Man könnte einen launigen Leseabend veranstalten mit den Zuschriften, so strotzen manche vor Irrsinn. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour solle sich "erst mal über fünf Generationen" in unsere "germanisch-keltische Mehrheitsgesellschaft" assimilieren, "dann dürfen Sie mal nachfragen", schreibt einer, der sich "Dr. Rückl" nennt und betont: Er sei "Kerndeutscher". Bei der SPD-Vizevorsitzenden Aydan Özoguz seufzt einer: "Ach, die Moslems sind unverschämt." Und wettert weiter: "Wenn Ihnen das Vorgehen des Innenministers nicht passt, dann verlassen Sie doch unser Land!" Und Serkan Tören von der FDP durfte zur Straffreiheit von Beschneidungen lesen: "Ich nehme stark an, Sie haben sich inzwischen Ihren Schwanz abschneiden lassen und dazu beigetragen, dass sich Ihre Sippe nicht weiter vermehren kann."
Eigentlich ist das Kabarett. Wenn nicht so eine Wut dahinterstecken würde. Und wenn da nicht diese Drohungen wären: Wir wissen, wo Du wohnst, Du solltest auf Deine Gesundheit achten. Solche Sätze. Und es ist nicht unbedingt lustig, wenn auf der Internetseite der Abgeordneten und Mutter Özoguz jemand nach dem Stichwort "Kind" sucht. "Da war ich doch alarmiert", sagt Özoguz.
Gut zwanzig Abgeordnete aus Zuwandererfamilien haben die Deutschen 2009 in den Bundestag gewählt, so viele wie nie zuvor. Nach vier Jahren fand nun am Freitag die letzte reguläre Plenumssitzung statt. Den Fernsehzuschauern sind Politiker mit ausländischen Wurzeln längst vertraut, der Grünen-Parteichef Cem Özdemir zum Beispiel, Wirtschaftsminister Philipp Rösler oder der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy, dessen Vater aus Indien stammt. Und ihre Zahl dürfte weiter wachsen: Die Parteien haben für die Bundestagswahl im September weitere Migranten aufgestellt, der in Westafrika geborene Karamba Diaby kandidiert in Halle für die SPD, die Muslimin Cemile Giousouf für die CDU in Hagen. Das zeigt, was sich in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Aber wie weit sind Migranten damit schon Normalität geworden?
Dann sind da noch die Anfeindungen
Sie sind es nicht, sagt Aydan Özoguz. Die Eltern der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden wanderten einst aus der Türkei ein, sie selbst kam in Hamburg zur Welt und bezeichnet sich als "Hamburger Deern". Im Alltag fallen ihr vor allem die Kleinigkeiten auf: Wenn Bürger danach fragen, wie man Özoguz ausspricht - man verschluckt das "og" - oder gerade ihre Plakate in einem Hamburger Viertel besonders häufig zusammengetreten werden. Dann sind da noch die Anfeindungen, per Mail, auf Facebook, in Internetforen. Sie zeigen, wie wenig normal der Migrant im Bundestag für viele Bürger noch ist, wie verhasst. Im Netz konzentriert man sich gerne darauf, dass Özoguz Deutsch-Türkin und gläubige Muslimin ist. "Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag", mailt einer. "Unser Trost ist, dass genügend Lampen in den Straßen stehen, an denen wir euch aufknüpfen werden", ein anderer.
Was macht man mit so was? Antworten, anzeigen, löschen? Özoguz liest vieles, was da so reinkommt, alles schafft sie nicht. Und sie antwortet. Wirklich? Özoguz nickt. "Es muss aber irgendetwas Inhaltliches erkennbar sein", sagte sie - ein Argument, angebliche Fakten, auch wenn der Brief sonst beleidigend ist. Özoguz möchte dem Pöbler zeigen: "Du bist kein besserer Mensch, ich gebe mir viel Mühe und Du merkst es gar nicht." Das klingt naiv. Doch manchmal funktioniere es, sagt sie. Manche schreiben zurück, sind überrascht und milde gestimmt, weil sie überhaupt geantwortet hat.
In ihrer Partei hat sie kein Problem. Es gab keinen Aufstand gegen Özoguz, keine Sticheleien. Im Gegenteil, man hat sie gefördert, seit Ende 2011 ist sie sogar eine der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden. Aber es gibt wütende Herren, die tauchen persönlich auf, bei einem SPD-Familientag am Minigolfplatz zum Beispiel. Ein Mann wollte ihr da erklären, warum alle Muslime Verbrecher seien. Es entspinnt sich ein Gespräch. "Da war nichts zu machen", sagt Özoguz, "irgendwann muss man auch einsehen, dass die Leute nicht kommen, um sich auszutauschen."
Schimpftiraden treffen auch andere Abgeordnete, sie gehören zum politischen Geschäft. Früher kamen anonyme Briefe, heute Mails und Interneteinträge. Die neue Technik, die Anonymität, die sie bietet, und der vergleichsweise geringe Aufwand erleichtern das Droh- und Schmähgeschäft. Homepage aufrufen, Mail-Adresse klicken, ein paar Sätze ausgekotzt, fertig. "Man sieht den Abgeordneten als gut bezahlten Dienstleister, den man besudeln und beschimpfen kann", sagt Albert Rupprecht, Vize der Unionsfraktion im Bundestag und als angestammter Oberpfälzer unverdächtig, einen Migrationshintergrund zu haben. Bei ihm ist es mehr geworden, aber es sei nicht "dramatisch". Es tröpfelt so rein. Eine Welle von Schmähmails hat er in zehn Jahren im Bundestag nie erlebt.