Migration:Auswanderungsland Deutschland

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Deutschland schrumpft - nicht nur, weil zu wenige Kinder auf die Welt kommen: Im zweiten Jahr in Folge verlassen mehr Menschen das Bundesgebiet als zuwandern. Die Republik sollte alarmiert sein - und sich selbstkritisch einige Fragen stellen.

Wolfgang Jaschensky

Die Statistiker nennen es "Wanderung". Doch die Wege, die die Menschen beschreiten müssen, um vom zuständigen Bundesamt gemessen zu werden, haben nichts gemein mit beschaulichen Wanderungen im Spessart oder Schwarzwald. Hier geht es um Ein- und Aus-, um Zu- und Abwanderung, um Entscheidungen also, die ein Leben grundlegend verändern können. Und es geht um die Frage, wie attraktiv die Bundesrepublik im internationalen Vergleich für Arbeitskräfte ist.

Im zweiten Jahr in Folge verlassen mehr Menschen dauerhaft die Bundesrepublik als Menschen nach Deutschland einwandern. (Foto: AP, sde)

Jedes Jahr ermittelt das Statistische Bundesamt, wie viele Menschen dauerhaft nach Deutschland gezogen sind und wie viele das Bundesgebiet verlassen haben. Die Zahlen für das Jahr 2009, die die Behörde an diesem Mittwoch veröffentlicht hat, bestätigen eine beunruhigende Entwicklung: Deutschland ist im zweiten Jahr in Folge mehr Auswanderungsland als Einwanderungsland.

721.000 Menschen sind im vergangenen Jahr in die Bundesrepublik gezogen. Das ist die gute Nachricht, denn das sind immerhin 39.000 mehr als im vergangenen Jahr. Die schlechte ist: 734.000 haben Deutschland den Rücken gekehrt. In der Endabrechnung hat also eine Kleinstadt mit 13.000 Einwohnern Deutschland verlassen. Immerhin: Im vergangenen Jahr war die Bilanz noch verheerender.

Alarmsignal für die Politik

Ein Blick zurück zeigt aber, wie sehr sich die Gewichte verschoben haben. Seit der Wiedervereinigung bis ins Jahr 2007 war der Wanderungssaldo stets positiv. In den neunziger Jahren wanderten durchschnittlich mehr als eine Million Menschen nach Deutschland ein, während nur etwa 700.000 Menschen Deutschland verließen.

Auswanderer ist streng genommen nur, wer das Land dauerhaft verlässt, was sich aber aus der Statistik nicht herauslesen lässt. Außerdem treten Sondereffekte auf. Die Zahlen des Bundesamtes sind insofern mit Vorsicht zu genießen. Dennoch sollten die Zahlen die Politik alarmieren.

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Erstens verschärft sich durch den negativen Wanderungssaldo das demographische Problem. In Deutschland sterben seit Anfang der siebziger Jahre mehr Menschen, als Babys geboren werden. Einwanderung ist die einzige Möglichkeit, diesen Trend kurz- und mittelfristig umzukehren, da sich eine familienfreundlichere Politik erst langfristig auszahlt.

Die Zahlen sind auch ein Indiz dafür, dass weiterhin massenhaft hochqualifizierte Arbeitskräfte Deutschland verlassen. Mehr als 24.000 Deutsche haben im vergangenen Jahr Deutschland Richtung Schweiz verlassen, mehr als 13.000 sind in die USA gezogen - beides Länder mit hohen Lebenshaltungskosten und selektiven Einwanderungsregeln.

Problem: Neidkultur

Klaus J. Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, diagnostiziert deshalb qualitative Wanderungsverluste. Mit anderen Worten: Deutschland verliert seine klügsten Köpfe. Durch Zuwanderung von Hochqualifizierten könne das derzeit nicht kompensiert werden, so Bade. Deshalb fordert der Migrationsforscher: "Deutschland muss im Innern attraktiver werden für Qualifizierte, die erwägen, abzuwandern, und solche, die zögern, zuzuwandern."

Sicher ist, dass jeder qualifizierte Auswanderer ein schmerzlicher Verlust für die Gesellschaft ist. Beispiel Ärzte: Ostdeutschland beklagt schon heute einen Ärztemangel. Zudem entgehen dem Fiskus auf die Lebenszeit eines Arztes gerechnet etwa 300.000 Euro Steuereinnahmen, wenn dieser nach dem Studium im Ausland arbeitet.

Um den Braindrain zu stoppen, müssen Politik und Gesellschaft sich fragen, was qualifizierte, mobile und hochmotivierte Arbeitskräfte veranlasst, dieses Land zu verlassen beziehungsweise in andere Länder einzuwandern.

Mögliche Antworten auf diese Frage kennt der Migrationsforscher aus Untersuchungen: Auswanderer klagten über steile Hierarchien, unzureichende Aufstiegschancen und mangelnde Leistungsgerechtigkeit, lähmende Steuerreglements und eine obsessive Neidkultur gegenüber sogenannten Besserverdienenden, so Bade.

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