Migration - Magdeburg:Flüchtlingsrat findet "Boot ist voll"-Rhetorik unerträglich

Migration - Magdeburg: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Foto: Ronny Hartmann/dpa/Archivbild
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Foto: Ronny Hartmann/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Magdeburg (dpa) - Der Flüchtlingsrat in Sachsen-Anhalt hat Aussagen von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zur Belastungsgrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen scharf kritisiert. "Die aktuelle "Das Boot ist voll"-Rhetorik konservativer Spitzenpolitiker ist nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich, sondern lenkt auch von den eigentlichen Problemen ab", sagte ein Sprecher des Verbandes am Donnerstag.

Haseloff hatte angesichts der zuletzt gestiegenen Zugänge von Geflüchteten und Asylbewerbern vor einer Überlastung der Kommunen gewarnt. "Es gibt eine faktische Unterbringungsgrenze. Die Aufnahme- und Betreuungskapazitäten, die wir zur Verfügung haben, sind genauso endlich, wie sie es 2015 waren", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Magdeburg. In dem Jahr waren besonders viele Menschen nach Deutschland gekommen.

"Die Rückmeldungen der Kommunen belegen, dass die Kapazitäten aktuell stark beansprucht sind. Wir sind hier an einem Kipppunkt, wo es bald um die Unterbringung in Provisorien wie Zelten geht. Das kann niemand wollen", sagte Haseloff.

Das wollte der Flüchtlingsrat so nicht stehen lassen. "Gerade die vergleichsweise geräuschlose Aufnahme vieler Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hat doch gezeigt, dass es geht, wenn der politische Wille da ist, zivilgesellschaftlich angepackt wird und sich die Verwaltung flexibel zeigt", sagte der Sprecher. Stattdessen werde wieder "der tödlichen Logik von Abschottung und Migrationsabwehr das Wort geredet".

Man müsse vielmehr an den notwendigen Stellschrauben drehen, um die Aufnahme zu ermöglichen, erklärte der Sprecher. "An systemischen Mängeln wie Knappheit an bezahlbarem Wohnraum, Fachkräftemangel, medizinischer und psychosozialer Unterversorgung insbesondere im ländlichen Raum sind doch nicht Geflüchtete Schuld, sondern die politischen Verantwortungsträger." Gerade das strukturschwache Bundesland brauche mehr Zuwanderung.

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wurden in diesem Jahr bis Ende November mehr als 214.000 Asylanträge in Deutschland gestellt, rund 24 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Darunter waren knapp 190.000 Erstanträge, dies ist sogar ein Plus um 43 Prozent. Außerdem wurden in Deutschland seit Februar Hunderttausende Menschen aus der Ukraine aufgenommen.

Der Regierungschef von Sachsen-Anhalt kritisierte, dass bestehende Regeln häufig nicht eingehalten würden. Nach den sogenannten Dublin-Regeln muss ein Asylbewerber in dem EU-Staat, in dem er zuerst registriert wird, Asyl beantragen. Wer in einem anderen EU-Staat Schutz erhalten hat, soll nicht in einem weiteren Staat der Europäischen Union erneut einen Antrag stellen.

"Hier gibt es auf europäischer Ebene Defizite. Das meiste ist rechtlich geklärt, es muss aber auch durchgesetzt werden", sagte Haseloff. "Wir haben Schengen, Dublin - aber diese Vereinbarungen werden nicht konsequent umgesetzt. Wie will man das den Menschen im Land erklären?"

In Sachsen-Anhalt sind in diesem Jahr bisher mehr als 5300 Asylsuchende registriert worden. Außerdem wurden bisher rund 29.100 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen.

Am Mittwoch hatte das Land angekündigt, in dieser Woche eine weitere Außenstelle der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Nebra (Burgenlandkreis) in Betrieb nehmen zu wollen. Dort wurde eine Jugendherberge angemietet. Das Land hatte zuletzt die Kapazitäten der Erstaufnahmestelle in Halberstadt schrittweise ausgebaut.

© dpa-infocom, dpa:221222-99-987941/3

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