Die Unterbringung Geflüchteter überfordert die Kommunen - dieser Satz gehört in der Migrationsdebatte zum Standardrepertoire. Knapp 330 000 Menschen haben 2023 einen Erstantrag auf Asyl gestellt in Deutschland, dazu kommen etwa eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer. Ihre Unterbringung kostet Kraft. Aber - stimmt es wirklich, dass Kommunen damit heillos überlastet sind? Eine Untersuchung, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, kommt zu einem anderen Ergebnis: Bei der Beherbergung Zugewanderter hat sich demnach die Lage etwas entspannt, dafür wachsen Probleme anderswo.
"Die Kommunen sind zweifellos weiterhin gefordert bei der Unterbringung Geflüchteter. Sie scheinen gleichzeitig eher selten überlastet", heißt es in der Untersuchung mit dem Titel "Weiter am Limit?". Die Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim hat sie mit dem Mediendienst Integration erarbeitet, auch um der Hitze der Zuwanderungsdebatte mit Versachlichung zu begegnen und mit Zahlen.
Die Mehrheit sagt: "Herausfordernd, aber (noch) machbar"
773 Städte, Gemeinden und Landkreise haben per Fragebögen Auskunft gegeben zur Unterbringung Geflüchteter. Einige hatten schon 2023 an einer solchen Umfrage teilgenommen. Der Vergleich zeigt: Die Lage bleibt herausfordernd, hat sich aber vielerorts verbessert. Als "überlastet, im Notfallmodus" sehen sich demnach 23 Prozent der befragten Kommunen. Vergangenen Herbst waren es noch 40 Prozent. 71 Prozent betrachten die Unterbringungssituation vor Ort als "herausfordernd, aber (noch) machbar". 2023 sagten das 60 Prozent. Knapp sechs Prozent gaben an, die Situation sei "ohne größere Schwierigkeiten" zu meistern. 2023 waren das mit 1,5 Prozent noch deutlich weniger Kommunen.
Die Zuversicht ist demnach gewachsen. Nur haben die Statistiken ihre Tücken. Als das Forschungsteam 2023 Kommunalverbände zur Flüchtlingsbeherbergung befragte, kamen über die Hälfte der Antworten aus Baden-Württemberg - während in Ostdeutschland kaum jemand reagierte. Die Ergebnisse waren nicht repräsentativ. 2024 haben die Wissenschaftler nachgefasst und deutlich mehr Antworten erhalten. Das Ergebnis ist auch diesmal nicht repräsentativ. Der Anteil ostdeutscher Kommunen immerhin entspreche jetzt "annähernd" dem Bevölkerungsanteil.
"Herausfordernd, aber noch machbar", so umriss bei der Präsentation am Mittwoch Migrationsforscher Boris Kühn von der Universität Hildesheim die Lage. Dass sich vorsichtige Entspannung zeige, führt das Forschungsteam auch darauf zurück, dass die Asylbewerberzahlen Anfang 2024 leicht zurückgingen. "Ich glaube, dass die Grenzkontrollen zu einer gewissen Abschreckung geführt haben", sagte Finn-Christopher Brüning, Referatsleiter für Flüchtlingspolitik beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.
An manchen Orten ist permanenter Flüchtlingskrisenmodus aber auch Professionalisierung gewichen. "Manchen Kommunen ist es gelungen, in der Zwischenzeit die Unterbringungskapazitäten deutlich auszubauen", heißt es in dem Bericht. Andere hätten ihre "strategische Aufstellung" und die Kommunikation verbessert.
In sieben Prozent der Kommunen müssen Turnhallen als Bleibe herhalten
Aus Cottbus etwa, nah an der polnischen Grenze, kamen am Mittwoch gelassene Töne. "In den ostdeutschen Bundesländern haben wir immer noch Kapazitäten aus den Plattenbauten", sagte Stefanie Kaygusuz-Schurmann, zuständig für Bildung und Integration bei der Stadt Cottbus. "Wir haben mit der Zuweisung kein Problem gehabt in den letzten Jahren." In Cottbus seien Behörden und Beratungsstellen gut vernetzt, die Zahl der Wohnungen für Geflüchtete könne schnell hochgefahren werden. Allerdings habe die Ruhe keinen Ewigkeitswert. "Wenn sich Ressourcen verknappen, schlägt die Stimmung immer um."
Und nicht überall ist die Bereitschaft so hoch, Einwanderung als Dauerzustand zu akzeptieren. Nur 30 Prozent der ostdeutschen Kommunen bereiten sich laut Untersuchung auf erneut steigende Flüchtlingszahlen vor. Im Westen sagten das 85 Prozent von sich. Zur Vorbeugung gehöre es etwa, "kontinuierlich" Gebäude oder Wohnungen zu akquirieren - oder "Auszugsmanagement" zu betreiben, so der Bericht.
Denn in mehr als 86 Prozent der befragten Kommunen verharren Menschen länger in kommunalen Unterkünften als sie müssten - oft weil sie keine andere Wohnung finden. Für Neuankömmlinge fehlt dann Platz. Jede vierte Kommune hat bereits seit mehr als zwei Jahren Wohncontainer für Geflüchtete. Turnhallen müssen in sieben Prozent als Bleibe herhalten, Zelte in 2,2 Prozent. Katastrophale Zustände sind das eher nicht. Trotzdem stößt in jeder zweiten Kommune die Unterbringung Geflüchteter auf Widerstand in der Bevölkerung.
Und der optimistische Tenor der Hildesheimer Untersuchung wird nicht überall geteilt. 30 Prozent der befragten Kommunen erlebten die vergangenen sechs Monate als Verschlechterung. Dieser Eindruck entstehe oft an Orten, die über Jahre nicht aus dem Notfallmodus herauskämen, sagte Kühn. Das Forscherteam will sich indes nicht nachsagen lassen, die Zustände schönzureden. Es weist aber auch auf politische Faktoren in der Untersuchung hin.
Die Schärfe der Migrationsdebatte muss nicht den Fakten vor Ort entsprechen
So hätten 37 Prozent der politischen Führungskräfte ihre Kommune als "überlastet" beschrieben, Beschäftigte in Fachabteilungen hingegen nur zu 21 Prozent. "Bürgermeister sind in einem Diskurs um mehr Geld von höherer Ebene", sagte Kühn. Deshalb argumentierten sie eher "politisch". Auf der Fachebene wollten manche eher betonen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht haben.
Und noch ein anderes Thema kam am Mittwoch zur Sprache: "Aktuell prägt weiter ein Überforderungsdiskurs politische Entscheidungen und Debatten, der von einer differenzierten Lagebetrachtung teilweise entkoppelt ist", heißt es in dem Bericht. Die Schärfe der Migrationsdebatte muss nicht den Fakten vor Ort entsprechen, so ist das zu verstehen.
Manche Probleme haben sich auch verlagert. Schwieriger als die Flüchtlingsunterbringung erscheinen Kommunen die Zustände in Ausländerbehörden. Dort werde im "Notfallmodus" gearbeitet, gaben 57 Prozent an. 44 Prozent sahen Überforderung in Kitas, 33 Prozent in Schulen. Zahlreiche Städte und Gemeinden wünschten sich schlicht: weniger Geflüchtete.
Neben objektiven Hürden gebe es aber auch die im Kopf, sagte Ralf Sabelhaus, Fachdienstleiter Integration der Stadt Osnabrück. Dort verschlechtere sich nicht die Lage, sondern das politische Klima, sagte er. "Wir finden kaum noch Menschen, die sich dauerhaft im Ehrenamt um Geflüchtete kümmern wollen." In Behörden herrsche "Projektitis", weil die Migrationsgesellschaft nicht als Dauerzustand begriffen werde. Das gelte fürs Schulamt und für Ausländerbehörden, in denen viele ihre Arbeit mit "Abwehrgedanken" gegen Zugewanderte verrichteten. "Diesen Spirit", so Sabelhaus, "müssen wir aufbrechen."