Süddeutsche Zeitung

Migration:Unbehagen auf dem Vorposten Europas

  • Die Regierung in Madrid hat angekündigt, die Grenzanlagen auf der spanischen Exklave Ceuta am Nordrand Afrikas zu entschärfen und scharfe Stahlklingen zu entfernen.
  • Seitdem herrscht Verunsicherung bei den Anwohnern, die bislang freundlich auf die ankommenden afrikanischen Migranten reagieren.

Von Thomas Urban, Ceuta

Auf der Plakatwand am Fremdenverkehrsamt gleich neben der alten Festung prangen nebeneinander ein Kreuz, ein Halbmond, ein Davidsstern und mehrere Sanskrit-Zeichen, die für den Hinduismus stehen. "Wir sind die Stadt der vier Religionen, die hier friedlich miteinander leben", diesen Satz wiederholen Lokalpolitiker und die Lokalpresse bei jeder Gelegenheit. Dass die spanische Exklave am Nordrand Afrikas gegenüber von Gibraltar nun in den Fokus der europäischen Politik geraten ist - im Alltag ist dies nicht zu spüren. Jedermann, vom Kioskbesitzer bis zum Bürgermeister, betont: "Die Subsaharianos stören uns nicht!" Gemeint sind die jungen Afrikaner aus den Ländern südlich der Sahara, denen es gelungen ist, den sechs Meter hohen Grenzzaun zu Marokko zu überwunden.

Allerdings ist die Spannung, die über der 85 000 Einwohner zählenden Stadt liegt, durchaus in den Amtsstuben zu spüren. Es herrscht große Unsicherheit, seitdem vor zwei Monaten eine neue Regierung in Madrid angetreten ist, die als Erstes verkündete, sie werde die scharfen Stahlklingen an den Grenzzäunen entfernen lassen. Jeder Regierungswechsel in Spanien bedeutet die Versetzung oder gar Ablösung Hunderter Beamter, die direkt Madrid unterstehen. Ceuta gehört dazu. Also möchte niemand seinen Namen mit kritischen Bemerkungen in der Presse stehen sehen.

Dafür nehmen die Kommentatoren der beiden Lokalzeitungen, El Faro (Der Leuchtturm) und El Pueblo (Das Volk), kein Blatt vor den Mund. Es sei grundsätzlich falsch, wenn Madrid nun den Rückbau der Grenzzäune ankündige. Dann sei die Grenztruppe nicht mehr in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Ereignisse vom letzten Donnerstag im Juli drohen die Stimmung in Ceuta kippen zu lassen. Bislang reagierten die meisten Einwohner freundlich auf die jungen Afrikaner, die kleine Dienstleistungen anbieten, vom Einwinken in die Parklücke bis zum Verstauen der Einkaufstaschen im Supermarkt; meistens gab es ein bis zwei Euro dafür.

Im Juli wurden Grenzschützer mit Steinen und Brandsätzen attackiert

Doch seit an jenem Donnerstag mehrere Hundert junge Afrikaner von der marokkanischen Seite aus die Grenzschützer mit Steinen, Molotowcocktails und selbstgebauten Flammenwerfern angriffen, herrscht Verunsicherung. Das Lokalfernsehen zeigte immer wieder Bilder von dieser Schlacht am Grenzzaun.

Auch im Sammellager für die Asylbewerber auf einer Anhöhe ganz im Westen der Stadt herrscht gespannte Stimmung. Auf dem Sportplatz stehen Zelte, die Wohneinheiten in Holzhäusern sind überbelegt. Einer der Wachposten berichtet von Schlägereien unter den jungen Männern: "Sie haben nichts mehr, um sich abzureagieren." Bislang bestimmte Sport den Alltag, jedes Wochenende gab es Fußball- und Basketballturniere, an denen sich auch die Guardia Civil, die für den Grenzschutz zuständige nationale Polizei, beteiligte. Doch nun sind die Spielfelder belegt.

Das Profil der Ankömmlinge aus Afrika hat sich im Prinzip in den vergangenen Jahren nicht geändert, wie die Auswertung der Fragebögen ergibt: Zwar wissen die meisten, dass politische Verfolgung ein entscheidender Grund ist, um als Flüchtling anerkannt zu werden. Doch auf detaillierte Befragungen durch die spanischen Spezialisten sind sie nicht vorbereitet; schnell kommt heraus, dass die meisten auswendig gelernte Geschichten vorbringen. Unter den Vertretern der Behörden herrscht Einigkeit, dass nur ein Bruchteil Chancen auf politisches Asyl hat.

Auch die lokalen Medien berichten immer wieder darüber. "Es ist nicht Rassismus, wenn hier das Unbehagen wächst", sagt der Teilnehmer einer Fernsehdiskussion. Er weist darauf hin, dass die islamischen Gemeinden von Ceuta gern und großzügig den Kriegsflüchtlingen aus Syrien helfen, die es über Marokko bis hierher geschafft haben. Doch über die Subsaharianos sagt er: "Es sind keine Menschen in Not, die hier ankommen." In der Tat ergeben die Befragungen, dass die allermeisten von ihnen aus der Mittelschicht kommen.

Nach dem Freitagsgebet in der Sidi-Sebta-Moschee am Nordstrand von Ceuta unterhält sich ein älterer, gut gekleideter Mann auf Französisch mit mehreren jungen Männern aus dem islamisch geprägten Norden Kameruns. Er sagt ihnen: "Allah hat jedem sein Land gegeben, es ist nicht richtig, dass ihr es verlassen habt."

Die spanischen Experten haben festgestellt, dass die jungen Afrikaner glauben, mit dem "Sprung über den Zaun", den sie auch als Mutprobe ansehen, seien alle ihre Probleme gelöst. Sie sähen in Europa ein Paradies und verdrängten alle Berichte darüber, dass auf sie Ausbeutung und rassistische Demütigung warten. Spanische Soziologen reden vom Pepe-Syndrom. "Pepe, komm nach Deutschland!" ist ein Spielfilm von 1972, der unter spanischen Gastarbeitern in München spielt. Sie müssen bis zur Erschöpfung schuften, werden von den Deutschen schlecht bezahlt und herablassend behandelt - doch ihren Angehörigen zu Hause berichten sie, dass sie wie im Paradies leben. Ein Offizier der Guardia Civil meint, es habe keinen Zweck, mit ihnen darüber zu reden, dass in Europa niemand auf sie warte: "Keiner von ihnen will das glauben."

Neuerdings melden marokkanische Stellen, dass immer mehr Subsaharianos mit dem Flugzeug nach Casablanca kommen, um von dort die Überfahrt über das Meer oder den Sprung über den Zaun in Angriff zu nehmen. Der Leitartikler von El Faro rechnet damit, dass in wenigen Wochen die Zahl der Ankömmlinge aus Afrika wieder stark zurückgeht. Die Regierung in Madrid werde es sich angesichts ihrer hauchdünnen Mehrheit im Parlament nicht leisten können, die Grenzanlagen zurückzubauen. Und das Meer sei im Herbst so stürmisch, dass niemand die Überfahrt wagen könne.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2018/saul
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