Süddeutsche Zeitung

Migration:Österreich hat eine Obergrenze: 127 500 Flüchtlinge bis 2019

  • Österreich will bis 2019 insgesamt rund 127 500 Flüchtlinge aufnehmen
  • Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden 90 000 Asylanträge gestellt.
  • Für diejenigen, die nach Erreichen der Obergrenze eintreffen, seien "Wartezonen" angedacht.

37 500 Asylbewerber sollen 2016 aufgenommen werden

In Deutschland wird seit Monaten heftig über sie gestritten, in Österreich ist sie nun beschlossene Sache: die Obergrenze für Flüchtlinge. Die Regierung in Wien will künftig pro Jahr nur noch eine bestimmte Anzahl an Asylsuchenden ins Land lassen. In den kommenden vier Jahren wolle das Land insgesamt rund 127 500 Flüchtlinge aufnehmen, sagte Bundeskanzler Werner Faymann nach Gesprächen mit den Bundesländern. Dies sei ein Richtwert, der sich an maximal 1,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung orientiere.

Im laufenden Jahr sollen bis zu 37 500 Asylbewerber aufgenommen werden, 2017 insgesamt etwa 35 000, im Jahr 2018 maximal 30 000 und 2019 insgesamt 25 000 Menschen. Die Zahlen gelten offenbar inklusive Familiennachzug und sind gerundet.

"Wartezonen" für überzählige Flüchtlinge sind angedacht

Was geschehen soll, wenn die Obergrenze überschritten wird, ist noch offen. Dazu sollten zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben werden, kündigte die Regierungsspitze in Wien an. Diese sollen in wenigen Wochen vorliegen. Angedacht sind grenznahe "Wartezonen" für all diejenigen, die nach Erreichen der Obergrenze eintreffen.

Bundeskanzler Faymann, der sich zunächst gegen jede Art von Deckelung gewehrt hatte, bezeichnete die Vorgehensweise als "Notlösung" und "Plan B", der auch ein "Aufrütteln" der EU bezwecke. "Die große Anzahl an Flüchtlingen überfordert unser System", sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Daher werde man auch im "Grenzmanagement" auf Kontrollen und Registrierungen setzen. Es würden möglicherweise auch Flüchtlinge zurückgewiesen.

2015 wurden 90 000 Asylanträge gestellt

Über die sogenannte Balkanroute gelangen derzeit zahlreiche Flüchtlinge nach Österreich. Obwohl die meisten nach Deutschland weiterreisen wollen, verzeichnete auch Österreich im vergangenen Jahr die Rekordzahl von 90 000 Asylanträgen bei 8,5 Millionen Einwohnern. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist dies einer der höchsten Werte in der EU.

Die Einführung einer Obergrenze sei grundsätzlich mit der deutschen Bundeskanzlerin besprochen worden. Konkrete Gespräche werden nun nach dem Beschluss noch folgen, sagte Faymann. "Die Koordination mit Deutschland wird eng bleiben", sagte Faymann. Als weitere Maßnahme will Österreich die Grenzkontrollen an den Grenzen zu Kroatien und Slowenien verschärfen. Dabei soll Deutschland das Nachbarland unterstützen.

Rechtliche Regelung der Obergrenze noch unklar

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hatte zuvor für eine Obergrenze von 30 000 Flüchtlingen pro Jahr plädiert. Die Sozialdemokraten von Kanzler Werner Faymann wollten 120 000 Flüchtlinge auf drei Jahre verteilen - also 40 000 pro Jahr.

Unklar ist bislang auch, wie die Zahl rechtlich verankert werden soll. "Es wird eine Art Obergrenze geben, auch zur Orientierung für die EU", sagte Mitterlehner. Es müsse sichergestellt werden, dass das Recht auf Asyl nicht gefährdet werde. Man könne nicht mehr "in dieser Dynamik Flüchtlinge aufnehmen. Das verursacht qualitative, quantitative und kulturelle Probleme."

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz äußerte Verständnis für die Entscheidung Österreichs. Auf einer Pressekonferenz in Brüssel sagte er, das Land habe alles getan, um Maßnahmen wie jene zu verhindern, die jetzt beschlossen wurde; dafür zolle er der Regierung in Wien "größten Respekt". Dass sie sich nun doch für eine Obergrenze entschieden habe, liege daran, dass Österreich, wie beispielsweise auch Deutschland, in der Bewältigung der Flüchtlingskrise "alleine gelassen" werde.

Den Widerstand einiger osteuropäischer EU-Mitgliedstaaten gegen eine Umverteilung der Flüchtlinge bezeichnete Schulz als "Zynismus". "Es wäre keine Krise, wenn sich alle 28 Staaten beteiligen würden", so Schulz. 160 000 Asylsuchende sollen in den kommenden zwei Jahren aus den besonders betroffenen Staaten in andere EU-Länder gebracht werden; tatsächlich umverteilt wurden bisher 322 Menschen.

In Deutschland kann die Diskussion schon heute Abend weitergehen

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederholte seine Kritik an den Staaten, die sich einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise verweigerten. Zugleich hob Juncker hervor, dass für das bisherige Scheitern der Umverteilungspläne auch zahlreiche Asylsuchende mitverantwortlich seien, die die ihnen zugewiesenen Plätze nicht akzeptierten. Auch der niederländische Premierminister Mark Rutte, der in den kommenden sechs Monaten dem europäischen Rat vorsitzen wird, forderte, man müsse der "Idee ein Ende setzen, dass die Flüchtlinge selbst entscheiden dürfen, wo sie hinkommen".

Dass sich die Regierung in Wien nun auf eine feste Zahl an Flüchtlingen festgelegt hat, dürfte auch die Debatte in Deutschland erneut anheizen. Am Vormittag betonte Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass eine Begrenzung des Zuzugs nicht per se unethisch sei, sondern helfe, "Akzeptanz zu erhalten". Und bereits seit Monaten fordert die CSU beharrlich eine Obergrenze, die Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso beharrlich verweigert. Die nächste Gelegenheit zum unionsinternen Schlagabtausch bietet sich schon heute Abend in Wildbad Kreuth - nur wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt.

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