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Migration :Legale Wege öffnen

Die Politologin Franzisca Zanker erforscht Fluchtursachen. Die gestiegene Zuwanderung in die Europäische Union muss keine Krise sein, sagt sie, sondern könnte für die Aufnahme- wie für die Herkunftsländer ein Gewinn sein.

Von Franzisca Zanker

Migration gehört zu jenen Phänomenen, die es schon immer gegeben hat und die es immer geben wird. Europa kann selbst auf eine sehr lange Geschichte von Flucht und Migration zurückblicken. Die EU sollte deshalb das besondere Momentum, das von den hohen Vertriebenenzahlen der vergangenen zwei Jahre ausgeht, nicht verstreichen lassen. Sie kann eine positive Rolle bei der Bewältigung dieses globalen Problems spielen - wenn sich der politische Wille dazu findet.

Wichtig ist dafür zunächst die Versachlichung der emotional heftig aufgeladenen Migrationsdebatte: Die EU sollte mit all ihrer Kraft die Fakten in den Mittelpunkt stellen. Dass zum Beispiel nicht Europa, sondern die Länder des globalen Südens die Hauptlast in der aktuellen Flüchtlingskrise tragen. Dass sie dafür dringend Hilfe von außen benötigen. Und dass es selten Sinn macht, Migranten in Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aufzuteilen - in den allermeisten Fällen sind die Fluchtgründe gemischt.

Zweitens sollte die EU mehr Möglichkeiten legaler Migration schaffen. Damit würde sie nicht nur viele der Mittelmeerflüchtlinge vor der tödlichen Überfahrt bewahren, sondern auch den Europäern Vorteile verschaffen. Ein Beispiel: Im Bereich Altenpflege könnte die EU Ausbildungsvisa vergeben, kombiniert mit der Erlaubnis, nach der Ausbildung ein paar Jahre in Europa zu arbeiten. Das würde Lücken in Europa füllen; gleichzeitig profitieren die Heimatstaaten von den gut ausgebildeten Rückkehrern - ein "Triple-Win-Ansatz" also, von dem der Migrant, sein Herkunfts- und auch das Aufnahmeland etwas haben.

Allgemein müsste Europa Migration viel stärker zirkulär denken: Menschen kommen für eine begrenzte Zeit, arbeiten, schicken Geld nach Hause, kehren zurück, kommen vielleicht irgendwann noch einmal. Das bringt die Herkunftsstaaten voran und nimmt außerdem von den einzelnen Einwanderern den Druck, um jeden Preis in Europa bleiben zu müssen.

Drittens und letztens müsste die EU ihre Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern neu gestalten. Menschenrechte dürfen beim Dialog mit den Regierungen der Herkunftsstaaten keine untergeordnete Rolle spielen, denn oft ist ihre Missachtung ein zentraler Grund für die Flucht. Darüber hinaus sollten nicht nur die Regierungen Gesprächspartner sein, sondern auch überregionale Institutionen wie die Afrikanische Union, die selbst auch Programme zur Migrationsbewältigung erarbeitet. Auch Gemeindeverwaltungen und Nichtregierungsorganisationen müssen einbezogen werden. In Afrika haben viele Regierungen außerhalb der jeweiligen Hauptstadt kaum Einfluss - Fluchtursachen entstehen jedoch oft an der Peripherie.

Franzisca Zanker, Friedens- und Konfliktforscherin, arbeitet am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg zu Fluchtursachen.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2017
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