Migranten in der Politik:Muslimische Bürgermeister werden zur Normalität - auch in Deutschland

Sadiq Khan Arrives For The Declaration In The London Mayoral Election

Londons neuer Bürgermeister Sadiq Khan mit seiner Frau (rechts), Familie und Unterstützern: Seine Wahl zeichnet die "Normalität dieser Metropole" aus

(Foto: Getty Images)
  • Einwanderer hatten es lange nicht leicht in der deutschen Politik - bis heute sind Spitzenkandidaten mit Migrationshintergrund eine Ausnahme.
  • Doch das dürfte sich bald ändern: In den großen Parteien haben Einwanderer und ihre Nachkommen längst damit begonnen, die Karriereleiter hinauf zu klettern.
  • Auch die Religion sollte keine Rolle mehr spielen: Einen muslimischen Bürgermeister wie in London mit Sadiq Khan können sich Politiker der großen Parteien hierzulande ebenso vorstellen.

Von Lars Langenau

Ja, es gibt Naheed Nenshi, den muslimischen Bürgermeister der kanadischen Millionen-Stadt Calgary. Ja es gab Abdul Razak Osman, der von 2012 bis 2013 als erster muslimischer Bürgermeister die mittelenglische Industriestadt Leicester regierte und seinen Nachfolger Mustafa Kamal, der den Job bis 2014 machte. Ja, es gibt Ahmed Aboutalebl, der mit einem niederländischen und marokkanischen Pass seit 2008 die Geschicke Rotterdams bestimmt. Ja, es gibt Sadiq Kahn, der gerade zum Mayor von London gewählt wurde. Was sie eint: Sie alle sind Muslime.

Und ja, so etwas gibt es auch in Deutschland. Bislang nur auf kleinem Niveau, künftig vielleicht aber auch in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt. Bereits seit 2012 ist die Sozialdemokratin Hatice Kara Bürgermeisterin des schleswig-holsteinischen Urlaubsortes Timmendorfer Strand. Ihr Parteifreund Halil Öztas ist seit Ende 2015 Bürgermeister der Kleinstadt Heusenstamm bei Frankfurt am Main. Es gibt SPD-Staatsministerin Aydan Özoğuz, Bundesbeauftragte für Migration. Es gab mit Aygül Özkan (CDU) die erste muslimische Ministerin in Niedersachsen.

Trotz allem: Einwanderer und ihre Nachkommen hatten es lange Zeit nicht leicht in der deutschen Politik. Aber die Zeiten ändern sich - die großen Parteien haben längst damit begonnen, ihren Nachwuchs auch unter Bürgern mit Migrationshintergrund zu rekrutieren.

"Die CDU hat etwas länger gebraucht"

"Die CDU hat etwas länger gebraucht. Sie hat länger gebraucht, Menschen mit Migrationshintergrund und muslimischer Religion als ihre Kandidaten sichtbar zu machen. Da waren SPD und Grüne früher dran - dafür ist unsere Integrationspolitik besser", sagt die muslimische Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf über ihre Partei. "Ein wertkonservatives Weltbild, die Bedeutung der Religion, Familienpolitik, Leistungsorientierung, der Gedanke, dass man aufsteigen kann, wenn man sich anstrengt."

Armin Laschet, sagt Giousouf, sei in NRW einer der ersten Politiker gewesen, der sich vor die Gastarbeiter stellte und ihnen für ihre Leistungen zum Aufbau der Bundesrepublik dankte. "Das hat die älteren Menschen berührt, weil es das vorher noch nicht gab. Er gab ihnen das Gefühl, ein Teil Deutschlands zu sein." Mit Laschet, sagt sie, habe es in Nordrhein-Westfalen einen Paradigmenwechsel gegeben, weil er Menschen "von der Opferrolle zu Gleichberechtigten erklärt" habe.

War die Wahl des bekennenden Muslim Sadiq Khan in London eine Überraschung für sie? "Ich glaube, dass die Menschen weiter sind, als wir es in der Öffentlichkeit diskutieren. Die Londoner habe sich für jemanden aus einer Minderheit entschieden, er ist ja nicht nur Muslim, sondern auch Arbeiterkind. Wenn also jemand persönlich überzeugt wie Khan, spielt Religion für die Menschen anscheinend keine Rolle mehr. So wie es eben sein sollte."

"Es kommt auf den Kandidaten an"

Giousouf hält das auch in Deutschland für möglich. Siehe Bonn mit einem "sichtbar Nicht-Deutschen" als Oberbürgermeister der CDU. Nur ist Ashok Sridharan Katholik. Und wie wäre es mit einem Muslim? "Ja klar! Der müsste auch wie Khan gegen Vorurteile kämpfen und den Kritikern beweisen, dass er nicht zu radikalen Salafisten gehört oder vom Ausland gesteuert wird. So ein Kandidat ist niemals vorurteilsfrei, so wäre das auch in Deutschland."

Interessanterweise gibt es laut Statistiken in Großbritannien nicht mehr Muslime als in Deutschland. Natürlich hat Großbritannien durch das Commonwealth mehr Erfahrungen mit anderen Kulturen und Religionen. Aber vielleicht mag es auch mit der Multikulturalität der britischen Großstädte zu tun haben, überlegt Giousouf und sagt dann: "Aber ich kann mir das auch in Berlin gut vorstellen. Es kommt auf den Kandidaten an."

CDU heißt nun einmal Christlich Demokratische Union Deutschlands. Tatsächlich kennt auch Giousouf Personen, die mit der CDU fremdeln, die aber "überwältigende Sympathien für Bundeskanzlerin Angela Merkel" haben. In jüngster Zeit habe die CDU aber insgesamt ein positives Image bei Einwanderern bekommen.

So sei die türkische Regierungspartei AKP zwar die Schwesterpartei der CDU und vertrete ähnliche Werte, aber "nicht die AKP von heute, sondern vielleicht die von vor zehn Jahren". Beide Parteien sehen Religion und die Werte der Familie als wichtig an. So habe gerade die CDU die Islamkonferenz und den islamischen Religionsunterricht in den Bundesländern eingeführt, in denen sie seit der Jahrtausendwende an der Macht war. Auch sei man für die Ausbildung muslimischer Geistlicher in Deutschland und in deutscher Sprache. "Wir arbeiten daran, dass muslimisches Leben auch strukturell zu Deutschland gehört - auf Augenhöhe."

"Ein Christ als Bürgermeister ist doch auch keine Meldung"

Der SPD-Politiker Turgut Yüksel hat sich lange in der Frankfurter Kommunalpolitik engagiert und ist nun Landtagsabgeordneter in Hessen. "Mich ärgert ein bisschen, dass man das Muslimsein immer wieder in den Mittelpunkt stellt und damit auch stigmatisiert. Es sollte selbstverständlich sein. Wenn ein Christ als Bürgermeister gewählt wird, dann ist das doch auch keine Meldung." London sei nun einmal eine Weltstadt und dass die Einwohnen nun Khan gewählt haben, zeichne die "Normalität dieser Metropole" aus.

"Man hat ihn doch nicht gewählt, weil er Muslim ist, sondern unabhängig davon", sagt Yüksel. Khan habe mit seinen Inhalten, seiner Persönlichkeit und seinem Auftreten überzeugt. Der Labour-Politiker sei von unten gekommen. "Es ist doch auch in Deutschland nicht üblich, dass der Sohn eines Busfahrers den Weg an die Spitze schafft". Es zeichne die Londoner aus, dass sie ihn mit seiner Biografie gewählt haben. Unter den Wählern seien ja nicht nur Muslime gewesen, sondern auch andere Einwanderergruppen und viele Bewohner der englischen Hauptstadt, die einen Wechsel wollten.

Wenn man die Biografie Kahns hervorheben wolle, sei dessen Migrationshintergrund ohnehin viel interessanter als seine Religion. Von vielen Jugendlichen mit Migrationshintergrund höre er gerade, dass sie stolz seien, dass es "einer von ihnen" soweit geschafft habe. Sei es als Referent, als Abgeordneter, als Bürgermeister von Heusenstamm oder eben jetzt von London. Das sende das Zeichen, dass "man alles werden kann, wenn man sich dafür einsetzt."

In Frankfurt etwa habe der überwiegende Teil der heutigen Schüler einen Migrationshintergrund. In zehn Jahren werden sie die Mehrheit der Wähler stellen. Folgerichtig trat dieses Jahr Mike Josef erfolgreich für die SPD als Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl an. Ein Mann, der 1983 als Angehöriger der christlichen Minderheit in Syrien geboren wurde. Aber auch hier gilt laut Yüksel: "Man mag ihn und er hat Erfolg, nicht weil er ein Flüchtlingskind ist, sondern weil er für die Zukunft der Stadt steht."

In London zeichne es Labour aus, Khan zum Spitzenkandidaten gemacht zu haben und mit ihm zu gewinnen. "Und in Frankfurt zeichnet es die SPD aus, ein syrischen Aramäer, der für Toleranz und Offenheit steht, vor drei Jahren zum Parteichef gemacht zu haben." Es gibt, sagt Yüksel, eine Veränderung in der Parteilandschaft. Keine Partei werde künftig mehr in einer Großstadt Erfolg haben, wenn sie das vielfältige Lebensgefühl in diesen Städten nicht anspricht.

Und in Berlin, da hätten sie schon längst so einen: Den bekennenden Muslim Raed Saleh, 38, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Roten Rathaus. Auf die Frage, wo denn der Unterschied zwischen ihm und Khan sei, sagte er im Interview mit SZ.de: "Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede."

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