Draußen ist es längst dunkel, als der Unbekannte am 10. Oktober kurz nach 20 Uhr das Foyer des Kino-Centers am Krefelder Hauptbahnhof betritt. Der Mann beginnt, direkt hinter den Eingangstüren Benzin aus einem Kanister auszuschütten. Schon nestelt er in seinen Jackentaschen nach einem Feuerzeug, als zwei Polizisten – eher zufällig alarmiert von einem Passanten – eintreffen: Ein Beamter befiehlt dem mutmaßlichen Attentäter, sich zu ergeben. Doch der rennt weg in Richtung der Kinosäle, in denen 89 Besucher sitzen. Noch auf dem Gang stellen die Polizisten den Flüchtigen, und als der wieder in seine Jacke greift, schießen sie: Zwei Kugeln treffen den Mann in Oberschenkel und Schlüsselbein.
Der mutmaßliche Täter liegt seither im Krankenhaus. Ein Haftbefehl ist ausgestellt, ein Staatsanwalt ermittelt wegen des Versuchs schwerer Brandstiftung. Bisher gibt es keinerlei Indizien für ein terroristisches Motiv. Die Ermittlungen gehen ihren Gang.
Mittlerweile vermuten die NRW-Behörden, dass sie an jenem Donnerstagabend im letzten Moment einen psychisch kranken Menschen gestoppt haben. Denn es stellte sich heraus: Der 38-Jährige war doch kein Unbekannter. Sondern ein Iraner, der mit angeblich 27 verschiedenen Identitäten seit 22 Jahren durch Europa zog, wegen Gewalttaten mehr als vier Jahre im Gefängnis saß und Wochen vor dem verhinderten Anschlag Mitarbeiter des Krefelder Ausländeramts bedrohte. Der Krefelder Fall avanciert zum Exempel für die Unmöglichkeit des Rechtsstaats, einen vorbestraften Gewalttäter und vielfach auffälligen Geflüchteten nach geltenden deutschen und europäischen Gesetzen abzuschieben.
Diese Fälle „vergrößern das Misstrauen gegen Staat und Politik“
So sieht es auch Josefine Paul, die grüne NRW-Ministerin für Flucht und Integration. „Es kann nicht sein, dass sich jemand 22 Jahre in Europa aufhält, straffällig und verurteilt wird, Haftstrafen absitzt“, sagt Paul auf Anfrage der SZ, „und wir können ihn trotzdem nicht in sein Heimatland rückführen.“ Die Ministerin steht ohnehin in der Kritik: SPD und FDP sehen Paul in der politischen Verantwortung dafür, dass der spätere Attentäter von Solingen 2023 nicht nach Bulgarien überführt wurde.
Nun warnt die Grüne, Fälle wie in Krefeld vergrößerten „das Misstrauen gegen Staat und Politik“ und schürten gleichzeitig „einen Generalverdacht gegenüber friedlich hier lebenden und integrationsbereiten Migrantinnen und Migranten“. Paul weiß, wie die AfD in NRW den vereitelten Brandanschlag im Internet deutet: „Diese Gewalt verdanken wir der CDU“, dem Koalitionspartner der Grünen in Düsseldorf. Und die SPD-Opposition wirft ihr „sicherheitspolitisches Versagen“ vor. Als Kern des Problems macht Paul „das fehleranfällige System der Rückführungen“ aus: „Da müssen wir auf allen politischen Ebenen ran.“
Damit zeigt die NRW-Ministerin nach Brüssel, aufs EU-Asylrecht. Und nach Berlin. Nötig seien neue, bessere Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern vieler Geflüchteter. Nach den derzeitigen Verfahrensregeln muss der Iraner aus Krefeld auch jetzt keine Abschiebung fürchten. Denn seine Identität steht nicht eindeutig fest. Und einen Pass hatte der heute 38-Jährige schon nicht, als er 2002 erstmals als Jugendlicher nach Deutschland einreiste. Neue Papiere jedoch will Teheran ihm nur ausstellen, wenn der Mann bescheinigt, dass er freiwillig in sein Heimatland zurückwolle – was er verweigert. Vermutlich ahnt er: Die Chancen, dass Berliner oder Brüsseler Verhandler mit dem geächteten Mullah-Regime demnächst neue Regeln aushandeln werden, gehen gegen null.
Im Ausländeramt zertrümmerte er Möbel und griff Beamte an
Womit das Problem in Krefeld bleibt. Jahrelang, so berichtete die Rheinische Post, lebten Mitarbeiter des Ausländeramts in Angst vor dem iranischen Geflüchteten. Der Mann soll dort bereits 2009 Beamte und Besucher angegriffen, Büromöbel zertrümmert und Morddrohungen geäußert haben. Zeitweise lebte er in einer Psychiatrie in NRW, wegen Gewalt- und Sexualdelikten saß er nach 2010 für vier Jahre und drei Monate in Haft. Auch in Frankreich, wo der Mann vermutlich zwischen 2014 und 2024 hauptsächlich lebte, soll er Straftaten begangen haben. Spuren von ihm finden sich in elf Ländern, von Spanien bis Russland.
Als der Geflüchtete im April 2024 erneut in Krefeld auftauchte, rüstete die Stadtverwaltung sofort den eigenen Sicherheitsdienst im Ausländeramt auf. Und nach einem Zwischenfall meldete die Stadt den Mann bei einem NRW-Präventionsprogramm für potenzielle Gewalttäter – vermutlich zu spät, am 10. Oktober war sein Fall noch in der Prüfungsphase, wie das Innenministerium mitteilt.
Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) fordert deshalb nun Nothilfe vom Land: NRW müsse schnellstens eine zentrale Unterkunft für gefährliche Geflüchtete schaffen – mit Schutzräumen für die Mitarbeiter und verstärkten Sicherheitsdiensten.