Süddeutsche Zeitung

EU-Außengrenze:Plötzlich abgeschoben

Amnesty International wirft Griechenland vor, Geflüchtete brutal in die Türkei zurückzubringen. Athen bestreitet dies.

Von Tobias Zick

Er habe den Polizisten noch das Dokument gezeigt, das ihn als registrierten Asylbewerber ausweise, berichtet der Mann aus Syrien namens Nabil, "aber dann haben sie es mir abgenommen und zerrissen, und dann sagten sie mir, ich solle in den Bus einsteigen".

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den Fall dokumentiert; demnach wurde der 31-Jährige im Juli 2020 im Hafen von Igoumenitsa im Nordwesten Griechenlands von drei Polizisten aufgegriffen. Sie hätten ihm sein Telefon abgenommen, zwei Tage sei er festgehalten worden, zusammen mit irakischen Kurden, Iranern und Afghanen. Schließlich hätten die Beamten den etwa 30 Inhaftierten gesagt, sie würden jetzt nach Athen gebracht und dort freigelassen.

Nach zehnstündiger Busfahrt aber fanden sich Nabil und die anderen, die sich seinen Aussagen zufolge ebenfalls als registrierte Asylsuchende ausgewiesen hätten, in einer Hafteinrichtung nahe dem Grenzfluss Evros wieder, wo er mit Stöcken geschlagen worden sei. Von dort seien er und etwa 70 andere Menschen, darunter auch Kinder, schließlich ins Nachbarland Türkei abgeschoben worden.

"Griechenland: Gewalt, Lügen und Pushbacks" lautet der Titel des jüngsten Berichts von Amnesty International, in dem die Menschenrechtsorganisation schwere Vorwürfe gegen die Behörden des EU-Mitgliedstaats erhebt. Demnach seien Menschenrechtsverletzungen dort "zu einer fest verankerten Praxis geworden".

Vorwürfen, Schutzsuchende auf dem Meer zurück in türkische Gewässer zu drängen, ohne ihnen die Chance auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren zu gewähren, sieht sich Athen schon seit Längerem ausgesetzt, auch vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Die konservative Regierung von Premier Kyriakos Mitsotakis hatte im Juli 2019 angekündigt, die Kontrolle der EU-Außengrenze im Vergleich zur Praxis unter der linken Vorgängerregierung massiv zu verschärfen. Im Frühjahr 2020 eskalierte die Lage, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verkündet hatte, man werde Migranten auf dem Weg in Richtung EU nicht länger aufhalten, die Grenze sei offen. Zehntausende versammelten sich auf der türkischen Seite des Grenzflusses Evros, wurden von griechischen Grenzschützern mit Tränengas beschossen und mitunter brutal zurückgedrängt.

Solche Praktiken haben die griechischen Behörden laut Amnesty International beibehalten, auch nachdem sich die Lage am Fluss wieder entspannt hatte: "Gewaltsame Pushbacks" seien "de facto zur griechischen Grenzpolitik in der Evros-Region geworden". In vielen Fällen hätten die Griechen "gegen das internationale Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung" verstoßen: "Einige Vorfälle kamen aufgrund ihrer Schwere und der erniedrigenden oder strafenden Absicht auch Folter gleich."

Die griechische Regierung weist die Vorwürfe kategorisch zurück. Das Vorgehen der Behörden, erklärte das Migrationsministerium in Athen auf Anfrage der SZ, stehe "in vollem Einklang mit den internationalen Verpflichtungen des Landes" und dem EU-Recht. Vorwürfen gehe man systematisch nach. Bislang sei das Ergebnis immer dasselbe gewesen: Alle Vorwürfe etwa von Misshandlungen oder Pushbacks hätten sich alle als "haltlos" erwiesen.

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