Migration:Deutschland will jeden vierten Bootsflüchtling aufnehmen

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Migranten verlassen im Hafen von Pozzallo auf Sizilien ein Rettungsschiff. Foto: Francesco Ruta/ANSA (Foto: dpa)

Berlin (dpa) - Im Ringen um die Verteilung von im Mittelmeer geretteten Migranten in Europa ist die Bundesregierung bereit, jeden vierten in Italien ankommenden Bootsflüchtling aufzunehmen.

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Berlin (dpa) - Im Ringen um die Verteilung von im Mittelmeer geretteten Migranten in Europa ist die Bundesregierung bereit, jeden vierten in Italien ankommenden Bootsflüchtling aufzunehmen.

Innenminister Horst Seehofer sagte der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag), die Gespräche liefen noch. Wenn aber alles bleibe wie besprochen, "können wir 25 Prozent der aus Seenot geretteten Menschen übernehmen, die vor Italien auftauchen". "Das wird unsere Migrationspolitik nicht überfordern", versicherte der CSU-Politiker. Zugleich werde er darauf dringen, gerettete Migranten noch in Italien einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen.

"Ich habe immer gesagt, unsere Migrationspolitik ist auch human", sagte Seehofer. "Wir werden niemanden ertrinken lassen."

Das deutsche Angebot ist Teil der laufenden Bemühungen um einen Übergangsmechanismus für die Verteilung von aus Seenot geretteten Migranten auf EU-Länder, die dazu bereit sind. Italien und Malta hatten Rettungsschiffen mehrfach die Einfahrt verweigert, bis andere EU-Staaten die Aufnahme der Menschen zusagten. Dies wurde bislang aber jeweils im Einzelfall in mühsamen Gesprächen ausgehandelt - die Migranten mussten unterdessen teils wochenlang auf See ausharren.

Am 23. September könnte es nun Fortschritte geben - dann treffen sich auf Malta die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Maltas, auch der EU-Ratsvorsitzende Finnland und die EU-Kommission sind eingeladen. Ziel des Gesprächs sei ein gemeinsamer Vorschlag, "dem sich dann eine größtmögliche Zahl solidarischer Mitgliedsstaaten anschließen soll", teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Samstag mit. Es sei ein "unwürdiger und untragbarer Zustand, dass zwischen den Mitgliedsstaaten bei jedem neuen Schiff die Debatte über die Aufnahme und Verteilung der an Bord befindlichen Schutzsuchenden immer wieder aufs Neue geführt werden muss".

Nach Darstellung der "Süddeutschen Zeitung" und der "Bild"-Zeitung soll auch Frankreich bereit sein, 25 Prozent der in Italien anlandenden Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Vom Pariser Élyséepalast hieß es dazu, dass Mediengerüchte nicht kommentiert werden könnten. Die italienische Zeitung "La Repubblica" hatte Mitte der Woche berichtet, Italien wäre bereit, nur 10 Prozent der in internationalen Gewässern geretteten Migranten zu behalten. Die EU-Kommission wollte Details der laufenden Verhandlungen nicht kommentieren.

Seehofer führte aus, Deutschland habe auch bisher schon rund ein Viertel der Geretteten aus Italien übernommen: "An diesem Schlüssel ändert sich nichts." Deutschland hat sich nach Angaben des Innenministeriums seit Juni 2018 zur Aufnahme von bis zu 565 aus Seenot geretteten Menschen bereiterklärt, die in Italien oder Malta an Land gebracht wurden. Der Sprecher machte deutlich, dass es bei den laufenden Verhandlungen nur um die Übernahme von Asylsuchenden nach Rettungseinsätzen im Mittelmeer geht - also nicht um Migranten, die auf andere Weise nach Italien gelangen.

In Rom war bis vor kurzem Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini von der rechten Lega hauptverantwortlich für den harten Kurs in der Migrationspolitik. Nach dem jüngsten Regierungswechsel hoffen die europäischen Partner nun wieder auf mehr Kooperationsbereitschaft seitens der italienischen Regierung - und könnten ihrerseits geneigt sein, Hilfe anzubieten, um den innenpolitischen Druck auf die neue Mitte-Links-Koalition des parteilosen Regierungschefs Giuseppe Conte zu lindern. Seehofer hatte erst am Mittwoch seine Hoffnung auf einen Neuanfang mit der neuen italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese ausgedrückt und sie für kommenden Mittwoch nach Berlin eingeladen.

Scharfe Kritik an Seehofers Angebot äußerte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. "Diese Nachricht wird sich unter Schleppern wie Migranten wie ein Lauffeuer verbreiten, der Run auf Deutschland wird sich noch verstärken", erklärte sie. "Angesichts steigender Kriminalität und unendlicher Kosten zu behaupten, Deutschland würde durch die Aufnahme weiterer Asylbewerber nicht überfordert, schlägt dem Fass den Boden aus." Sie forderte, Migranten, die über das Mittelmeer kommen, zurück ans afrikanische Festland zu bringen.

FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag) mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Ich warne Frau Merkel davor, einer so hohen Quote zuzustimmen, denn wir haben über Jahre die Hauptlast in Europa getragen." Unterstützung kam hingegen von der Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Europa müsse jetzt "ein Signal der Solidarität" an die neue italienische Regierung senden, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn der Vorstoß des Innenministeriums das Angebot zu einer dauerhaften und verbindlichen Regelung ist, ist es ein wichtiger Schritt zu einer europäischen Quotenregelung."

Der diskutierte temporäre Mechanismus ist nach Darstellung des Bundesinnenministeriums zu unterscheiden von der seit Jahren umstrittenen Frage einer Reform des europäischen Asylrechts. Nach dem Willen der EU-Kommission und einiger Staaten sollte es eine faire Verteilung Asylsuchender auf alle EU-Staaten geben. Länder wie Ungarn und Polen weigern sich jedoch, sich zur Aufnahme von Migranten zu verpflichten.

Für die 82 Migranten auf dem Rettungsschiff "Ocean Viking" gibt es nach Tagen auf dem Mittelmeer eine Lösung. "Die Ocean Viking hat gerade von der koordinierenden Seenotleitstelle in Rom die Anweisung erhalten, nach Lampedusa, Italien, zu fahren", schrieb die Hilfsorganisation SOS Méditerranée am Samstagmorgen auf Twitter. Italiens Außenminister Luigi Di Maio sagte laut Nachrichtenagentur Ansa, die EU habe der italienischen Bitte entsprochen, "einen großen Teil der Migranten zu übernehmen".

Die Zahl der Migranten, die auf dem Seeweg nach Italien gelangen, ist in den vergangenen Jahren sehr stark gesunken - in Griechenland und Spanien kamen in diesem Jahr bislang deutlich mehr Menschen an.

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