Migration:Das schiefe Bild der Parallelgesellschaft

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Die Initiative "Über den Tellerrand" bringt in mehreren deutschen Städten Zuwanderer und Beheimatete zusammen - wie hier in München. (Foto: Catherina Hess)

Viele Zuwanderer sind mit Deutschen ohne Migrationshintergrund befreundet, zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Integration sei auf einem "sehr guten Weg". Menschen mit türkischen Wurzeln fühlen sich aber häufig abgelehnt.

Von Bernd Kramer, Hamburg

Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour war wenig begeistert von dem, was die Bundeskanzlerin und verschiedene Migrantenverbände bei ihrem Integrationsgipfel vorige Woche verabredet hatten. Zu wohlig die Atmosphäre, zu mutlos die Ergebnisse. Kritische Stimmen, die Zugewanderten auch einmal etwas abverlangen wollen, hätten gefehlt, mal wieder. Es gehe schließlich darum, sagte Mansour im Deutschlandfunk, Parallelgesellschaften zu verhindern. Das Schlagwort steht für abgekapselte Migrantenmilieus, deren Mitglieder auch nach Jahrzehnten im Land die Sprache demonstrativ nicht beherrschen und jeden Kontakt zu Einheimischen meiden. Aber inwieweit entspricht dieses Bild überhaupt der Realität?

Eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wirft nun ein kritisches Licht auf den Begriff. "Es deutet wenig darauf hin, dass sich Parallelgesellschaften herausbilden", sagt der Ökonom Wido Geis-Thöne. "Wir sind auf einem sehr guten Weg, selbst da, wo es vielleicht noch Probleme gibt."

Der Forscher hat den Blick auf ein Detail gelenkt, das eher selten im Mittelpunkt der Integrationsdebatte steht, aber entscheidend ist für die Frage, ob Migrantinnen und Migranten Teil der deutschen Gesellschaft werden: ihre Freundschaften. Es nütze wenig, so die Überlegung, die Statistiken wie üblich allein nach Arbeitslosigkeitsquoten oder Bildungsabschlüssen auszuwerten. Migrantinnen und Migranten könnten schließlich noch so gut in der Schule sein und problemlos Jobs finden - sich aber trotzdem weiter in anderen Kreisen bewegen als ihre Mitbürger ohne Zuwanderungsgeschichte. Ausgewertet hat der IW-Ökonom für seine Studie das Sozio-ökonomische Panel, eine regelmäßige Befragung Tausender Haushalte.

56 Prozent der Zugewanderten der ersten Generation gaben dabei an, dass ihr Freundeskreis mehrheitlich aus Personen ohne Migrationshintergrund besteht. Bei den Nachkommen, den Zugewanderten der zweiten Generation, waren es sogar schon 77 Prozent. Wenig deutet somit darauf hin, dass Migrantinnen und Migranten vorzugsweise unter sich blieben. Ein großer Teil von ihnen sieht sich selbst zudem voll und ganz oder überwiegend als deutsch an: Unter Zugewanderten der zweiten Generation empfinden sich 75 Prozent als deutsch; in der Elterngeneration waren es mit 50 Prozent naturgemäß weniger, aber auch dieser Wert ist über die Zeit gestiegen. 2003 waren es erst 40 Prozent der Zuwanderer der ersten Generation, die von sich selbst sagten, sie seien Deutsche.

Spätaussiedler bleiben oft unter sich

Dennoch zeigen sich Unterschiede zwischen den Gruppen: Zugewanderte mit türkischen Wurzeln etwa berichten sehr viel seltener als andere Migranten von Freundschaften zu Mitbürgerinnen ohne Migrationshintergrund. Nur 36 Prozent der ersten Generation haben mehrheitlich Kontakt zu Menschen ohne Migrationsgeschichte. Selbst unter den Nachkommen, die in der Regel in Deutschland aufgewachsen sind, sind es nur 46 Prozent. Türkischstämmige Migrantinnen und Migranten sagen allerdings auch deutlich häufiger als andere, dass ihnen im Alltag Ablehnung begegnet. Immerhin: In vielen Aspekten gab es eine "deutliche Verbesserung über die Zeit", wie es in der Studie heißt.

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Ein näherer Blick in die Daten offenbart zudem, wie komplex die Fragen von Zugehörigkeit und Identität letztlich sind: Man kann sich als Teil der deutschen Gesellschaft empfinden und trotzdem überwiegend mit anderen Zugewanderten zu tun haben - und umgekehrt. Zugewanderte aus der früheren Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten empfinden sich in ihrer großen Mehrheit als Deutsche, wohl auch, weil sie als Spätaussiedler vielfach die Staatsbürgerschaft längst haben - dennoch sind ihre Freundeskreise eher abgeschnitten von denen der angestammten Bevölkerung. "Dass es so wenige Verbindungen zu Einheimischen gibt, ist erstaunlich", sagt Geis-Thöne. Wahrscheinlich liege es daran, dass Zugewanderte aus Osteuropa sich in bestimmten Regionen und Gemeinden ballen und seltener verstreut übers Land leben.

Ein gegenteiliges Muster gibt es bei Zugewanderten aus Italien, Griechenland oder anderen EU-Staaten: Sie haben viele Freundschaften zu deutschstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern - verstehen sich aber, auch in der zweiten Generation, vergleichsweise selten selbst als Deutsche. Womöglich weil durch eine gemeinsame europäische Identität nicht so viel am Deutschsein hängt, um sich zugehörig zu fühlen, meint Ökonom Geis-Thöne. EU-Bürger teilen schließlich viele Rechte mit Deutschen. "Es bedeutet nun einmal etwas ganz anderes, ob ich als Türke in Deutschland lebe oder als Italiener."

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