Die restriktive Flüchtlingspolitik der Europäischen Union zeigt Wirkung. Wie die Grenzschutzbehörde Frontex am Dienstag in Warschau mitteilte, ist die Zahl der irregulären Einreisen in die EU im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 um 38 Prozent gesunken, auf rund 239 000. Damit sei der niedrigste Stand seit 2021 erreicht, als noch die Pandemie viele Menschen von der Flucht Richtung Europa abhielt, teilte Frontex-Chef Hans Leijtens mit. Der Trend der letzten Jahre wurde also umgekehrt.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die vorläufigen Frontex-Zahlen – sie reichten bis einschließlich November 2024 – bereits kurz vor Weihnachten den europäischen Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel vorgelegt, als Beleg dafür, dass die EU-Politik ihren Zweck erfülle.
Verschärfte Visaregeln und Grenzkontrollen
Grund für den Rückgang sind offensichtlich vor allem die Flüchtlingsabkommen der EU mit nordafrikanischen Staaten, etwa Tunesien. Sie versprechen den Regierungen umfassende Wirtschafts- und Finanzhilfen im Gegenzug dafür, dass Schleusern das Handwerk gelegt wird und somit Flüchtlinge von der Flucht auf der „zentralen Mittelmeer-Route“ Richtung Europa abgehalten werden.
Gewirkt hat offensichtlich zudem die verstärkte Zusammenarbeit mit den sechs Westbalkan-Staaten. Auch auf dieser Route kamen 2024 sehr viel weniger Migranten in die EU als im Jahr zuvor. Visaregeln und Grenzkontrollen wurden verschärft, auch Frontex wurde zur Grenzsicherung eingebunden.
Die noch amtierende deutsche Bundesregierung nimmt im laufenden Wahlkampf für sich in Anspruch, die stark sinkenden Zahlen irregulärer Einreisen nach Deutschland sei das Ergebnis der Grenzkontrollen, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) anordnete. Die Frontex-Zahlen legen den Schluss nahe: Deutschland muss vor allem deshalb weniger Flüchtlinge aufnehmen, weil insgesamt weniger Flüchtlinge nach Europa kommen.
Giorgia Meloni setzte Migrationsabkommen durch
Die EU ist in ihrer gemeinsamen Migrationspolitik im letzten Jahr in wesentlichen Punkten vorangekommen. Im Frühjahr wurde die große europäische Asylrechtsreform verabschiedet, die in zwei Jahren in Kraft treten soll. Sie zielt darauf ab, Migranten mit geringer Aussicht auf Asyl nach Schnellverfahren an den Außengrenzen sofort wieder abzuschieben. Schritt für Schritt soll mit dieser Reform wieder die europäische Regel durchgesetzt werden, dass für ein Asylverfahren der Staat zuständig ist, in dem der Flüchtling den Boden der EU betritt.
CDU und CSU führen dagegen Wahlkampf mit dem Versprechen, einen sofortigen Aufnahmestopp für Flüchtlinge zu verhängen, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist sind. Ein derartiges Vorgehen würde den ganzen europäischen Kompromiss infrage stellen.
Einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Migrationspolitik leistete die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. Sie erklärte sich dazu bereit, dass ihr Land mehr Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen übernimmt. Im Gegenzug setzte sie die Migrationsabkommen mit Staaten wie Tunesien durch, die in Brüssel zunächst auf große Skepsis stießen. Denn zumeist hat es die EU mit autokratischen Regierungen zu tun.
Rekordzahlen auf der Westafrika-Route
Aus den Frontex-Zahlen geht hervor, dass die Zahl der Migranten, die aus Tunesien und Libyen in Italien ankamen, auf 66 800 gesunken ist, das ist ein Rückgang um 59 Prozent gegenüber 2023. Auf der Westbalkanroute meldete Frontex 21 500 irreguläre Grenzübertritte, ein Rückgang um 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Nicht überall in Europa sind die Flüchtlingszahlen jedoch gesunken. Einen leichten Anstieg meldet Frontex für die östliche Mittelmeerroute, auf der vor allem Menschen aus Syrien und Afghanistan nach Europa kommen. Die Zahl der Syrer hat sich in den Statistiken von Frontex jedoch auf rund 45 000 halbiert. Diese Werte sind jedoch noch nicht das Ergebnis des Umsturzes in den Damaskus.
Rekordzahlen meldet Frontex für die Westafrika-Route. Die Kanarischen Inseln verzeichneten demnach einen Anstieg der Ankünfte um 18 Prozent auf fast 47 000, die höchste Zahl seit Beginn der Datenerfassung durch Frontex im Jahr 2009. Auch im Osten der EU stiegen die Zahlen. Vor allem an den Grenzen zur Ukraine und zu Belarus habe sich die Zahl der Grenzübertritte auf rund 17 000 Einreisen verdreifacht, meldet Frontex.
Als großes Problem gilt in Brüssel die Instrumentalisierung von Flüchtlingen durch Russland und Belarus. Flüchtlinge würden ganz gezielt an die Grenzen gelotst mit dem Versprechen, sie würden Aufnahme in der EU finden. Die finnische Regierung hat deshalb in einem Gesetz die Möglichkeit geschaffen, das Asylrecht außer Kraft zu setzen. Die polnische Regierung unter Donald Tusk will einen ähnlichen Weg gehen. Ob solche Gesetze mit europäischem Recht vereinbar sind, ist umstritten.