Migrationspolitik:"Nicht länger hinnehmbar"

Berlin, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble empfängt den ukrainischen Parlamentspräsidenten Deutschland, Berlin - 30.

Wolfgang Schäuble fordert, Probleme in der Migrationspolitik offen zu benennen.

(Foto: Christian Spicker/imago images)

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kritisiert Europas Flüchtlingspolitik. Er fordert das Eingeständnis, dass es bei manchen Fragen "keinen moralisch sauberen Ausweg" gibt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat am Donnerstag die Flüchtlingspolitik der europäischen Staaten deutlich kritisiert. Schäuble sagte, nie seien mehr Menschen auf der Flucht gewesen als derzeit. Der "Migrationsdruck" treffe Europa besonders - und er treffe Europa insgesamt. An diesem Verständnis "müssen wir allerdings noch arbeiten". Jedenfalls sei "eine Haltung der Europäer nicht länger hinnehmbar, Mitgliedstaaten mit europäischen Außengrenzen mit der Last der Migration alleinzulassen". Ein "abgestimmter Umgang mit der Zuwanderung, ein europäisches Asylrecht mit einheitlichen Standards und mit praktikablen Anerkennungsverfahren" sei "überfällig".

Schäuble hatte zusammen mit EU-Parlamentspräsident David Sassoli zu einer Migrationskonferenz geladen, an der auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen teilnahm. Wegen der Pandemie fand die Konferenz hybrid statt: Sassoli und andere Teilnehmer saßen im Europaparlament - Schäuble, von der Leyen und weitere Teilnehmer waren zugeschaltet.

Der Bundestagspräsident verlangte, die Probleme in der Migrationspolitik offen zu benennen. Es gebe keine einfachen Lösungen, "auch keine optimalen", sagte Schäuble. Es brauche das Eingeständnis, dass man angesichts der großen Wanderungsbewegungen vor Dilemmata stehe, aus denen es "keinen moralisch sauberen Ausweg" gebe: "Dass wir auf die Zusammenarbeit auch mit zweifelhaften Kräften und Regimen in Transit- und Herkunftsregionen angewiesen sind. Dass wir unserer humanitären Verantwortung gerecht werden und doch auch zugleich die Kontrolle aufrechterhalten müssen." Und dass die Rettung von Menschen aus Seenot, zu der man verpflichtet sei, wenn man Europas Werte nicht verraten wolle, einem "zynischen, kriminellen Schlepperwesen" in die Hände spiele.

Europa müsse sich endlich "als fähig erweisen, die Menschen, die nicht aus Gründen von Flucht und Asyl nach Europa kommen, schnell zurückzubringen, um keine falschen Anreize zu setzen". Wenn nötig, müsse man abgelehnte Asylbewerber in Zentren außerhalb der Europäischen Union bringen, "aber die müssen wir dann schützen - und in denen müssen wir menschliche Lebensbedingungen sicherstellen", sagte Schäuble.

Der Umgang mit der Migration fordere "die europäische Idee in ihren Grundfesten" heraus. Denn es gehe "um die innere Sicherheit und Stabilität unserer Gesellschaften, es geht um die Solidarität unter den Mitgliedstaaten, und es geht um unser aller Glaubwürdigkeit als Wertegemeinschaft".

Es seien jetzt unpopuläre Debatten und unbequeme Entscheidungen nötig, sagte Schäuble. Am Ende müsse ein System stehen, in dem es schnelle Entscheidungen darüber gebe, ob jemand in Europa bleiben dürfe oder nicht. Ansonsten sei es schwierig, "das Vertrauen der Öffentlichkeit" für die Asylpolitik zu bekommen.

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