Migrationspolitik:EU-Innenminister wollen das Asylproblem outsourcen

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Schon das Aufgebot an Sicherheitskräften wirkte wie eine Botschaft der konservativ-nationalistischen Regierung in Österreich: Jetzt wird aufgeräumt. (Foto: Andreas Geber/Getty)
  • Beim Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck wirbt Gastgeber Kickl für mehr Grenzschutz.
  • Migranten sollen nur noch außerhalb des EU-Territoriums um Asyl bitten können, in Nordafrika sollen "Ausschiffungsplattformen" entstehen.
  • Die Details scheinen bei dem Treffen weniger wichtig, auch neue Gedanken wurden nicht entwickelt.
  • Im Vorfeld empört ein Papier der österreichischen Regierung durch die "harte rechtspopulistische" Sprache.

Von Thomas Kirchner, Innsbruck

Man kann die Atmosphäre eines politischen Ereignisses an der Zahl der Helikopter ablesen, die am Himmel kreisen. Bei EU-Gipfeln sind es zwei oder drei. Über dem "informellen" Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck wachten gefühlte fünf. Vor lauter Rotorenlärm waren die Politiker kaum noch zu verstehen. Dazu passte das martialische Video, das im Kongresszentrum am Inn in einer Dauerschleife lief: Hunde, die Verbrecher beißen; vermummte Polizisten, die Demonstranten in Schach halten.

Die konservativ-nationalistische Wiener Regierung will eine Botschaft verbreiten: Schluss mit der Gefühlsduselei und dem Chaos in der europäischen Asylpolitik, ab jetzt wird aufgeräumt, ab jetzt herrscht Ordnung. Gastgeber Herbert Kickl (FPÖ) hatte dafür Anfang Juni das Wort vom "Paradigmenwandel" in die Welt gesetzt. In Innsbruck wiederholte er es bei jeder Gelegenheit und verwies darauf, dass man "so etwas Ähnliches" auch aus den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels von Ende Juni herauslesen könne. Gemeint ist, dass Europa den Fokus endlich auf den aus Wiener Sicht bisher vernachlässigten "Schutz der Außengrenzen" lenken müsse - statt sich, wie bisher, den Kopf über die Verteilung der Flüchtlinge zu zerbrechen, die in Europa ankommen. Italiens Innenminister Matteo Salvini brachte den Gedanken auf den Punkt: Wenn das "große Problem" gelöst sei (die Außengrenzen also möglichst dicht sind), würden sich alle "kleinen Probleme" wie Verteilungsfragen oder Grenzkontrollen am Brenner von selber lösen. "Endlich geht es in die richtige Richtung", jubelte der belgische Migrationsstaatssekretär Theo Francken, und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer freute sich, dass "unheimlich viel in Bewegung gekommen" sei in der Migrationspolitik: "Darauf warten die Menschen seit Langem."

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Aber was heißt das: Schutz der Außengrenzen? Wenn es nach Kickl geht, kann es nur heißen: dichtmachen. Er wirbt dafür, dass Migranten nur noch außerhalb des EU-Territoriums um Asyl bitten können - mit Ausnahme von Verfolgten aus direkten Nachbarstaaten der EU wie der Ukraine. Das wäre ein langfristiges Ziel. Eher kurzfristig will der Österreicher die Zusammenarbeit mit Drittstaaten vor allem in Nordafrika forcieren. Ein "System von Anreizen und Sanktionen" soll erreichen, dass diese Staaten etwa bei der Wiederaufnahme ihrer Bürger mitziehen.

Auf nordafrikanischem Boden sollen auch die berühmten "Ausschiffungsplattformen" oder "-zentren" entstehen, also Lager, in die auf See gerettete Migranten gebracht würden. Das forderten die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel. Wie das im Detail aussehen soll, ist weiter ungeklärt. Es dürfe jedenfalls kein "Pull-Faktor" entstehen, sagte Kickl. Der EU-Kommission erteilten die Innenminister den Auftrag, an der Idee zu arbeiten. Das müsse er "respektieren", sagte Innenkommissar Dimitri Avramopoulos, erlaubte sich aber eine Gegenfrage: "Kennt jemand ein einziges Land außerhalb Europas, in der Peripherie, das bereit wäre, so ein Lager auf seinem Boden zuzulassen?" Europa könne seine Verantwortung nicht "outsourcen", warnte er, die Genfer Flüchtlingskonvention müsse beachtet werden. Und überhaupt: "Wer auf einen Deus ex machina hofft, den muss ich enttäuschen."

Aber die Details scheinen weniger wichtig zu sein. Es wurden in Innsbruck auch keine neuen Gedanken entwickelt. Kickl und seine Mitstreiter wollen nicht weniger als einen Bewusstseinswandel, und deshalb verkünden sie ihn als Faktum: die Rückkehr zu "dem, was viele Menschen als einen Normalzustand in der Asylpolitik bezeichnen würden". In der Migrationskrise 2015 sei der Eindruck eines Kontrollverlusts entstanden, sagte Kickl, "und das wirkt nachhaltig". Wie in seinem Ministerium gedacht wird, zeigt ein Papier, das vor dem Treffen kursierte. Auf acht Seiten geht es darin nicht um Flüchtlinge, sondern nur um "geschmuggelte Individuen" - überwiegend "kaum gebildete junge Männer", die "freiheitsfeindlichen Ideologien" anhingen, "anfällig für Kriminalität" seien und "beträchtliche Probleme haben, in einer freien Gesellschaft zu leben". Aus der Tischvorlage für Innsbruck wurden diese und andere scharfe Passagen entfernt. Einige Regierungen hatten sich gestört an den "harten rechtspopulistischen" Formulierungen, sagte ein EU-Diplomat. "Offenbar hat die österreichische Regierung noch einmal nachgedacht über ihre Rolle als EU-Ratspräsidentschaft."

Ganz offen bekundete sein Unbehagen über den Gang der Dinge nur einer: Jean Asselborn. "Es ist mir bange vor einem Europa, das nur auf Außengrenzschutz setzt", sagte der Luxemburger Sozialdemokrat. "Wir müssen wissen, dass es auch 2018 noch verfolgte Menschen gibt im Süden Europas." Und nur Asselborn beharrt energisch auf einem System der solidarischen Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Was die Reform der Dublin-Verordnung betrifft, die Österreich laut den jüngsten Gipfel-Beschlüssen bis Oktober voranbringen soll, warnte Kickl davor, etwas "übers Knie zu brechen, ohne dass es alle tragen. Das wäre der größte Schaden."

Am Rande des Treffens kamen Seehofer, Salvini und Kickl überein, ihre Beamten eine Lösung im Streit über die Sekundärmigration finden zu lassen. In vier Wochen soll ein Abkommen stehen.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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