Süddeutsche Zeitung

Migration:Wenn die Heimat keine Perspektive bietet

Die Bundesregierung verspricht Migranten Geld und Beratung, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückgehen. Doch der Erfolg bleibt oft aus. Eine Reise nach Ghana und in den Irak.

Von Kristiana Ludwig, Accra/Erbil

Für Juliana Ashong lag das Unglück in Wismar an der Ostsee, mehr als 5000 Kilometer von zu Hause entfernt. Sie hatte ihre Söhne in Ghana zurückgelassen, der jüngste war da gerade vier. Und sie hätte auch jeden Job angenommen, nach dem Tod ihres Mannes, um den Kindern Geld aus Europa zu schicken. Fast jeden. Doch das einzige Angebot, das ihr der Schleuser gemacht hatte, war Prostitution. Ashong lief davon und meldete sich bei den deutschen Behörden. Die gaben ihr eine Unterkunft, aber keine Arbeit. Sechs Jahre lang tat sie nichts. Verlorene Zeit, sagt sie heute.

Im vergangenen Jahr flog Juliana Ashong zurück nach Ghana, in ihre Heimatstadt Accra. Mit 51 Jahren steht sie hier jetzt wieder am Anfang. Aus Deutschland hat sie keine Arbeitserfahrung mitgebracht, keine Ausbildung, nicht einmal Sprachkenntnisse. Nur die Adresse eines deutschen Büros in Accra hat sie bekommen, es ist das neue "Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration". Hier will die Bundesregierung Zurückgekehrten wie ihr helfen, wieder Fuß zu fassen. "Perspektive Heimat" nennt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Programm. In dem Zentrum schenkten die Deutschen Ashong Töpfe, Pfannen, einen Gaskocher und einen Kühlschrank. Sie solle ein Restaurant gründen, empfahl man ihr.

Die Aktion sei ein "Erfolg" gewesen, sagt das Innenministerium

Einige Monate später, im Februar, hängt in dem Rückkehrzentrum ein großes Plakat an der Wand: "Erfolgsgeschichte von Juliana Ashong", steht darauf, sie habe "erfolgreich ihr eigenes Geschäft eröffnet". Dabei ist sich Ashong noch gar nicht sicher, ob sie mit diesem Lokal wirklich einmal Geld verdienen wird. Denn bisher hat sie kaum Kundschaft. Weil ihr die Einnahmen fehlen, bezahlen zur Zeit die Deutschen für ihre Wohnung.

In zehn Ländern hat die Bundesregierung mittlerweile Rückkehrzentren eröffnet, in mindestens drei weiteren sind neue geplant. Es ist eine gemeinsame Strategie von Entwicklungsminister Müller und Innenminister Horst Seehofer (CSU), Ausländer dazu zu animieren, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Während Seehofer jedem Geflüchteten mehrere Tausend Euro bietet, wenn er seinen Schutz in Deutschland aufgibt und wieder fortgeht, sollen Müllers Entwicklungshelfer den Rückkehrern helfen, zu Hause einen Job zu finden - damit sie "nachhaltig" daheim bleiben, wie das Innenministerium erklärt.

Bis zum kommenden Jahr hat Müller 150 Millionen Euro für die "Perspektive Heimat" eingeplant und er forderte bereits eine Aufstockung, auf 500 Millionen. Die Zentren sollen am besten auch gleich die Einheimischen mit Arbeitsplätzen versorgen. Auch sie sollen keine Lust verspüren, nach Deutschland auszuwandern. So hängen in Accra neben dem Plakat von Ashong Fotos von entschlossen blickenden jungen Leuten, die gesponserte T-Shirts tragen: "Irreguläre Migration ist gefährlich", lautet der Aufdruck: "Lass es!!"

Seehofer setzte zuletzt auch in Deutschland auf Werbung. Auf großen Plakatwänden in den Städten empfahl sein Ministerium in sieben Sprachen die "Freiwillige Rückkehr". Die Aktion sei ein "Erfolg" gewesen, heißt es auf Nachfrage. Doch die Bereitschaft Seehofers, Geflohenen sogar die Rückkehr in Kriegsgebiete zu finanzieren, könnte bereits drastische Folgen haben. Anfang Februar machte die Hilfsorganisation Medico International zwei Fälle publik, in denen Syrer, die das Programm des Innenministeriums in Anspruch genommen hatten, kurz nach ihrer Ankunft von Geheimdiensten in Syrien verhört wurden und verschwunden sind. Die Entscheidung, auf ihren Schutzstatus zu verzichten, hätten syrische Staatsangehörige "eigenständig" getroffen, heißt es dazu aus dem Ministerium - ohne dass sie von deutschen Behörden "in irgendeiner Weise ermutigt" wurden. Medico nennt die Vorgänge "verstörend und skandalös".

Von den rund 16 000 Menschen, die im vergangenen Jahr auf Kosten des Innenministeriums in ihre Heimat zurückkehrten, gingen die meisten in Syriens Nachbarland Irak. Von dort sind die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) 2017 vorerst vertrieben worden. Und seit letztem April gibt es nun auch hier, in der kurdischen Stadt Erbil, ein deutsches Rückkehrzentrum. In dem gelb gestrichenen Haus in einem Industrieviertel sitzen an einem Vormittag im Februar knapp zwanzig junge Frauen und Männer in einem Seminarraum und blicken auf einen englischsprachigen Lebenslauf in ihrer Hand. "Die Personalabteilungen bekommen Tausende Bewerbungen", sagt eine Dame bei einer Powerpoint-Präsentation: "Ihre muss herausstechen."

Für jeden dieser Kurse, sagt der Chef des Zentrums, Soran Jawher Awla, stünden mehr als hundert Leute Schlange. Doch Awlas Möglichkeiten zu helfen, sind begrenzt. So musste das Zentrum dem Deutschland-Rückkehrer Najeeb Khawwam Kamil kürzlich erklären, dass man leider nichts tun könne, damit er seinen früheren Job im Energieministerium zurückbekommt - trotz zwölf Jahren Arbeitserfahrung. So bekam Kamil, obwohl er viel besser qualifiziert ist als Juliana Ashong im weit entfernten Ghana, genau wie sie nur eine einfache Arbeit vermittelt: Er fährt jetzt Lastwagen.

Die Entwicklungshelfer übernehmen für ein Jahr einen Teil seines Gehalts.

Solche von der Bundesregierung kofinanzierten Jobs seien zwar gut gemeint, sagt der Vize-Gouverneur der Stadt Dohuk, Ismail Mohammad Ahmed. Doch diese Arbeitsplätze seien nicht von Dauer. Den Bürgern hier fehlten keine Bewerbungstrainings, sagt er, sondern eine funktionierende Wirtschaft. Unternehmen, in denen sie arbeiten könnten. Im Irak wird außer Öl wenig produziert, und der überwiegende Teil der Iraker lebt vom Staat. Das deutsche Rückkehrzentrum - in Ahmeds Augen ist es "Geldverschwendung".

Der Wiederaufbau stockt, viele Städte liegen noch in Trümmern

Schließlich sind es längst nicht nur die Menschen, die einmal in Europa waren, die im Irak nach Perspektiven suchen. Im Umland von Dohuk leben Tausende Kriegsvertriebene in Containern und Zelten. Viele sind Jesiden, die vor dem IS flohen und nicht zurückgehen können - weil der Krieg ihre Häuser zerstört hat und schiitische Milizen ihre Dörfer kontrollieren. Der Wiederaufbau stockt.

In Mossul etwa, das in Trümmern liegt, fragt sich der Stadtratspräsident Saido Jato Haso, wo das Geld geblieben ist, das als Hilfe aus dem Ausland überwiesen wurde. Er vermutet Veruntreuung. Ob dies auch die 200 Millionen Euro betrifft, die Berlin nach Mossul geschickt hat, dazu sei im Entwicklungsministerium nichts bekannt, sagt ein Sprecher.

Knapp drei Millionen Binnenflüchtlinge und mehr als 250 000 Syrer zählte die Flüchtlingsorganisation UNHCR Ende 2018 im Irak. Auch Wansa Khalef lebt im Februar noch in einer Zeltstadt in Shekhan. Sie ist 53 Jahre alt, Jesidin, und selbst wenn ihr Zelt im Matsch steht, trägt sie ein bodenlanges Samtkleid. Khalef hat ihre Familie verloren, als der IS in ihrer Heimat einfiel. Erst vor zehn Tagen fand man ihren Enkel Hassan. Er hat fünf seiner sieben Lebensjahre in IS-Gefangenschaft verbracht. Rastlos rennt Hassan zwischen den Zelten umher, mit einem Plastikschlauch schlägt er auf einen anderen Jungen ein. Die Ermahnungen seiner Großmutter ignoriert er, er bewirft sie mit Müll. "Sein Herz ist gebrochen", sagt sie. Dann fragt sie den Leiter des Lagers nach Valium. Das Kind finde auch nachts keine Ruhe. Wansa Khalef sieht ihre Perspektive längst nicht mehr in der zerstörten Shingal-Region, aus der sie stammt. Khalef will nach Australien.

Bei der deutschen Botschaft im Irak ist die Zahl der Visa-Anträge ungebrochen hoch; in Deutschland bilden Iraker nach Syrern die zweitgrößte Gruppe der Asylbewerber. Allein im Januar waren es rund 1500 Menschen. Zum Vergleich: Im gesamten letzten Jahr kehrten etwa 1800 Iraker auf Kosten der Bundesregierung zurück.

Diejenigen, die keine Chance haben, den irakischen Flüchtlingslagern zu entkommen, halten sich oft als Tagelöhner über Wasser. Auch das Entwicklungsministerium stellt sie an, etwa für Bauarbeiten. "Cash for Work" nennt Minister Müller solche Hilfsjobs, die mal einige Wochen dauern, mal ein paar Monate. "Nachhaltig" sind diese Perspektiven nicht.

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SZ vom 07.03.2019/bkm
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