Migranten bei der Bundestagswahl:"Ich bin ein Teil von Deutschland"

Manche Erstwähler bei der Bundestagswahl sind schon lange volljährig - aber erst jetzt wahlberechtigt, weil sie erst vor kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Mit welchen Gefühlen sie jetzt zur Wahl gehen und wie sie ihre Entscheidung treffen.

Protokolle: Benjamin Romberg

Uche Akpulu ist 2003 nach Deutschland gekommen. Der heute 46-Jährige ist aus seiner Heimat Nigeria geflüchtet. Akpulu arbeitet beim Bayerischen Flüchtlingsrat in München. Im vergangenen Jahr hat er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Vor ein paar Tagen habe ich einen Brief vom Wahlamt bekommen. Jetzt bin ich endlich angekommen. Wenn man wählen darf, ist man ein Teil der Gesellschaft, darf die politischen Entscheidungen mitbestimmen. Das ist wichtig. Bisher fühlte ich mich ausgeschlossen. Als ich noch in Nigeria gelebt habe, herrschte fast durchgehend eine Militärdiktatur, deshalb habe ich dort nicht oft gewählt, vielleicht zwei Mal. Seit 1999 gibt es dort wieder Demokratie. Aber das kann man nicht mit Deutschland vergleichen, das sage ich auch immer meinen Freunden hier.

Es gibt Demokratie und es gibt Demokratie. Um in Nigeria zu einer Wahl zu gehen, muss man fünf, sechs Stunden einplanen, steht bei 40 Grad Hitze in der Schlange und muss mit Gewalt rechnen. Man ist einfach nur glücklich, wenn man unversehrt nach Hause kommt. Oft wählst du jemanden und weißt, dass die meisten Menschen diese Person gewählt haben - aber es kommt ein ganz anderes Ergebnis heraus, das nicht den Wünschen der Mehrheit entspricht. Hier, in Deutschland, geht man zu Wahlen - und wer die meisten Stimmen bekommt, gewinnt auch. Es ist nicht perfekt, aber im Vergleich zu Nigeria funktioniert die Demokratie hier einigermaßen. Das wissen viele Menschen nicht zu schätzen.

Ich verfolge das politische Geschehen in Deutschland, kenne mich gut aus. Durch meine Arbeit habe ich immer wieder Kontakt mit Politikern. Ich habe auch mal ein Praktikum im bayerischen Landtag gemacht. Mir ist wichtig, dass die Parteien soziale Ziele vertreten, eine humane Politik. Für die Zeit nach der Wahl wünsche ich mir, dass auch die sozial schwachen Menschen in der Gesellschaft berücksichtigt werden. In der Finanzkrise sieht es so aus, als ob nur Kapital zählen würde. So sollte es nicht sein.

"Radikale Änderungen sind nicht nötig"

Guang Rao kam im Jahr 2000 aus der westchinesischen Stadt Chengdu nach Deutschland. Nach seiner Promotion vor zwei Jahren hat der heute 30-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Aktuell arbeitet er als Entwicklungsingenieur bei einem Autohersteller in München.

Ich sehe es als gutes Recht und als Pflicht für jeden Menschen, wählen zu gehen. Und das werde ich im September zum ersten Mal tun. Das ist ein gutes Gefühl. Nach meiner Doktorarbeit dachte ich mir: Ich bin mit 17 Jahren hierher gekommen, ich habe fast mehr Zeit in Deutschland verbracht als in China - jetzt bin ich integriert genug, um den Schritt zu machen und mir einen deutschen Pass zu holen.

Ich finde es toll, dass man hier aktiv in der Politik sein kann. In China sprechen wir viel über Politik, aber eher nach dem Essen oder beim Teetrinken. Wir können nicht aktiv mitwirken. In der Schule durften wir den Klassensprecher wählen, das ist ein kleiner Ansatz von Demokratie, mehr aber nicht. Doch ich sehe eine positive Entwicklung, hin zu mehr Reformen. Ich verfolge die politische Berichterstattung in Deutschland aufmerksam. Besonders gerne sehe ich mir Talkshows an, da erfährt man auch viel über die Programme der Parteien.

Entscheidend sind für mich aber auch die Politiker, die Persönlichkeiten. Helmut Schmidt zum Beispiel, den kenne ich noch aus meiner Jugendzeit. Er war ein guter Freund von China, ich habe ihn oft in Talkshows gesehen. Auch Gerhard Schröder mag ich wegen seiner pragmatischen Art. Darin ähnelt er dem chinesischen Politiker Denk Xiaoping (Führer der kommunistischen Partei in den Siebziger und Achtziger Jahren, Anm. d. Red.). Inhaltlich sind mir aber eher konservative Werte wie die Familie wichtig, vor allem seit ich in Bayern lebe. Außerdem bin ich gegen Steuererhöhungen. Nach der Wahl wird sich nicht viel ändern, denke ich. Auch wenn es mal wieder viele Versprechungen gibt. Aber Deutschland ist auch auf einem sehr guten Weg. Radikale Änderungen sind gar nicht nötig.

"Deutschland hat genug eigene Baustellen"

Yasmin Basaleh lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland, hat aber erst seit dem vergangenen Jahr einen deutschen Pass. Die 31-Jährige ist in Abu Dhabi geboren, ihre Eltern stammen aus Syrien. Ein großer Teil von Yasmins Familie lebt immer noch in der nordsyrischen Stadt Aleppo. Für ihren neuen Job als Abteilungsleiterin im Einzelhandel ist sie gerade nach Berlin gezogen.

In Deutschland habe ich gelernt, geduldig zu sein. Hier braucht es für alles mehr Zeit. Meine Einbürgerung zum Beispiel hat sich lange hingezogen, vor allem weil ich die nötigen Unterlagen aus Syrien nicht so leicht vorlegen konnte. Ich lebe in Deutschland, seit ich sieben Jahre alt bin. Bisher hatte ich aber nicht das Gefühl dazuzugehören. Deshalb wollte ich den deutschen Pass. Es ist mir wichtig, jetzt wählen zu können. Bisher musste ich akzeptieren, wer gewählt wird. Wenn ich bei der Ausländerbehörde war und mich erkundigte, dann dachte ich mir nur immer: Das Gesetz ist nun mal so. Jetzt kann ich selbst mitwirken.

Ich glaube, die Menschen hier wissen nicht zu schätzen, wie gut es ihnen geht. In Deutschland kann ich ganz offen sagen, was mich stört. In Syrien haben sich die Menschen lange nicht getraut, ihre Meinung zu äußern, sie haben lieber geschwiegen.

Früher habe ich mich nicht so intensiv mit Politik beschäftigt, seit ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe, schaue ich mir die Programme der Parteien genauer an. Ich will ja am 22. September Bescheid wissen. Ich achte vor allem darauf, was die Parteien für Deutschland vorhaben. Klar, wir sind auch im Ausland engagiert - aber Deutschland hat genug eigene Baustellen.

Kinderarmut zum Beispiel, da muss doch endlich etwas passieren, denke ich mir. Weil ich selbst Migrantin bin, interessiert mich natürlich auch die Ausländerpolitik, vor allem der Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien. Ich glaube nicht, dass sich viel ändern wird nach der Wahl. Oft läuft es ja dann nicht so, wie die Parteien es versprochen haben. Aber es braucht auch einfach Zeit, man muss Geduld haben. Ich erwarte kurzfristig keine Wunder.

"Am Schluss kommt eh nichts dabei raus"

Tuba Sarialtins Eltern stammen aus der Türkei. Die 23-Jährige ist im oberbayerischen Rosenheim geboren, aktuell lebt sie in München. Den deutschen Pass hat die Büroangestellte seit zwei Monaten.

Ich werde mich immer daran erinnern, für wen ich bei meiner ersten Bundestagswahl gestimmt habe, auch wenn es eigentlich nur ein bürokratischer Vorgang ist. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft vor allem beantragt, um wählen zu dürfen. Ich bin ein Teil von Deutschland und will hier auch mitbestimmen. Bis vor ein paar Jahren habe ich mich nicht für die deutsche Politik interessiert. Ich hatte immer den Gedanken, in die Türkei zu ziehen, aber das habe ich dann doch nicht gemacht.

Dort ist es einfacher zu wählen, nicht so kompliziert wie hier mit Erst- und Zweitstimme. Ich hatte auch lange nicht den Wunsch nach einem deutschen Pass, aber als ich gemerkt habe, dass ich mehr Rechte will, habe ich meine Meinung geändert. Jetzt verfolge ich die politische Berichterstattung mehr als früher. Wahlprogramme lese ich aber nicht.

Als ich angefangen habe, mich mehr mit Politik zu beschäftigen, habe ich gemerkt: Es gibt zwar Leute, die sich für die Bedürfnisse von Migranten einsetzen, aber die werden zu wenig unterstützt. Jede Partei spricht über die doppelte Staatsbürgerschaft für Türken - aber am Schluss kommt eh nichts dabei raus. Es gibt viele Menschen, die Probleme bei der Einbürgerung haben. Das soll besser werden.

"Das ist für mich fast wie Fußball"

Bojan Sarenac lebt seit fast 15 Jahren in Deutschland. 1999, als die Nato das ehemalige Jugoslawien bombardierte, verließ er seine Heimat. Der 35-Jährige lebt heute in Köln. Der studierte Medienwissenschaftler arbeitet als Übersetzer und Webdesigner. 2010, ein Jahr nach der letzten Bundestagswahl, hat er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Ich freue mich darauf, das erste Mal bei einer Bundestagswahl meine Stimme abgeben zu dürfen. Das ist für mich fast wie Fußball. Ich liebe Politik, wenn es gute Diskussionen gibt. Leider ist das zur Zeit nicht so. Am Wahlabend werde ich trotzdem mitfiebern. Es war ziemlich schwierig für mich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Das hat fast zwei Jahre gedauert. Ich sollte zuerst die serbische Staatsbürgerschaft ablegen - das ging aber nicht, weil ich in meinem Heimatland keinen Wehrdienst geleistet hatte. Also bekam ich einen erschreckenden Brief aus Köln: vier Seiten, in denen man mir erklärte, dass es doch zumutbar wäre, den Wehrdienst in Serbien zu leisten. Ich versuchte es noch einmal bei den Behörden in Münster, das hat dann geklappt.

Der einzige Unterschied ist jetzt eigentlich, dass ich wählen darf. Aber es geht auch um das Emotionale, die Sicherheit, ich bin jetzt in einem Rechtsstaat. In meiner Heimat habe ich noch nicht gewählt, auch nach meiner Flucht nicht. Von Deutschland aus wollte ich mich nicht einmischen, vielleicht auch weil ich enttäuscht war. Ich verfolge aber, was in Serbien passiert. Dort reden die Menschen mehr über Politik und es wird einiges aufgedeckt: Korruption, Kriminalität. Das stört mich hier, die Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik wird kaum beachtet und man erfährt so wenig darüber.

Die politische Berichterstattung verfolge ich sehr stark, das ist fast wie ein Hobby für mich. Vom Wahlkampf merkt man gerade nicht viel. Ich überfliege die Wahlprogramme der wichtigsten Parteien, habe aber nicht zu jedem Thema eine klare Meinung. Ironischer Weise war ich vor ein paar Jahren engagierter als heute. 2002 zum Beispiel, als ich noch nicht wählen durfte, da habe ich sehr für eine Partei geworben - und viele Leute überzeugt. Da wollte ich etwas verändern. Dieses Mal habe ich niemanden überzeugt. Das hat wahrscheinlich mit der allgemeinen Resignation zu tun.

Ich werde die Partei wählen, für die der Mensch im Mittelpunkt steht. Wer ist human? Wer schätzt den Menschen? Danach treffe ich meine Entscheidung. Für die Zeit nach der Wahl bin ich skeptisch. Ich hoffe, dass sich Deutschland stabilisiert und die Spaltung innerhalb der Gesellschaft nicht noch größer wird.

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