Süddeutsche Zeitung

Wohnungspolitik in Berlin:284 Bundestagsabgeordnete klagen gegen Mietendeckel

Das Land Berlin hat die Mieten für fast alle Wohnungen eingefroren. Dagegen klagen nun Parlamentarier von Union und FDP vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Mieterverein findet das "zynisch".

Von Robert Roßmann, Berlin

Wegen der Corona-Krise hat es länger gedauert als ursprünglich geplant, dafür haben sich jetzt deutlich mehr Bundestagsabgeordnete beteiligt als nötig gewesen wäre. Am Mittwoch haben 284 Bundestagsabgeordnete eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Berliner Mietendeckel eingereicht. Das sind 40 Prozent aller Parlamentarier, für eine Normenkontrollklage wären nur 25 Prozent nötig gewesen. Zu den Unterstützern gehören alle 80 FDP-Abgeordneten sowie 204 der 246 Unionsabgeordneten. Mitglieder anderer Parteien hatten die Initiatoren nicht gefragt.

Jan-Marco Luczak, der das Verfahren für die Abgeordneten von CDU und CSU koordiniert, sagte, die rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt habe "ein beispielloses Chaos auf dem Berliner Wohnungsmarkt verursacht". Trotz massivster verfassungsrechtlicher Bedenken habe "sie den Mietendeckel aus ideologischer Verbohrtheit durchgepeitscht". Mit der abstrakten Normenkontrolle wolle man "möglichst schnell wieder Rechtssicherheit herstellen", denn dem Mietendeckel stehe "die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben". Luczak ist rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sein Wahlkreis liegt in Berlin.

Der Mietendeckel ist im Februar in Kraft getreten. Mit dem Berliner Gesetz werden für den Großteil der Mietwohnungen in der Bundeshauptstadt die Mieten auf dem Stand von 18. Juni 2019 "eingefroren". Von November an können unter bestimmten Umständen sogar Mieten gesenkt werden. Erst von 2022 an sind wieder Mieterhöhungen zulässig, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen und um höchstens 1,3 Prozent jährlich.

Auch für die Miethöhe in Verträgen, die neu abgeschlossen werden, gibt es strikte Obergrenzen. Verstöße gegen den Mietendeckel können als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 500 000 Euro geahndet werden. Die Regelungen des Berliner Mietendeckels unterscheiden sich erheblich von den anderen gesetzlichen Vorgaben, die für Mieterhöhungen in laufenden Verträgen und für die Miethöhe bei neu abgeschlossenen Verträgen gelten.

"Populistische Scheinlösung"

Luczak sagte, es sei "ein untragbarer Zustand, dass Millionen von Mietern und Vermietern mit sich widersprechenden Rechtsbefehlen konfrontiert werden", niemand wisse mehr, an welches Recht er sich halten solle. Der Mietendeckel sei "eine populistische Scheinlösung, er hilft den Menschen nicht, er schadet ihnen". Dringend benötigter Neubau würde "verhindert, der alters- und klimagerechte Umbau von Wohnungen torpediert". Die sozialen Folgen des Gesetzes seien "schreiend ungerecht". Gut situierte Mieter in teuren, sanierten Altbauwohnungen in bester Citylage würden von ihm am meisten profitieren, "während sich dort die Miete oftmals halbieren wird, haben Mieter in Marzahn nichts vom Mietendeckel". Auch die Union wolle "starke soziale Leitplanken im Mietrecht - niemand soll aus seiner Wohnung verdrängt werden, weil er sich die Miete nicht mehr leisten kann". Die jetzt eingereichte Normenkontrollklage sei aber "ein Stoppzeichen, dass wir den Übergriff in unsere Kompetenz als Bundesgesetzgeber nicht hinnehmen".

Das Bundesinnenministerium hatte bereits vor einem halben Jahr erklärt, dass es das Berliner Gesetz für grundgesetzwidrig halte.

Die für den Mietendeckel zuständige Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher sagte, man habe "die gerichtliche Überprüfung erwartet und begrüße die notwendige Klärung, um die bestehende Unsicherheit bei Mieterinnen und Mietern zu beenden". Die Linken-Politikerin verteidigte das Berliner Gesetz aber noch einmal ausdrücklich. In der aktuellen Corona-Krise zeige sich sehr deutlich, wie schnell eine hohe Mietbelastung zur existenziellen Bedrohung werden könne, sagte Lompscher. Viele Menschen hätten "aktuell Angst, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren - damit muss Schluss sein".

Der Mieterverein reagiert empört

Der Berliner Mieterverein reagierte ähnlich. Der gesetzliche Deckel sei "gerade im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie in Berlin von besonderer sozialpolitischer Bedeutung", sagte Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Diesen Deckel jetzt mittels einer Normenkontrollklage beseitigen zu wollen, sei "zynisch und das vollkommen falsche Signal". Die Abgeordneten von Union und FDP hätten "einmal mehr nur die Vermieter" und die Immobilienwirtschaft im Blick, obwohl die Immobilienvermögen in den vergangenen Jahren rasant gestiegen seien, "bei gleichzeitig erheblich erhöhter Wohnkostenbelastung für Mieter und Mieterinnen".

Bisher hätten Bundesregierung und Bundestag beim Mieterschutz wie auch bei den Rahmenbedingungen für den Bau preisgünstiger Mietwohnungen "versagt", sagte Wild. Mit dem Mietendeckel sei ‐ zumindest was den Mieterschutz betreffe ‐ nun erstmals seit vielen Jahren wieder eine Neuregelung geschaffen worden, die vermutlich wirken werde. Diese Regelung zu beseitigen, wäre "ein Schlag ins Gesicht für die 1,5 Millionen Mieterhaushalte in Berlin".

Wann das Bundesverfassungsgericht über den Berliner Mietendeckel entscheiden wird, ist noch unklar. In jedem Fall wird das Votum der Karlsruher Richter aber auch für Mietenstopp-Initiativen in anderen Bundesländern richtungsweisend sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4898818
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/bepe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.