Die Versprechen waren markig, die Pläne hart: Noch im Wahlkampf hatte Unionschef Friedrich Merz den Anhängern von Tag eins seiner Kanzlerschaft an eine Asylwende versprochen. Er werde sofort für ein „faktisches Einreiseverbot“ sorgen. Auch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Mittwoch blieb Merz bei seiner Linie. „Wir werden besser ordnen und steuern und die irreguläre Migration weitgehend beenden“, kündigte er an. Allerdings konnte die Union viele ihrer Pläne in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gar nicht durchsetzen. „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet“, heißt es nun im Koalitionsvertrag. Was also wird sich an Deutschlands Grenzen wirklich ändern? Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ändert die Regierung an Deutschlands Grenzen?
Union und SPD haben sich auf die von Unionschef Friedrich Merz auch in Asylfällen geforderten Zurückweisungen geeinigt. Allerdings sollen sie nur „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ erfolgen. Diese Einschränkung hat die SPD der Union in den Verhandlungen abgerungen. Entscheidende Nachbarn wie Polen oder Österreich denken jedoch gar nicht daran, Merz’ Pläne mitzutragen. Im Gegenteil: Österreich und Polen hatten sich zuletzt klar gegen das Vorhaben ausgesprochen. Damit ist fraglich, ob es die rechtlich und humanitär äußerst umstrittenen Asyl-Zurückweisungen in Asylfällen auch wirklich geben wird. Klar ist nur: Geht die neue Regierung im Alleingang und gegen den Willen der Nachbarn härter vor, wäre heftiger Streit ausgerechnet mit jenen Ländern programmiert, die der künftige Kanzler Merz an anderer Stelle, etwa für die gemeinsame Verteidigungsallianz, so dringend braucht – ein kaum aufzulösendes politisches Dilemma für den Kanzler.
Welche Asyl-Verschärfungen sind noch geplant?
Der Koalitionsvertrag listet eine ganze Reihe weiterer Verschärfungen auf. Die Grenzkontrollen, die Noch-Innenministerin Nancy Faeser bereits bis September verlängert hat, soll es unter Schwarz-Rot noch deutlich länger geben. Sie sollen so lange bestehen bleiben, bis die EU-Asylreform greift – also wohl mindestens weit bis ins Jahr 2026. Die Liste sicherer Drittstaaten soll zudem um Algerien, Tunesien, Indien und Marokko erweitert werden. Das soll Asylverfahren verkürzen und Abschiebungen erleichtern. Freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa für Geflüchtete aus Afghanistan, sollen gestrichen werden, die Zahl der Rückführung insgesamt deutlich steigen. Ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten sollen auch nach Haftverbüßung in Ausreisearrest kommen können – bis zur „freiwilligen“ Ausreise. Die Befugnisse der Bundespolizei sollen gestärkt und die Kapazitäten für die Abschiebehaft insgesamt deutlich erhöht werden. Zudem soll die EU-Asylreform mit mehr Verfahren direkt an den Außengrenzen der Europäischen Union beschleunigt und noch in diesem Jahr umgesetzt werden. Abschiebungen sollen künftig auch nach Afghanistan und Syrien erfolgen – zunächst allerdings nur bei Straftätern.

Migration:Faeser lehnt Pläne für Ende des Asylrechts ab
Mehr Abschiebungen, weniger Asylanträge: Innenministerin Faeser stellt sich mit einer Migrationsbilanz ein gutes Zeugnis aus. In der Union aber wächst der Druck, in der Asylpolitik noch stärker umzusteuern als bislang geplant.
Was wird aus dem Familiennachzug?
Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge dürfen zwar auch weiter Ehepartner und minderjährige Kinder zu sich holen – im Fall minderjähriger Geflüchteter auch Eltern. Dagegen werden die Regeln für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus, etwa Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, deutlich verschärft. Hier soll der ohnehin auf 1000 Menschen pro Monat begrenzte Familiennachzug für zwei Jahre komplett ausgesetzt werden. Damit werden in diesen beiden Jahren also insgesamt rund 24 000 Menschen weniger nach Deutschland kommen.
Sind Asylverfahren in Drittstaaten vom Tisch?
Zwar sind die aus humanitären und juristischen Gründen hochumstrittenen Verfahren nicht ausdrücklich im Koalitionsvertrag vorgesehen. Eine unscheinbare Passage könnte sie letztlich dennoch ermöglichen. Die Regierung will demnach auf europäischer Ebene eine Initiative zur Streichung des sogenannten Verbindungselements im EU-Recht forcieren. Nach diesem Passus dürfen Flüchtlinge nur dann in einen Drittstaat geschickt werden, zu dem sie eine Verbindung haben. So werden Asylverfahren nach dem Ruanda-Modell (Großbritannien), bei dem Asylbewerber zur Abschreckung außer Landes und in weit entfernte Regionen gebracht werden, bislang für EU-Länder in den meisten Fällen unterbunden. Bei einer Streichung des Verbindungselements könnte das Ruanda-Modell aber auch für EU-Länder, also auch für Deutschland, umsetzbar werden.
Wo werden Sozialleistungen gekürzt?
Vor allem für ausreisepflichtige Geflüchtete könnte dieser Schritt drohen. Bestehende Einschränkungen der Leistungen für Ausreisepflichtige sollten konsequent umgesetzt werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch für Geflüchtete aus der Ukraine, die nach dem 1. April 2025 eingereist sind oder einreisen, wird sich einiges ändern. Sie sollen geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sofern sie bedürftig sind. Bislang bekommen sie Bürgergeld oder Sozialhilfe.
Was wird aus dem Doppelpass, und kann künftig der Pass entzogen werden?
Union und SPD wollen im Großen und Ganzen an der von der Ampelregierung beschlossenen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts festhalten. Damit bleiben doppelte Staatsbürgerschaften und auch eine beschleunigte Einbürgerung nach fünf statt bislang acht Jahren möglich. Gestrichen werden soll dagegen die Möglichkeit, bereits nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Diese Schnell-Einbürgerung war für Menschen vorgesehen, die sich besonders gut und schnell integrieren. Im Koalitionsvertrag heißt es nun, „Integration muss weiterhin gefördert, aber intensiver als bisher eingefordert werden“. Integrationskurse sollen demnach fortgesetzt und Kitas mehr einbezogen werden, um Integration von Anfang an zu fördern. Für gut integrierte geduldete Ausländer soll es mit einer Stichtagsregelung unter bestimmten Voraussetzungen einen neuen befristeten Aufenthaltstitel geben. Abstand genommen haben Union und SPD nach Protesten von der zunächst diskutierten Idee, Menschen, die mehr als eine Staatsangehörigkeit haben, in bestimmten Fällen, etwa bei schweren Straftaten, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen.
Was halten Experten, Kirchen und NGOs von den Plänen der künftigen Regierung?
Verbände waren in ersten Reaktionen schon froh, dass diskutierte Maßnahmen wie noch stärkere Leistungskürzungen für abgelehnte Asylbewerber wieder aus dem Vertrag geflogen sind. Kritik gab es dennoch. Sozialpolitische Verschärfungen gingen zulasten bereits besonders benachteiligter Menschen, warnte der Paritätische Gesamtverband. Das seien keine Botschaften eines Einwanderungslandes, kritisierte auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Amnesty International bezeichnete den Koalitionsvertrag gar als „menschenrechtliches Armutszeugnis“. Besonders schwerwiegend seien die Beschränkungen des Familiennachzugs für Bürgerkriegsflüchtlinge sowie die drohenden Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Auch die Einstellung aller humanitären Aufnahmeprogramme sei „unvereinbar“ mit einem Bekenntnis zu Menschenrechten.