Migration:Tod auf dem Atlantik

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Seit Jahren steigt die Zahl der Menschen, die die Kanaren ansteuern, um in Spanien Asyl zu beantragen. (Foto: Antonio Sempere/dpa)

Mindestens 50 Bootsflüchtlinge sind auf der Überfahrt von Marokko zu den Kanarischen Inseln gestorben. Helfer mahnen eine migrationspolitische Lösung an: Kein anderer Weg nach Europa ist so tödlich wie die Atlantikroute.

Von Patrick Illinger, Madrid

Vor den Kanarischen Inseln ist es erneut zu einer Flüchtlingstragödie gekommen. Mindestens 50 Menschen sind gestorben, während sie versuchten, mit einem Boot das spanische Hoheitsgebiet von Afrika aus zu erreichen. Das meldete die Journalistin und Sprecherin der Hilfsorganisation Caminando Fronteras, Helena Maleno, auf dem Kurznachrichtendienst X.

Der Regierungschef der Kanaren, Fernando Clavijo, reagierte kurz darauf, drückte sein Beileid aus und veröffentlichte einen Appell auf den sozialen Medien. „Wir können nicht nur Zeugen sein. Der Staat und Europa müssen handeln. Der Atlantik darf nicht mehr der Friedhof Afrikas sein.“

10 000 Menschen starben vergangenes Jahr bei dem Versuch, die Kanaren zu erreichen

Das neuerliche Unglück bestätigt, wie gefährlich die sogenannte Atlantikroute ist, auf der vor allem in den Wintermonaten Tausende Menschen versuchen, von Westafrika aus auf die Kanaren überzusetzen. Die Startpunkte der mitunter 1500 Kilometer langen, mehrere Tage dauernden Reise reichen von Marokko bis Senegal. Viele der Bootsmigranten gehen in Mauretanien an Bord. Von dort waren am 2. Januar auch die nun Verunglückten gestartet, konkretisierte Helen Maleno im spanischen TV.

Nach Angaben von Caminando Fronteras sind im vergangenen Jahr fast 10 000 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, die Kanaren mit einem Boot zu erreichen. 131 Cayucos, wie die oft alten, selbst gebauten Boote aus Afrika in Spanien genannt werden, sind nach Angaben der Hilfsorganisation im Jahr 2024 havariert. Damit ist die Atlantikroute die mit Abstand tödlichste Route, um nach Europa zu gelangen.

Die nunmehr verunglückten Migranten waren der Aktivistin Helena Maleno zufolge 13 Tage lang auf See gewesen, bis sie von marokkanischen Rettungskräften Unterstützung bekamen. Auf dem Boot hätten sich laut Caminando Fronteras insgesamt mindestens 86 Personen befunden. Knapp zwei Dutzend wurden noch lebend aufgefunden. Die Nationalität der Ertrunkenen zeigt zudem, dass sich die Atlantikroute globalisiert: Die meisten Toten stammten aus Pakistan.

Viele der Ankommenden haben keine Ausweise

Schon im vergangenen Jahr war deutlich geworden, dass zunehmend Migranten aus Asien versuchen, über Afrika und den Atlantik nach Europa zu gelangen. Laut Daten der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sind 2024 mehr als 200 Menschen aus Pakistan, mehr als 50 aus Bangladesch, sowie einige Syrer, Afghanen und Palästinenser per Boot auf den Kanaren angekommen. Menschen aus diesen Ländern hatten bisher eher den Landweg über den Balkan oder das östliche Mittelmeer genutzt, um die Reise nach Europa zu versuchen.

Die allermeisten Bootsmigranten sind jedoch nach wie vor Afrikaner. Insgesamt kamen voriges Jahr fast 47 000 Menschen von dort per Boot zu den Kanaren, eine Rekordzahl. Zugleich ist die Zahl der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer gesunken. Viele der Ankommenden haben keine Ausweispapiere bei sich und stellen Antrag auf Asyl. Nachdem ihre Angaben erfasst werden, reisen die meisten von den Kanaren auf das spanische Festland weiter, wo sie unter anderem in der Landwirtschaft Arbeit suchen.

Viele ziehen auch weiter nach Frankreich, vor allem Westafrikaner beherrschen die Landessprache oft besser als Spanisch. Eine biometrische Erfassung der Ankömmlinge, wie es der europäische Migrationspakt in Zukunft vorsieht, ist bislang nicht üblich.

Die konservative Volkspartei verlangt von Premier Sánchez einen Kurswechsel in der Migrationspolitik

Minderjährige Migranten genießen nach spanischem Recht besonderen Schutz. Sie werden in betreuten Einrichtungen untergebracht. Rund 5800 Kinder und Jugendliche leben derzeit in Dutzenden Unterkünften auf den Kanaren, was die Inselverwaltung an ihre Grenzen bringt. Über die Frage, ob und wie man einen Teil der minderjährigen Migranten auf andere Regionen Spaniens verteilen könnte, hat sich die spanische Politik zerstritten.

Fünf Regionalregierungen sind sogar geplatzt, nachdem die dort mitregierende ultrarechte Partei Vox die Aufnahme jugendlicher Migranten kategorisch verweigert hatte. Auch zwischen der sozialistischen Regierungspartei von Premier Pedro Sánchez und der konservativen Opposition sorgt die Frage der minderjährigen Migranten für Grundsatzdebatten. Die konservative Volkspartei, die in der Mehrzahl der 17 spanischen Regionen die Regierung stellt, verlangt von Sánchez einen generellen Kurswechsel der Migrationspolitik, bevor man sich des Themas der minderjährigen Migranten annehmen will.

Der Ministerpräsident der Kanaren, Fernando Clavijo, verhandelt derzeit mit der spanischen Zentralregierung, um ihre Verteilung womöglich ohne Zustimmung der einzelnen Regionalregierungen zu erzwingen. Über die spanische Nachrichtenagentur Efe ließ Clavijo wissen, man erwäge, das spanische Einwanderungsgesetz so zu ändern, dass künftig ein „automatischer Mechanismus“ die Verteilung von minderjährigen Flüchtlingen spanienweit regelt. Ein entsprechender Beschluss ist aber noch nicht in Sicht. Fraglich ist auch, ob die Regierung Sánchez dafür eine Mehrheit im Parlament fände, wo sie unter anderem auf die Zustimmung einiger Regionalparteien angewiesen ist.

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