Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Migranten nehmen niemandem Arbeit weg

  • Laut OECD sind 70 Prozent der Migranten in Deutschland in Beschäftigung.
  • Sie besetzen oft Nischen, die anderweitig nicht geschlossen werden.
  • Allerdings müssen viele eher schlecht bezahlte Jobs annehmen.

Von Benjamin Emonts, Berlin

Es kommen weniger Flüchtlinge nach Deutschland, aber immer mehr Menschen, die hier arbeiten oder studieren wollen. Das geht aus dem Migrationsausblick 2019 der OECD hervor, der in Berlin vorgestellt wurde. Die Beschäftigungsquote der Migranten in Deutschland ist demnach besser denn je. Ende 2018 lag sie auf dem historischen Hoch von 70 Prozent. Die Vorstellung, dass Migranten oftmals arbeitslos seien oder andernfalls die Arbeitsplätze von im Land Lebenden wegschnappten, wird in dem Bericht widerlegt. Migranten können demnach sogar helfen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Als Beispiel nannte der Migrationsexperte der OECD Thomas Liebig Firmen, die erst mithilfe neuer Fachkräfte aus dem Ausland expandieren können. Migrantinnen übernähmen häusliche Arbeiten und schafften Einheimischen dadurch Freiräume. "Zuwanderer füllen häufig Nischen, die anderweitig nicht geschlossen werden. So werden wiederum neue Möglichkeiten für andere geschaffen", sagte Liebig.

Die Migranten profitierten überproportional stark von der guten Konjunktur in Deutschland, weil sie bereit seien, verschiedenste Jobs anzunehmen. Viele Migranten wüssten schon vor der Reise nach Deutschland, dass sie einen Job bekommen oder in Aussicht haben. Positiv wirkten sich zudem Integrationsmaßnahmen der Bundesregierung auf die Beschäftigungsquote aus, etwa die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder die Förderung arbeitsbezogener Sprachkurse. Allerdings habe die relative Armut von erwerbstätigen Migranten zuletzt zugenommen. "Viele sind trotz eines relativ hohen Bildungsstandes oftmals gezwungen, relativ schlecht bezahlte Jobs anzunehmen", sagte Liebig.

Die Studie widerlegt die Annahme, dass der Großteil der Migranten in Deutschland und den OECD-Ländern Flüchtlinge seien. "Die Gruppe der Flüchtlinge ist im Gesamtblock der Zuwanderer eine sehr kleine, das wird häufig vergessen", sagte Liebig. Laut den Zahlen der OECD, zu der Länder wie Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA zählen, ist die Flüchtlingsbewegung deutlich rückläufig, auch weil viele Länder ihre Migrationspolitik verschärft haben.

Die Zahl der Asylanträge in den 36 Mitgliedstaaten sank im Jahr 2018 auf 1,09 Millionen, ein Rückgang um 34 Prozent im Vergleich zu 2015 und 2016. In Deutschland sank die Zahl der neuen Asylanträge 2018 um 18 Prozent auf knapp 160 000. Allerdings berichtete die EU-Kommission am Dienstag von einem deutlichen Anstieg der Asylgesuche in der EU im Juli.

Auch die irreguläre Einwanderung etwa über das Mittelmeer sei derzeit geringer als in manchen Jahren vor der Flüchtlingskrise. Dennoch rechnet die OECD mit neuen "krisenhaften Situationen" in Europa. Man könne nicht sagen, wann. Die Gelegenheit sei aber derzeit gut, sich darauf vorzubereiten.

Deutschland bleibt laut der Studie das zweitbeliebteste Einwanderungsland nach den USA. In die Bundesrepublik wanderten 2017 rund 1,5 Millionen Menschen ein, etwa 1,1 Millionen wanderten ab, oftmals in Nachbarländer. Die meisten Zuwanderer stammen inzwischen aus Rumänien, 2017 waren es mehr als 230 000. Sie lösten die Polen als stärkste Zuwanderergruppe ab. Auf die dritte Stelle schob sich Bulgarien vor Syrien.

Statt aus mittel- und osteuropäischen Ländern wie Polen kommen nun mehr Migranten aus dem Westbalkan nach Deutschland. Laut Liebig liegt das vor allem an der "Westbalkan-Regelung", welche die Bundesregierung im Jahr 2015 verabschiedete, um die Zahl der unbegründeten Asylanträge zu verringern. Menschen aus Serbien, Montenegro, Kosovo, Albanien, Bosnien und Nord-Mazedonien müssen seither statt Asyl nur noch ein Arbeitsvisum beantragen. Die Nachfrage ist groß.

Schließlich stellt die Untersuchung fest, dass Deutschland von allen nicht englischsprachigen Ländern die meisten internationalen Studierenden anzieht. Mit 265.000 Studierenden hat Deutschland Frankreich knapp von Platz eins verdrängt.

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