Migration:Wenn der Albtraum nie aufhört

Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge

Ein Drittel bis die Hälfte aller Flüchtlinge sind traumatisiert, schätzen Fachleute.

(Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Das Asylpaket II will die Abschiebung traumatisierter Flüchtlinge erleichtern.
  • Künftig sei grundsätzlich davon auszugehen, "dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen".
  • Nur noch "lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen", die durch eine Abschiebung "wesentlich verschlechtert" würden, sollen ein Hindernis sein.
  • Fachleute sehen darin eine "massive Entrechtung von Flüchtlingen".

Von Bernd Kastner

Die Leute in Uniform kamen am Vormittag, es war der 20. August 2015. Seither sind die Träume wieder da, und die Angst kommt, immer dann, wenn es an der Tür klopft. An jenem Tag standen plötzlich Polizisten im Zimmer der Familie Berisha, in einer Notunterkunft im rheinland-pfälzischen Frankenthal. Die beiden Kinder, elf und 13 Jahre alt, schliefen da noch, sie hatten Ferien. Sie würden nun alle drei abgeschoben, eröffneten die Beamten der Mutter, zurück nach Kosovo. Der Vater, dessen Asylverfahren noch lief, war da gerade beim Einkaufen. Als er zurückkam, war seine Familie weg. Frau und Kinder wurden zunächst auf eine Polizeistation gebracht, von dort aus ging es weiter nach Frankfurt. Flug JP 115 war für sie gebucht. Die Maschine der Adria Airways sollte am Nachmittag starten.

Die Regierung nehme "den Tod von Menschen in Kauf", kritisert eine Anwältin

Abschiebungen gelten der Bundesregierung als ein probates Mittel, um die Asylkrise in den Griff zu bekommen: Je mehr abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden, desto besser. Das Asylpaket II soll die Grundlagen dafür schaffen. Doch nun, da der Bundestag über den Gesetzentwurf debattiert, werden Stimmen lauter, die auf die Risiken für schwer kranke Flüchtlinge hinweisen.

Eine "massive Entrechtung von Flüchtlingen" konstatieren Dutzende Rechtsanwälte in einer "Berliner Erklärung". Der Gesetzgeber nehme "schwere gesundheitliche Schäden oder sogar den Tod von Menschen in Kauf", kritisiert die Münchner Asylanwältin Juliane Scheer. Sie hat einen Protestbrief an die Bundesregierung mitinitiiert, den 218 Anwälte aus ganz Deutschland unterzeichneten.

Für Admira Berisha (Name geändert) und ihre Kinder gilt noch das "alte" Gesetz. Schon auf dessen Basis ist manche Abschiebung sehr umstritten, auch in sogenannte sichere Herkunftsstaaten. In der Polizeistation unterschrieb eine Ärztin am 20. August ein Formblatt, die "Gewahrsamsfähigkeitsbescheinigung zur Durchführung von Abschiebungsmaßnahmen". Sie segnete damit die Abschiebung medizinisch ab und verordnete gleich noch das Psychopharmakon Diazepam - obwohl dieses Medikament bei Frau Berisha nicht verschrieben werden darf. Das hatten Ärzte der Stadtklinik Frankenthal vermerkt, wo die 52-Jährige wenige Wochen zuvor noch in Behandlung war.

Auf dem Entlassbericht ist ihr Gesundheitszustand so zusammengefasst: schwere depressive Episode, posttraumatische Belastungsstörung. Vermerkt ist auch, dass die Frau im Kosovokrieg 1999 ein Massaker überlebt habe, bei dem zwei Dutzend Menschen getötet worden seien, darunter Familienangehörige. Sie lebe nur deshalb noch, weil sie sich in einem Traktorreifen versteckt habe. Seitdem leide sie an Albträumen und höre Maschinengewehrschüsse im Schlaf. Die Frau klagte über starke Kopfschmerzen, sei müde und erschöpft, wolle niemanden um sich haben. Sie sei lebensmüde, habe schon Suizidpläne gemacht.

Die Stadt Frankenthal aber ist überzeugt, dass die Beschwerden auch in Kosovo behandelt werden könnten, dort, wo sie all das Schreckliche erlebte. Also wurde Flug JP 115 gebucht. Allein, dass die Familie dabei getrennt werden sollte, hält Berishas Anwältin Kirsten Striegler aus Mannheim schon für einen Verstoß gegen das Grundgesetz, das die Familie schützt.

Mit dem neuen Gesetz wird der Flüchtling als solcher für gesund erklärt

Mediziner, Juristen und Menschenrechtler befürchten, dass künftig noch mehr psychisch Kranke abgeschoben werden und so weiteren Schaden erleiden. Künftig, so steht es im Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Asylpaket II, sei grundsätzlich davon auszugehen, "dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen". Der Flüchtling als solcher wird also per Gesetz für gesund und reisefähig erklärt.

Nur noch "lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen", die durch eine Abschiebung "wesentlich verschlechtert" würden, sollen ein Hindernis sein. Eine posttraumatische Belastungsstörung soll in der Regel nicht dazu gehören. Fachleuten zufolge sind etwa ein Drittel bis die Hälfte aller Geflohenen traumatisiert. Etwa 40 Prozent von ihnen seien suizidal, so die Bundespsychotherapeutenkammer. Sie wirft Berlin vor, Flüchtlinge "unter Generalverdacht" zu stellen, eine psychische Erkrankung vorzutäuschen.

Will ein Flüchtling den Behörden belegen, dass allein der Abschiebevorgang seinen Zustand deutlich verschlechtern würde, muss er noch höhere Hürden als bisher überwinden. Ein Arzt muss ein Kurzgutachten verfassen. Falls er die strengen Formvorgaben nicht erfüllt, soll es ungültig sein - und ein zweiter Versuch nicht erlaubt. Hat die Erkrankung schon vor der Einreise nach Deutschland bestanden, soll sie auch kein Abschiebehindernis sein.

Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass eine Traumatisierung meist vor der Einreise nach Deutschland bestanden hat, sagt die Münchner Rechtsanwältin Gisela Seidler, die dem Ausschuss Asyl- und Ausländerrecht im Deutschen Anwaltsverein vorsitzt. Das Trauma entsteht, weil der Flüchtling in der Heimat oder auf der Flucht Schreckliches erlebt hat.

Gerade bei Frauen ist das Erlebte oft schambesetzt

"Traumatisierte treten meist nicht so energisch auf und fordern nicht lautstark ihre Rechte ein", sagt Elise Bittenbinder von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. "Wir müssen sicherstellen, dass Schutzbedürftige auch wirklich den nötigen Schutz erhalten. Viele traumatisierende Erlebnisse sind so schambesetzt, gerade bei Frauen, dass es ein vertrauensvolles Verhältnis in einem geschützten Rahmen braucht, um davon zu erzählen."

Bei Admira Berisha hat es lange gedauert, ehe sie von ihren Erlebnissen berichtet hat. Nachdem ihre Anwältin Striegler am 20. August von der gerade laufenden Abschiebung ihrer Mandantin und deren Kindern erfahren hatte, intervenierte sie beim Verwaltungsgericht Neustadt. Allein die Abschiebung bedeute eine große Gesundheitsgefahr.

Tatsächlich: Ein Richter stoppte die Aktion in letzter Minute. Das wäre eine gute Nachricht für die Familie, hätte bei der Mutter die versuchte Abschiebung nicht so tiefe Spuren hinterlassen. "Der psychische Schaden für Frau Berisha ist immens", schreibt ein Gutachter. Die Frau habe jetzt auch in Deutschland Angstzustände, so sehr habe sie der Besuch der Polizisten geschockt. Bei jedem Klopfen an die Tür zucke sie zusammen. "Die Therapeuten", schreibt der Gutachter, "müssen jetzt von Neuem beginnen."

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