Migrationspolitik:Seehofer prallt an der Wiener Wand ab

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  • Österreichs Kanzler Kurz erteilt Seehofers Asylplan eine klare Absage.
  • Seehofer will nun Österreich nicht für Flüchtlinge zuständig machen, für die das Land nicht zuständig sei, sagt er in Wien.
  • Der Innenminister muss nun in Rom und Athen sein Glück versuchen.

Von Peter Münch, Wien

Sebastian Kurz ist kein Mensch mit ausgeprägtem Mienenspiel. Meist schaut Österreichs Bundeskanzler freundlich, doch betont neutral in die Welt. Doch als er nun gemeinsam mit seinem Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem deutschen Innenminister Horst Seehofer nach einem anderthalbstündigen Gespräch im Wiener Kanzleramt vor die Mikrofone tritt, da meint man doch einen Hauch von heiterer Genugtuung zu erkennen in des Kanzlers Mimik. Er bedankt sich für ein "sehr gutes Gespräch". Er freut sich, dass "vieles von dem ausgeräumt werden konnte, was im Raum gestanden hat". Und er verkündet, dass man sich "darauf verständigt hat, dass es keine Maßnahme von deutscher Seite zum Nachteil Österreichs geben wird".

Konkret heißt dies, dass Seehofer in Wien seinen gerade erst in Berlin gefassten Plan beerdigen kann, an der Grenze zum Nachbarland all jene Flüchtlinge nach Österreich zurückzuschicken, die von anderen Ländern, in denen sie ihren Asylantrag gestellt haben, nicht wieder aufgenommen werden. Mit diesem Passus aus dem Reich der Fantasie hatte die Union in ihrem Asylkompromiss die Österreicher gewissermaßen bei Nacht und Nebel überrumpelt. Doch Kurz und Co., die sonst in der Migrationspolitik stets an Seehofers Seite gestanden haben, wollten da nicht mitspielen. Nun steht der deutsche Innenminister doch sehr blass im Wiener Prunk und muss bekennen: "Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die es nicht zuständig ist."

Transitzentren
:Seehofer: Österreich soll nicht leidtragend sein

Der Innenminister gibt sich in Wien versöhnlich: Ins Nachbarland sollen nur die Flüchtlinge zurückgewiesen werden, die auch dort einen Asylantrag gestellt haben. Der Regelfall soll aber anders aussehen.

Doch wenn zwei ihren Streit beigelegt haben, dürfen sich die Dritten und auch die Vierten nicht unbedingt freuen. Das sind in diesem Fall Griechenland und Italien. Dort will Seehofer nun seinen persönlichen Rettungsanker auswerfen und die Regierungen in Rom und Athen zu einer Vereinbarung über die Rücknahme von Asylbewerbern bringen. Die in den neuen deutschen Transitzentren aufgenommenen Migranten sollten von dort aus dann direkt in diese beiden Länder gebracht werden. "Österreich wäre davon nicht betroffen", sagt Seehofer.

Der konsequent verwendete Konjunktiv verrät allerdings, dass er selbst wohl noch nicht vollständig überzeugt ist von einem Erfolg dieser Mission. "Schwierige Gespräche" seien zu erwarten, räumt er ein. Doch immerhin versichert ihm Kurz, dass man in dieser Frage "gemeinsam an einem Strang zieht". Schon nächste Woche wollen sich die Innenminister aus Deutschland, Österreich und Italien in Innsbruck in einer Dreierrunde zusammensetzen, um auszuloten, ob wirklich alle willig sind und wie viel eine solche jüngst beschworene Achse zu tragen vermag. "Ziel ist es, Maßnahmen zu setzen, um die Mittelmeerroute zu sperren", sagt Kurz. Der Druck soll also verlagert werden vom Innern an die EU-Außengrenzen - und damit an die beiden Mittelmeer-Anrainer Italien und Griechenland.

Seehofer, Kurz und Strache gibt das bis auf Weiteres die Gelegenheit, sich wieder als Freunde auszugeben. Wie ernsthaft angespannt das Verhältnis vorher war, konnte man zum Beispiel daran sehen, dass Strache via Bild-Zeitung gepoltert hatte: "Es kann ja nicht sein, dass wir jetzt in Österreich plötzlich für die Fehler der deutschen Politik bestraft werden sollen." Nun preist er nach dem Treffen mit Seehofer das "partnerschaftlich geführte Gespräch".

Weil durch diese Verlagerung Richtung Rom und Athen erst einmal nichts anderes als Zeit gewonnen wird, bleibt das Szenario aktuell, das in den vergangenen Tagen die Debatten bestimmt hatte: Grenzschließungen im Dominosystem von Nord nach Süd. Strache merkt zwar an, "dass es jetzt aktuell nicht notwendig ist, am Brenner vertiefende Maßnahmen zu setzen". Doch Kurz macht deutlich, dass Österreich weiter Vorbereitungen für den Ernstfall trifft.

Das Stichwort lautet: "Schutz der Südgrenze." Kontrollen gibt es ohnehin bereits an den Übergängen nach Ungarn, zur Slowakei und nach Slowenien, wo Österreichs Grenztruppen in der vorigen Woche in einer Großübung ihre Abwehrbereitschaft demonstriert hatten. Der heikelste Punkt aber wird die Grenze Richtung Italien am Brenner sein. Dort verläuft die Haupttransitroute von Nord nach Süd für den Frachtverkehr und den Tourismus. Obwohl die entsprechenden Anlagen längst fertiggestellt sind und Österreich seit 2016 immer wieder mit Grenzkontrollen gedroht hatte, werden sie bislang nur stichpunktartig durchgeführt. Die offene Brenner-Grenze zwischen dem österreichischen Tirol und dem italienischen Südtirol ist schließlich das Symbol für Europas einigende Kraft.

Wenn an dieser Grenze wieder Schlagbäume niedergehen würden, dann hätte das große symbolische und auch große wirtschaftliche Auswirkungen. Selbst Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer, der wie Strache zur FPÖ gehört, hat diesen Fall bereits als "Katastrophe" bezeichnet. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Plattner, der aus der ÖVP von Kanzler Kurz kommt, hat vorsorglich scharfes Geschütz gegen die Deutschen aufgefahren und mit Grenzkontrollen auch in Kufstein gedroht. "Das würde einen Stau bis Nürnberg zur Folge haben", warnt er.

Seehofer aber muss nun erst einmal schnell zum Flughafen und zurück nach Berlin, wo am Abend der Koalitionsausschuss tagt. Die Grenzen müssen ihn nicht kümmern. Da schwebt er drüber weg.

© SZ vom 06.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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