Flüchtlingspolitik:„Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land“

Lesezeit: 3 Min.

Friedrich Merz, der CDU-Bundesvorsitzende und Unionsfraktionsvorsitzende, nach seiner Ankunft am Dienstag im Kanzleramt an. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Merz wirft Scholz nach Solingen Kontrollverlust vor. Der CDU-Chef will nun gemeinsam ein Bündel von Gesetzen erarbeiten, um illegale Zuwanderung schnell zu begrenzen.

Von Daniel Brössler, Paul-Anton Krüger, Berlin, Jena

CDU-Chef Friedrich Merz hat nach einem Spitzengespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein Angebot zur Zusammenarbeit bei der Begrenzung irregulärer Migration bekräftigt. Zugleich warf er Scholz vor, das Vertrauen der Bürger zu verspielen. „Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land“, sagte der Oppositionsführer in einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag in Berlin. Merz verlangte, die „demokratischen Parteien der bürgerlichen Mitte“ müssten nach dem Terroranschlag von Solingen zu gemeinsamen Lösungen kommen, um „die illegale Migration stärker zu begrenzen und zurückzudrängen“. Die Begrenzung der Zuwanderung hat für Merz dabei Vorrang vor vermehrten Abschiebungen.

Auch der Kanzler sagte wenig später auf einer Wahlkampfveranstaltung der SPD in Jena: „Wir müssen die irreguläre Migration begrenzen, sie ist zu hoch.“ Zugleich verwies er auf eine Reihe von Gesetzesänderungen seiner Regierung und Erfolge dabei, illegale Einreisen zu verhindern und die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Straftäter müssten auch nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden, daran arbeite die Regierung. Den islamistischen Terrorismus werde sie mit aller Kraft und Härte begegnen. Menschen aus Afghanistan und Syrien können aber in Deutschland weiterhin individuell Asyl beantragen, stellte Scholz anschließend im ZDF-heute journal klar. Grenzkontrollen wolle man dafür „so lange wie möglich fortführen“.

Scholz betont, dass das Grundgesetz gewahrt werden müsse

Scholz begrüßte zudem in Jena, dass Merz als Oppositionsführer im Bundestag Zusammenarbeit angeboten habe. Wenn die Regierung und die Opposition zusammenarbeiteten, sei dies niemals schlecht. Zugleich müssten aber bei allen Vorschlägen das Grundgesetz, die Regeln der EU und internationales Recht gewahrt werden.

Merz verlangte unter anderem, Migranten an den deutschen Außengrenzen zurückzuweisen. Dies ist seiner Auffassung nach rechtlich nach den in der EU geltenden Regeln des sogenannten Dublin-Systems möglich. Demnach ist derjenige Staat für ein Asylverfahren zuständig, den eine Person in der EU zuerst erreicht. Andernfalls müsse Deutschland eine Notlage erklären, die den Schutz der Binnengrenzen ermögliche, sagte Merz. Es dürfe keine Tabus geben, welche Regelungen geändert werden, verlangte er.

Der Oppositionschef verwies darauf, dass SPD und Union im Bundestag zusammen eine Mehrheit hätten, um von ihm geforderte Gesetzesänderungen durchzusetzen, auch ohne die Ampelkoalitionspartner, also die Grünen und die FDP. Den Bundeskanzler forderte er auf, den Abgeordneten ihr Abstimmungsverhalten freizustellen, wie beim Votum über eine Corona-Impfpflicht. Das käme allerdings einer Aufkündigung des Koalitionsvertrages gleich. Zugleich sagte Merz, die Union wolle nicht Teil der Regierung werden.

Verschärft werden müssen nach seiner Auffassung das Aufenthaltsgesetz sowie das Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem müssten Bundespolizei, Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz als Konsequenz aus den mutmaßlich islamistisch motivierten Terroranschlägen von Mannheim und Solingen zusätzliche Kompetenzen und Überwachungsmöglichkeiten erhalten. Bei den Grünen und der FDP gibt es jeweils Vorbehalte gegen Teile dieser Forderungen.

Merz sagte, er habe dem Bundeskanzler vorgeschlagen, eine Person zu benennen, die zusammen mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, bis zur nächsten Sitzungswoche des Bundestags in der zweiten Septemberwoche an klären solle, „worauf wir uns verständigen können“, und einen „begrenzten Katalog von Gesetzen, die wir schnell ändern“ zu identifizieren. Der Kanzler habe dies nicht zugesagt, ihm aber eine rasche Antwort in Aussicht gestellt.

Dass er vor allem die Landtagswahlen im Blick habe, stellt Merz in Abrede

Merz stellte in Abrede, dass er bei seinen Vorschlägen vor allem die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am kommenden Wochenende im Blick habe oder das Ziel, die Ampelkoalition ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl 2025 zu sprengen.

Aus dem Kanzleramt hieß es, Scholz und Merz hätten zu Maßnahmen beraten, die rechtlich und praktisch umsetzbar seien. Dem Vernehmen nach ging es etwa um die Rückführung von Migranten in andere EU-Staaten. Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte im Zuge einer solchen Überstellung nach Bulgarien gebracht werden können, das dessen Aufnahme auch zugesagt hatte. Thema war auch die Beschleunigung von asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren.

Merz wiederholte seine Forderung nach einem generellen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan nicht, die Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) als rechtlich problematisch bewertet hatte. Der Oppositionsführer sagte aber auch, klar sei, dass Deutschland nicht weiterhin 300 000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen könne. Das überfordere sowohl die Behörden als auch die Gesellschaft. Merz räumte ein, dass auch die Union einen Teil der Verantwortung an dieser Situation trage, eine Kritik an der Migrationspolitik der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSöder und die K-Frage
:Der schon wieder

Markus Söder will die Kanzlerkandidatur mit jeder Faser seines Körpers, dafür tanzt er, singt er, pöbelt er gegen die Grünen. Er hat zwar keine Chance, aber die nutzt er vehement.

Von Roman Deininger und Andreas Glas

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: