Migration:„Ein bisschen Islam, ein bisschen halal und viel Grundgesetz“

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Überall Zeichen des Nichtwillkommens: Bank in Neukölln im Jahr 1999. (Foto: Wolfgang Kumm/DPA)

Deutschland als Einwanderungsland ist kein einfacher Ort. Vor diesem Hintergrund verfasst Mohammad Sarhangi eine „Gefühlsgeschichte“ der Migration“ – und lässt doch Wichtiges außer Acht.

Rezension von Sara Maria Behbehani

Obwohl in Deutschland inzwischen knapp 25 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben, bleiben sie noch immer allzu oft vor allem Zahlen in Statistiken. Deswegen ist es wichtig, dass Menschen Migration aus der Perspektive derer beschreiben, die diese Erfahrung machen. Es braucht Menschen, die den Zahlen Namen, Gesichter und Geschichten geben – zumal in Zeiten von Anschlägen wie in Mannheim und Solingen. Eines dieser Gesichter ist nun Mohammad Sarhangi, promovierter Historiker und Autor des Buches „Jahre der Angst, Momente der Hoffnung. Eine Gefühlsgeschichte der Migration“.

1986 ist er als kleiner Junge mit seiner Familie vor dem Ersten Golfkrieg aus Iran nach Deutschland geflohen. Während die Anträge auf Asyl seiner Eltern bewilligt werden, werden die der Söhne abgelehnt – aufgrund bürokratischer Logik. Die Anträge der Brüder stützten sich auf das Verfolgungsschicksal der Eltern, heißt es, den beiden Kindern drohe keine Gefahr.

„Mit Ausländerkindern spielen wir nicht.“

So beginnt für Sarhangi das Leben in einem Land, das es ihm nicht leicht macht. Als er Kinder auf einem Spielplatz fragt, ob er mitspielen dürfe, antwortet man ihm: „Nein, mit Ausländerkindern spielen wir nicht.“ Für ihn die erste Erfahrung sozialer Exklusion. „An einem bestimmten Punkt in unserem Leben sagt uns jemand, dass wir anders sind und dass diese Andersartigkeit mit einem großen Makel behaftet ist.“

Angst gräbt sich in das Leben der Familie ein: davor, nicht bleiben zu dürfen, einen Fehler zu machen, den Behörden ausgeliefert zu ein. „Mein Vater gestand mir erst kürzlich, dass sein Magen noch immer ‚bebt‘, wenn er den Briefkasten öffnet“, schreibt Sarhangi.

Es ist dies der Hintergrund, vor dem er sich der Analyse widmet, wie Exil, Fremdheit und Diskriminierung die Gefühle und Erfahrungen von Migranten prägen. Es hätte ein aufrüttelndes Zeugnis werden können, doch dem Autor gelingt es nicht, seine eigene Geschichte nahbar in diesen Kontext einzubetten. Zu sehr verharrt der Akademiker in einem Schreiben, in dem wissenschaftliche Arbeiten verfasst sind.

Zitate reihen sich an Zitate

Das, was sein Buch ist, stellt er selbst fest: „Die Leser*innen mögen es mir (...) verzeihen, dass ich im Text viele Bezüge zu anderen Wissensproduzent*innen herstelle und sehr oft aus ihren Texten zitiere. Zuweilen wird sich mein Buch wie eine Art Textcollage lesen.“ Zwar fügt er an, dass dies intendiert sei, doch da weite Passagen tatsächlich zu einer Aneinanderreihung von Zitaten geraten, stellt sich die Frage: Warum dann dieses Schreiben?

Sicherlich ist die zugrundeliegende Recherche eine sehr gründliche. Mit Navid Kermani, Eva Illouz, Didier Eribon, Armin Nassehi, Aladin El-Mafaalani und vielen weiteren zitiert Sarhangi sorgfältig die Stimmen, die in der Migrationsdebatte beachtet werden sollten. Allerdings erscheint die Arbeit mit ihnen so wissenschaftlich, dass sich das Buch nicht mehr an den normalen Bürger richten kann, sondern an eine dem Thema verhaftete akademische Klasse, die wiederum die Werke, auf denen Sarhangis Arbeit fußt, selbst kennt.

Mohammad Sarhangi: Jahre der Angst, Momente der Hoffnung. Eine Gefühlsgeschichte der Migration. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2024. 320 Seiten, 26 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (Foto: S. Fischer Verlage)

Dabei wird das Buch immer dann am stärksten, wenn der Autor eben doch auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreift. Beispielsweise, wenn er beschreibt, dass er schnell gelernt hat, was es heißt, ein „guter Ausländer“ zu sein, ein guter Muslim, das heißt eine „Art Muslim ‚light‘: ein bisschen Islam, ein bisschen halal und viel Grundgesetz. Also keine Gefahr für die deutsche Mehrheitsgesellschaft“. Oder, wie er in der Bahn und an Bushaltestellen auf Literatur zurückgreift, „denn von lesenden Menschen geht kaum Gefahr aus. Mein Blick war immer gesenkt, vor allem achtete ich besonders darauf, fremden (deutschen) Frauen nicht zu lange in die Augen zu schauen“.

Wie ginge eine „Politik der Geborgenheit“?

Ginge es auch anders? Sarhangi stellt die Frage, was Menschen mit Migrationserfahrung von Deutschland bräuchten, um sich zugehörig zu fühlen, und gibt als Antwort: „eine Inklusion in der Sach- und in der Sozialdimension sowie eine Politik der Geborgenheit“. Als Ziel ist das sicherlich ein hehres, doch in dem, was Sarhangi erwartet, gelingt es ihm nicht, die harte Realität in den Blick zu nehmen, die in der Bundesrepublik nun einmal herrscht – mit einem Mangel an Sozialwohnungen, an Lehrkräften, an Kitaplätzen, und vielem mehr. Es ist dies die Wirklichkeit, der Politiker gerecht werden müssen und auf die eine Gesellschaft reagiert. Bei jeder berechtigten Forderung, dass sich Dinge ändern müssen, ist auch das die ambivalente, schwierige Realität, auf die man in einem solchen Buch reagieren muss.

Stattdessen aber rutscht Sarhangi mitunter in eine überzeichnete Negativität ab, in der Deutschland der Erfahrungsraum von Ablehnung, Ausschluss und Kränkung wird und der Migrant unweigerlich zum Opfer. Von der Bundesregierung, Teilen der Medien und der nichtmigrantischen Mehrheitsgesellschaft werde das Gegenteil einer Politik der Geborgenheit betrieben: eine Anti-Einwanderungs-Politik. Migranten würden als entmenschlichte Arbeitskräfte betrachtet, wenn sie keine Leistungen brächten, würden sie ausgetauscht, Geflüchtete seien von der Regierung auserkoren, um sie indirekt für Wohnungsnot und ein verlorenes Sicherheitsgefühl verantwortlich zu machen. „Wir tragen die Kränkungen im Körper, die Momente der Ausgrenzung, das Gefühl, keine Rolle zu spielen, von der Geschichte ignoriert zu werden.“ Die Realität ist aber sicherlich auch auf dieser Seite vielschichtiger.

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