen Ergebnissen führen wollen". Dazu gehören kleinere Reformen in der Rentenpolitik. So soll das faktische Renteneintrittsalter bis 2018 auf 60,1 Jahre steigen - unter anderem durch die Verminderung von Anreizen für Frühpensionen und ein Bonus-Malus-System, mit dem Firmen zur Kasse gebeten werden, die zu wenig ältere Arbeitnehmer beschäftigen.

Die Familienbeihilfe soll leicht angehoben werden, ein zweites, kostenloses Kindergartenjahr eingeführt, Zahnspangen sollen in Zukunft die Kassen zahlen. Das Verbot der Sterbehilfe wird in der Verfassung verankert, das Amtsgeheimnis aufgeweicht.

Große Würfe findet man nicht

Große Würfe findet man nicht in dem Papier: Die Senkung des Eingangssteuersatzes wird wie Teilprivatisierungen von Staatskonzernen noch geprüft, ein Nulldefizit bis 2016 wird angestrebt. Nicht durchsetzen konnten sich die Sozialdemokraten mit Steuererhöhungen für Reiche, die ÖVP kämpfte vergeblich für eine grundlegende Rentenreform. Auf Steuererhöhungen für Neuwagen, Sekt und Tabak konnte man sich aber verständigen - um das Budgetloch von bis zu 30 Milliarden Euro bis 2018 notdürftig zu stopfen.

Umstrittene Personalien

Bundespräsident Heinz Fischer hatte in einem Gespräch mit der SZ angemerkt, vielleicht liege das Problem dieser "Migroko", dieser "mittelgroßen Koalition" darin, dass sich beide Seiten zu gut kennen würden und daher sensible Punkte von vornherein vermieden - in dem Wissen, dass sie der anderen Seite sonst weh tun. Matthias Strolz, Parteichef der Neu-Partei Neos, die es mit 5 Prozent auf Anhieb ins Parlament geschafften hatte, ist weniger verständnisvoll: Hier steuerten zwei Parteien auf ihrer Titanic weiter auf den Eisberg zu, indem sie die "Dringlichkeit grundlegender Reformen" negierten und außerstande seien, Lösungen zu finden. Einzig die jeweilige Klientel der beiden Regierungsparteien werde befriedigt, es fehle "echtes Leadership".

Strolz, der SPÖ und ÖVP die Zusammenarbeit unter anderem in der Bildungspolitik angeboten hatte, plädiert nun für eine "entschlossene Minderheitsregierung". Die Wähler quittieren die Koalitionsverhandlungen laut aktuellen Umfragen so: Würde am kommenden Sonntag erneut gewählt, wäre die rechtspopulistische FPÖ stärkste Partei.

Massive Kritik gibt es auch an einigen Personalentscheidungen der alt-neuen Koalition. Das Wissenschaftsressort wird aufgelöst und ins Wirtschaftsministerium eingegliedert. Nicht nur der bisherige Minister, Karlheinz Töchterle (ÖVP) ist empört: Die Rektorenkonferenz der Universitäten forderte den Bundespräsidenten auf, kein Kabinett ohne Wissenschaftsminister zu vereidigen und zeigte sich "bestürzt über den geringen Stellenwert für Wissenschaft und Universitäten", der hier zum Ausdruck komme. Befremden hat auch die Entscheidung ausgelöst, den parteilosen Rechtsanwalt Wolfgang Brandstetter zum Justizminister zu machen. Dieser hatte nicht nur den in Wien des Mordes angeklagten Kasachen Rachat Alijew verteidigt, sondern auch jüngst Bundeskanzler Faymann, als gegen diesen in der so genannten Inseratenaffäre wegen Untreue ermittelt wurde.

Faymanns Vertrauter, Josef Ostermayer (SPÖ), wird Kanzleramtsminister, was allgemein erwartet worden war - ebenso wie die Entscheidung, den bisherigen Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz zum Außenminister zu machen. Er wird mit 27 Jahren der jüngste Minister sein, den das Land je hatte. Gegen diese Entscheidung hatte es im Vorfeld im diplomatischen Korps Widerstände gegeben; Kurz gilt als zu jung und politisch unerfahren. Eine Überraschung ist die Berufung der parteilosen Meinungsforscherin Sophie Karmasin zur Familien- und Jugendministerin, die nach der Entlassung von Justizministerin Beatrix Karl und Finanzministerin Maria Fekter die Frauenquote heben soll.

Im vergangenen Superwahljahr - Österreich hatte vier Landtagswahlen und eine Nationalratswahl zu bestreiten - hatte es eine intensive öffentliche Debatte über dringend notwendige Reformen bei Verwaltung, Bildung, Rente und Bürgerbeteiligung gegeben. Der dann folgende Wahlkampf war jedoch von den populistischen Thesen der FPÖ und dem Kurzzeit-Politiker und Milliardär Frank Stronach geprägt gewesen. Die Wiederauflage der großen Koalition galt angesichts des Wahlergebnisses allgemein als "alternativlos".

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