Mietrecht:Alter allein ist noch kein Härtefall

Mieter brauchen in Zukunft ein Gutachten, um sich gegen Kündigungen wegen Eigenbedarf zur Wehr zu setzen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer sich als Mieter wegen Krankheit gegen eine Kündigung wegen Eigenbedarf zur Wehr setzen will, benötigt künftig mehr als nur ein ärztliches Attest oder eine jahrzehntelange Mietdauer. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine deutlich intensivere gerichtliche Überprüfung solcher Kündigungen angeordnet. Wenn Mieter Alter, Krankheit oder ihre tiefe Verwurzelung am Wohnort ins Feld führen, um einen "Härtefall" zu begründen und damit die Kündigung auszuhebeln, dann dürfen sich die Amts- und Landgerichte fortan nicht mehr auf die allgemeinen Umstände oder auf ärztliche Bescheinigungen verlassen. Im Regelfall muss laut BGH ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Geklagt hatte ein Familienvater, der für seine vierköpfige Familie mit zwei Kleinkindern mehr Platz benötigt - sie wohnen derzeit auf 57 Quadratmetern. Er hat deshalb zwei nebeneinanderliegende Wohnungen in Berlin gekauft, die er zusammenlegen möchte. In einer davon, 73 Quadratmeter groß, wohnt eine 80-jährige Frau mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhnen. Das Landgericht hat zwar prinzipiell den Eigenbedarf des Eigentümers anerkannt, aber wegen eines "Härtefalls" den Auszug der Mieterin unterbunden. Sie leide an Demenz und sei dort nach mehr als 40 Jahren sehr verwurzelt.

In einem weiteren Fall geht es um eine Doppelhaushälfte in Sachsen-Anhalt, in der ein Paar mit Sohn und einem Verwandten lebt. Zwei der Bewohner machen geltend, dass sie an schweren Krankheiten leiden - die aber laut Landgericht nicht so gravierend waren, dass ihnen ein Umzug unzumutbar wäre. "Eigenbedarf" kann geltend machen, wer die Wohnung für eigene Zwecke benötigt.

Nach den Worten der BGH-Senatsvorsitzenden Karin Milger haben die Gerichte in beiden Fällen vorschnell entschieden - im ersten zugunsten, im zweiten zulasten der Mieter. Beide Urteile wurden aufgehoben und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen - mit ungewissem Ausgang. Der BGH will die Gerichte zu einer "besonders sorgfältigen Abwägung" anhalten, weil auf beiden Seiten Grundrechte zu beachten seien. Damit ist es aus seiner Sicht nicht vereinbar, wenn man schematische "Fallgruppen" bildet, nach dem Motto: Wer 40 Jahre in der Wohnung lebt, wird schon ein berechtigtes Interesse haben, dort auch in Zukunft wohnen zu bleiben. Mit dem Urteil könnte es für Vermieter einfacher werden, die normalerweise zugunsten der Mieter ausschlagenden Argumente - Alter, Mietdauer, Verwurzelung - zu entkräften. Denn laut BGH muss ermittelt werden, ob etwa mit ärztlicher Behandlung ein Umzug trotz Krankheit zumutbar sein kann.

In diese Richtung geht jedenfalls die Sorge des Deutschen Mieterbundes: "Damit steigen die Chancen für Vermieter, eine Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, deutlich", sagte der Direktor des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. In jedem Fall dürfte der Aufwand für solche Prozesse wegen Eigenbedarf steigen, und damit die Kosten. Den Sachverständigen muss bezahlen, wer den Prozess verloren hat.

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