Migration:Union bricht Migrationsgespräche mit der Regierung ab

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Innenministerin Faeser plante Abweisungen im Schnellverfahren an den deutschen Grenzen. (Foto: Markus Schreiber/AP)

CDU und CSU reichen die Verschärfungen nicht aus, mit denen die Ampelkoalition die irreguläre Zuwanderung begrenzen will. Fraktionschef Merz wirft der Regierung vor, sie sei intern zerstritten und könne sich nicht auf wirksame Maßnahmen einigen.

Von Markus Balser, Georg Ismar

Trotz geplanter weiterer Verschärfungen ist ein Spitzentreffen von Bundesregierung und Union zur Begrenzung der illegalen Migration gescheitert. Nach Angaben aus Regierungskreisen befürwortet zwar nun auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Landesgrenzen – aber nicht pauschal und direkt, sondern mit Schnellverfahren auf deutschem Boden und in Grenznähe. Doch der Union reicht das nicht, weshalb die vom Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, geführten Gespräche am Dienstagnachmittag abgebrochen wurden.

Die Union kritisiert, dass die Lösung zu kompliziert und nicht ausreichend sei. Zudem könnten sie andere Staaten umgehen, indem sie Flüchtlinge und andere Asylsuchende einfach nicht mehr registrieren, um sie später nicht zurücknehmen zu müssen. Damit wäre zunächst wieder Deutschland für diese Menschen zuständig.

CDU-Chef Friedrich Merz betonte bei X: „Die Bundesregierung ist intern offensichtlich heillos zerstritten und kann sich nicht auf wirksame Maßnahmen einigen.“ Die Ampel kapituliere vor der Herausforderung der irregulären Migration. In der SPD wurde Kritik laut, dass die Vorschläge der Union juristisch nicht umsetzbar seien und Merz vor der Generaldebatte mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag offensichtlich kein Interesse an einer Einigung habe.

Innenministerin Faeser schlägt Schnellverfahren an der Grenze vor

Faeser hatte am Dienstag in den Beratungen mit der Union ein neues Modell vorgeschlagen, um Asylbewerber an der Grenze zurückweisen zu können. Allerdings soll dies nur jene Fälle betreffen, in denen diese Menschen nach der europäischen Dublin-Verordnung bereits in einem anderen EU-Land als Asylsuchende registriert wurden. Sie sollen nach Überprüfungen durch die Bundespolizei rasch dorthin zurückgewiesen werden.

Werde ein Asylgesuch geäußert, prüfe die Bundespolizei mit elektronischen Abfragen in der Eurodac-Datei, ob ein anderes EU-Mitglied bereits für die Geflüchteten zuständig ist. Behörden würden in diesem Fall Rückstellungsverfahren beschleunigt einleiten. Dabei sei ein schnelles Handeln der Justiz der Länder erforderlich, heißt es in Faesers Vorschlag. Auch müssten „die Haftplätze der Länder in ausreichender Anzahl, möglichst in Grenznähe entlang der Migrationsrouten, vorhanden sein“. Dies gelte etwa für Fälle, in denen ein Untertauchen zu befürchten sei. Offen ist, wie lang solche „Schnellverfahren“ dauern würden. Faeser sprach am Dienstagabend von maximal fünf Wochen, inklusive der Bearbeitung von Einsprüchen.

Aus der Union hieß es, die Vorschläge der Bundesinnenministerin seien unzureichend und würden zu keiner raschen und deutlichen Reduzierung der illegalen Migration nach Deutschland führen. Faesers Vorschläge würden zudem eben nur einen Teil der illegal nach Deutschland einreisenden Personen erfassen: Die zuvor in Eurodac gespeichert worden sind. Vor allem aber müsse Deutschland bei dem zuständigen Mitgliedsstaat eine Zustimmung einholen, damit die Person dorthin überstellt und abgeschoben werden. „Damit könnte Deutschland weiterhin keine eigenständige Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat durchsetzen.“ Das ganze Dublin-System funktioniere ohnehin nicht mehr.

„Die Nachbarländer würden das Modell der Union nicht akzeptieren“

Aus der Bundesregierung heißt es, die von CDU-Chef Merz geforderten pauschalen Zurückweisungen an der Grenze seien so aber nicht umsetzbar, Nachbarstaaten wie Österreich oder Polen nicht zur Aufnahme dieser Menschen verpflichtet. Zurückweisungen bei den Dublin-Fällen könnten nur in den EU-Staat erfolgen, wo erstmals ein Asylantrag gestellt worden ist. Faeser betonte: „Die Nachbarländer würden das Modell der Union nicht akzeptieren.“ Das zeigten alle öffentlichen Äußerungen bisher.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) betonte bei einer Pressekonferenz mit Faeser und Außenministerin Annalena Baerbock, dass man hier europarechtlich „unangreifbare Lösungen“ finden müsse. Man könne sich nicht über Rechtsprechung hinweg setzen. Daher sei auch eine pauschale Abweisung von Dublin-Fällen schon an der Grenze nicht möglich. Er verwies auf den Fall eines Syrers, der von Deutschland schon nach Griechenland zurückgebracht worden war, dagegen klagte und dann nach einem Verwaltungsgerichts-Urteil nach Deutschland zurückgeholt werden musste. „Es reicht nicht, eine These oder Rechtsmeinung zu haben“, sagte Buschmann. Sondern es müsse vor Gerichten Bestand haben.

Die Regierungsvertreter der Ampelkoalition demonstrierten Geschlossenheit in der Frage, die nach dem islamistischen Terroranschlag in Solingen deutlich an Dynamik gewonnen hat. Offensichtlich seien „einige Herren überrascht, dass wir hier im Team spielen, auch für die Verfassung“, sagte Baerbock mit Blick auf die Unions-Vertreter. Klar sei aber allen: „Der Status quo kann so nicht weitergehen.“

Der verschärfte Asylkurs stößt allerdings auch in den eigenen Reihen auf Skepsis – weil er bei SPD und Grünen vielen zu weit geht. In der SPD wächst die Kritik, dass man sich derzeit von Union und AfD treiben lasse. So würde die Bundesregierung den Eindruck vermitteln, dass sie einer rechten Dynamik hinterherlaufe, hieß es in der Fraktion.

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Es geht auch um die politische Zukunft von Bundeskanzler Scholz

Die Regierungskoalition will mit dem Kurswechsel auch Handlungsfähigkeit vor der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September beweisen. Für Kanzler Olaf Scholz kann die Wahl auch für seine weitere politische Zukunft entscheidend sein. Die AfD liegt in Umfragen klar vor der SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke, die hier seit der Wiedervereinigung ununterbrochen regiert.

In der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die SPD in der großen Koalition stets Merkels Ansatz unterstützt, die Grenzen offenzuhalten – und dass Zurückweisungen an den Grenzen kaum rechtssicher durchzusetzen seien. Das führte wiederum fast zu einem Zerwürfnis zwischen CDU und CSU.

Neun Jahre später ist es wieder genau diese Frage, die nun auch die Ampelkoalition vor neue Spannungen stellt. Denn außer beim linken SPD-Flügel gibt es vor allem bei den Grünen viel Kritik. Wichtig sei, dass keine neuen Sog-Faktoren für die Migration nach Deutschland geschaffen würden – wenn nämlich andere EU-Staaten Asylbewerber nach ihrer Ankunft in Europa gar nicht mehr registrieren, damit sie sie nach einer Zurückweisung an deutschen Grenzen auch nicht zurücknehmen müssen. Man müsse verhindern, dass dann „alle nach Deutschland durchgewunken werden“, hieß es in grünen Regierungskreisen. Generell müssten Grenzkontrollen so gestaltet werden, „dass es für die Wirtschaft funktioniert und wir mit unseren Nachbarstaaten eng verbunden bleiben“. Keiner wolle wieder Autoschlangen an deutschen Grenzen.

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Faeser betonte, dass die Kapazitäten der Bundespolizei für ihr Modell aufgestockt werden müssten, auch um alle Außengrenzen wirksam über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren. Der Migrationsforscher Gerald Knaus warnt jedoch vor nicht zu Ende gedachten Maßnahmen: „Binnengrenzkontrollen, die irgendeine Wirkung haben sollen, bedeuten das Ende von Schengen, erfordern einen Bundesgrenzschutz und Zäune rund um Deutschland.“

Am Montag hatte Faeser bereits für sechs Monate Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet, um die Zahl unerlaubter Einreisen einzudämmen. Die Kontrollen sollen am 16. September beginnen. Durch die bereits bestehenden Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz seien seit Oktober 2023 schon rund 30 000 Personen zurückgewiesen worden, die keine oder gefälschte Dokumente, kein Visum oder keinen gültigen Aufenthaltstitel bei sich hatten. Nun sollen die Kontrollen auch auf die Grenzen zu Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Dänemark ausgeweitet werden.

Kanzler Scholz ist sehr daran gelegen, die Diskussion über dieses Thema zusammen mit der Union zu befrieden. „Wir würden uns auch freuen, wenn wir da noch was gemeinsam machen können, auch mit der Opposition“, sagte er beim Sommerfest der Parteizeitung Vorwärts – bevor die Union die Gespräche platzen ließ. „An uns wird es nicht liegen, falls es nicht klappt“, sagte Scholz.

Nach dem Abbruch der Asyl-Gespräche durch die Union erhob er schwere Vorwürfe gegen CDU-Chef Merz. „Ich kann nur sagen: Das Rausgehen aus dieser Runde, das stand schon vorher fest. Und das ist blamabel für diejenigen, die das zu verantworten haben“, kritisierte Scholz am Dienstagabend auf einer Veranstaltung des Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. „Führung sieht anders aus. Charakter, Ehrlichkeit und Festigkeit sind für dieses Land gefragt und nicht solche kleinen Taschenspielertricks und Provinz-Schauspielereien.“

FDP-Chef Christian Lindner regte nach dem Scheitern der Verhandlungen ein Spitzentreffen der Ampel und Merz an. „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein“, schrieb der Bundesfinanzminister auf der Plattform X. Merz sollte mit dem Kanzler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln. „Wir werden gemeinsam das Problem lösen“, fügte Lindner hinzu. Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.

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