Migration:Was über die abgeschobenen Straftäter bekannt ist

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Ein Flugzeug startet vom Flughafen Leipzig/Halle. (Symbolbild) (Foto: Jan Woitas/dpa)

Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban schiebt Deutschland wieder Afghanen in ihr Heimatland ab. Zu den meisten Männern gibt es nun Details.

Von Philipp Saul

Es werde „sehr bald“ Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Syrien und Afghanistan geben. So hatte es Innenministerin Nancy Faeser noch am Donnerstagabend in den „Tagesthemen“ angekündigt. Schon wenige Stunden später, um 6.56 Uhr am Freitagmorgen, startete in Leipzig ein Flugzeug in Richtung der afghanischen Hauptstadt Kabul. An Bord: 28 afghanische Straftäter. Zum ersten Mal seit der Machtübernahme der radikal islamistischen Taliban im August 2021 schiebt die Bundesregierung damit Straftäter nach Afghanistan ab.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte nach dem Start des Flugzeugs: Bei sämtlichen Abgeschobenen handele es sich um verurteilte Straftäter, „die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“.

Details zu den abgeschobenen Afghanen

In dem Abschiebeflug hätten drei Personen gesessen, die zuvor in Bayern gewesen seien, teilte Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) mit. Zwei seien wegen Sexualstraftaten und der dritte wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Sie seien 27, 29 und 30 Jahre alt.

Sechs der 28 Straftäter waren vor ihrer Abschiebung in Hessen. Sie hätten sich wegen versuchten Totschlags, besonders schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung strafbar gemacht, schreibt der Spiegel.

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Amnesty International und Pro Asyl kritisieren die Abschiebungen lautstark. Kanzler Scholz hingegen spricht von einem klaren Zeichen gegen alle Straftäter. Stimmen im Überblick.

Zudem waren nach Angaben des dortigen Migrationsministeriums fünf afghanische Männer aus Baden-Württemberg an Bord. Es handele sich bei allen um „schwere Straftäter“. Einer von ihnen habe zuletzt in Illerkirchberg gelebt und 2019 mit drei weiteren Tätern eine damals 14-Jährige über mehrere Stunden vergewaltigt, hieß es aus dem Ministerium. Das Mädchen sei zuvor unter Alkohol- und Drogeneinfluss gesetzt worden. Ein anderer Mann sei ein „Mehrfach- und Intensivtäter“, der mehr als 160 Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten sei.

Fünf abgeschobene Männer waren zuvor in Niedersachsen. Die Männer sind nach Angaben des Landesinnenministeriums im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30. Zu den von ihnen begangenen Taten zählten Totschlag, Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Betrug und Diebstahl.

Je zwei Männer wurden nach Behördenangaben aus Sachsen-Anhalt (zweifache Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Minderjährigen) sowie Berlin (mehrfache gefährliche Körperverletzung und Vergewaltigung) abgeschoben.

Außerdem wurde nach Behördenangaben und Medienberichten je ein Mann aus Mecklenburg-Vorpommern (sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung), Nordrhein-Westfalen (schwere Brandstiftung), Rheinland-Pfalz (Sexualstraftat) und Thüringen (gefährliche Körperverletzung, Diebstahl mit Waffen, Angriff auf Vollstreckungsbeamte) abgeschoben.

Fünf weitere Afghanen hätten abgeschoben werden sollen

In dem Abschiebeflug hätten eigentlich noch fünf weitere Menschen sitzen sollen - also insgesamt 33 Personen. Das berichteten Abgeordnete nach einem Treffen des Innenausschusses des Bundestags. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte Manuel Höferlin (FDP). Drei seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, da sie aus Sicht der jeweiligen Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande abgesessen hätten. Die Bundesregierung hatte immer betont, Straftäter sollten nur abgeschoben werden, wenn sie einen beträchtlichen Teil ihrer in Deutschland verhängten Strafe abgesessen hätten. Die Grünen-Abgeordnete Lamya Kaddor sagte, in der Sitzung habe es geheißen, die Abgeschobenen hätten alle mindestens zwei Drittel ihrer Strafe hierzulande verbüßt. Dies wurde auch von anderen Sitzungsteilnehmern bestätigt.

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Federführend organisiert hat die Abschiebung das Bundesinnenministerium. Kanzleramt und Innenbehörden zahlreicher Bundesländer hätten die Abschiebungen seit zwei Monaten vorbereitet, berichtet der Spiegel. Die Ausreisepflichtigen seien in der Nacht teils aus der Strafhaft nach Leipzig gebracht worden. Auch ein Arzt sei mit an Bord gewesen. Vor dem Flug bekam offenbar jeder Afghane 1000 Euro Handgeld. Das Geld solle reichen, um den Lebensunterhalt in Afghanistan sechs bis neun Monate bestreiten zu können, sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums.

Vorausgegangen seien den Abschiebungen monatelange geheime Verhandlungen mit den Taliban, schreibt der Spiegel. Allerdings nicht direkt, sondern über das Emirat Katar als Vermittler. Durch den Umweg sei der „wichtigste Hemmschuh“ bei den Abschiebungen aus dem Weg geräumt worden. Insbesondere im Außenministerium habe es Widerstand gegen direkte Verhandlungen mit den Taliban gegeben, auch wenn der politische Wille zu Abschiebungen vorhanden gewesen sei. Deutschland habe wegen der „schwierigen Rahmenbedingungen“, so Regierungssprecher Hebestreit, „regionale Schlüsselpartner um Unterstützung gebeten, um die Rückführung zu ermöglichen“.

Unter der Taliban-Herrschaft drohen Menschenrechtsverletzungen

Kritiker halten Abschiebungen nach Afghanistan für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, weil in dem Krisenland Menschenrechtsverletzungen unter der Herrschaft der Taliban drohen. Hebestreit hingegen teilte mit: „Das Sicherheitsinteresse Deutschlands überwiegt klar das Schutzinteresse von Straftätern und Gefährdern.“

Die Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien hatte nach den Messerangriffen von Mannheim im Mai und Solingen vor einer Woche massiv Fahrt aufgenommen. Bei dem jüngsten Anschlag tötete der Täter drei Menschen und verletzte acht weitere. Der Tat verdächtigt wird ein 26 Jahre alter Mann aus Syrien, der über Bulgarien als Flüchtling nach Deutschland gekommen war.

Scholz: „Ich verstehe es ja auch nicht“

Eigentlich hätte der mutmaßliche Täter bereits im Juni 2023 zurück nach Bulgarien gebracht werden sollen. Daran, dass er aber auch mehr als ein Jahr später noch in Deutschland war, gibt es seit dem Anschlag von Solingen große öffentliche Kritik. Auf eine entsprechende Frage des Spiegel sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview: „Das wüsste ich auch gern.“ Man könne „doch niemandem vermitteln, warum es offenbar nur einen Versuch gab, den Mann in seiner Unterkunft aufzusuchen“. Scholz äußerte Verständnis dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger dies nicht mehr verstünden. „Ich verstehe es ja auch nicht.“ Die Ampelkoalition hatte sich nach dem Messerangriff von Solingen auf ein Maßnahmenpaket zum Schutz vor islamistischem Terror und gegen irreguläre Migration geeinigt.

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