Süddeutsche Zeitung

Mietendeckel:Was Kommunen gegen den Mietwahnsinn unternehmen

... und was nur die Bundesregierung oder die Landesregierungen gegen steigende Mieten und fehlenden Wohnraum tun können. Ein Überblick von Airbnb bis Sozialwohnungsquote.

Von Jana Anzlinger und Lukas Wittland

Im April protestierten bundesweit Zehntausende gegen den Wahnsinn. Genau genommen: gegen den "Mietwahnsinn", die steigenden Mieten und die Verdrängung derer aus den Städten, die solche Mieten nicht zahlen können. Es gibt in der Bundesrepublik zwar genügend Wohnraum. Nur nicht da, wo er gebraucht wird - und nicht für die, die ihn dringend benötigen. Gerade in den Großstädten, in Universitätsstädten und sonstigen Ballungsräumen, in denen der Zuzug seit Jahren hoch ist, können sich viele die Miete nicht mehr leisten.

Allein in Berlin fehlen Zehntausende bezahlbare Wohnungen. Der rot-rot-grüne Senat hat deshalb einen bundesweit einmaligen Mietendeckel beschlossen, gegen den vor allem Baugewerbe und Immobilienlobby protestieren.

Die Berliner Entscheidung wird bundesweit mit großem Interesse aufgenommen. Ob auch andere Regierungen den Mietendeckel einführen werden, ist noch unklar. Städtetagspräsident Burkhard Jung betont, dass Städte "diesen Weg ohne die Länder gar nicht gehen" können und wirbt dafür, dass mehr kommunale Verwaltungen "andere Lösungen" suchen. Welche Alternativen zum Mietendeckel gibt es? Und was tun vom Wahnsinn betroffene Städte schon jetzt?

Mietpreisbremse, Mietendeckel, Mietenstopp

Gesetzlich vorgeschrieben ist die sogenannte Kappungsgrenze: Mieten dürfen innerhalb von drei Jahren um nicht mehr als 20 Prozent erhöht werden. Landesregierungen können diese Kappungsgrenzen in einzelnen Kommunen mit eigenen Verordnungen senken.

2015 hat die Bundesregierung die Mietpreisbremse eingeführt, inzwischen ist sie von der großen Koalition verschärft worden. Sie besagt, dass die Miete bei einer Neuvermietung in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent übersteigen darf. Welche Gebiete dazu zählen, bestimmen die Länder.

Mit dem Mietendeckel betritt der Senat in Berlin rechtliches Neuland: Bei etwa 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin sollen die Mieten rückwirkend vom Stichtag, dem 18. Juni 2019, für fünf Jahre eingefroren werden. Danach können sie um einen Inflationsaufschlag von 1,3 Prozent erhöht werden. Sehr hohe Mieten können gemindert werden.

In Bayern läuft gerade ein Volksbegehren für einen Mietenstopp. Am Ende soll ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, das die Mieten in den Gemeinden Bayerns für sechs Jahre einfriert - bei laufenden Mietverträgen. Neubauten sollen von diesem Gesetz ausgenommen werden. Weitere Ausnahmen soll es bei besonders günstigen Mieten, Modernisierungen und Wiedervermietung geben.

In einigen Städten gilt für bestimmte Wohnungen eine Art städtische Zusatz-Mietpreisbremse. So haben sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Stuttgart, Frankfurt und München darauf verpflichtet, die Mieten in den kommenden Jahren gar nicht oder nur moderat zu erhöhen.

Mehr Sozialwohnungen

Dem Städtetag zufolge haben bereits zahlreiche Kommunen begonnen, mit Wohnungsbaugenossenschaften oder Investoren gemeinsam Quoten für Sozialwohnungen festzulegen. Das heißt: Wer ein Mehrfamilienhaus baut, muss einen Teil davon als Sozialwohnungen vermieten. Beispielsweise in Kassel müssen Investierende mindestens 25 Prozent ihrer geplanten Wohneinheiten im geförderten Wohnungsbau realisieren. In Nordrhein-Westfalen gilt in vielen Kommunen eine Quote zwischen 20 und 30 Prozent - in Bonn liegt sie seit 2018 bei 40 Prozent. In Berlin liegt die Quote aktuell bei 30 Prozent. In München gilt das Modell der "sozialgerechten Bodennutzung" (kurz: Sobon) bereits seit 1994, auch viele Kommunen im Landkreis haben es übernommen. In Bayerns Landeshauptstadt sollen neben 30 Prozent Sozialwohnungen noch 10 Prozent als preisgedämpfter Mietwohnungsbau verwirklicht werden.

Die Stadt als Vermieter

"Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten": So formulierte es Juso-Chef Kevin Kühnert in einem Interview, das später wegen seiner Kollektivierungs-Vorschläge für Kritik sorgte. Die Idee der Immobilie als Spekulationsobjekt in privater Hand gerät immer häufiger in die Kritik, städtische Gesellschaften legen vergleichsweise faire Mieten fest. Daraus leitet sich der Vorschlag einer Besitzdeckelung ab: Unternehmen und Privatleute sollen nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Wohnraum besitzen dürfen - oder gar ein Verbot von Besitz, der nicht als eigene Wohnung genutzt wird. Ein derart massiver Eingriff ist allerdings nicht mehrheitsfähig.

Tatsächlich gibt es einen Trend zum Rückkauf kommunaler Grundstücke. Es geht dabei um Grundstücke, Immobilien oder Anteile an Wohnungsbaugesellschaften, die die Städte selbst vor Jahren verkauft haben - und nun wieder zurückhaben wollen, weil dort die Mieten explodieren. Das Land Thüringen hat bereits erklärt, Kommunen dabei unterstützen zu wollen. Der Rückkauf schafft zwar keinen neuen Wohnraum, aber er schafft bezahlbaren Wohnraum.

Städtischer Wohnungsbau und Nachverdichtung

Unter dem Schlagwort Acht-Euro-Wohnungsbau hat der Senat in Hamburg gemeinsam mit der städtischen Entwicklungsgesellschaft ein Modellprojekt gestartet, das günstigen Wohnraum garantieren soll. Ohne Bezuschussung werden Wohnungen für eine Nettokaltmiete von acht Euro pro Quadratmeter vermietet. Die Stadt verpflichtet Investierende, diesen Preis fünf Jahre lang beizubehalten. Zudem ist eine günstige Bauweise gewählt worden. Beispielsweise wird in den Gebäuden auf einen Aufzug verzichtet, um Kosten zu sparen. Barrierefrei sind die Wohnungen also nicht.

Die Stadt Hamburg treibt aber auch, wie viele andere, die Nachverdichtung voran, um neuen Wohnraum zu schaffen. Konkret bedeutet das: Aufstockung oder Hinterhofbebauung. Durch das Aufstocken müssen keine weiteren Grünflächen im Stadtgebiet versiegelt werden. Die Hinterhofbebauung lässt grüne Innenhöfe hingegen häufig verschwinden. In München wollen Initiativen ein Bürgerbegehren gegen eine "maßlose Nachverdichtung" erreichen. Seit Anfang Oktober sammeln sie dafür Unterschriften. Sie kritisieren, dass dadurch Grünflächen verschwinden könnten und dass teure Neubauwohnungen die Preise in der Umgebung nach oben ziehen könnten. Die Stadtspitze hingegen argumentiert, ohne Nachverdichtung würden die Mieten irgendwann durch die Decke schießen.

Eine Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel-Instituts Hannover nimmt dabei vor allem die Dächer eingeschossiger Supermärkte und von Büros in den Blick. Alleine so könnten fast eine Million neue Wohnungen entstehen, behaupten die Forscher. Einfach auf ein Gebäude weitere Stockwerke zu setzen, ist allerdings nicht immer leicht, wenden Kritiker ein.

Bau-Anreize setzen

Städtetagspräsident Jung schlägt Städten ein "Bündel an Maßnahmen" gegen das Wohnproblem vor. So brauchten die Kommunen mehr Bauflächen, "Planungsverfahren müssen beschleunigt, das Bauen muss wieder günstiger werden". Er meint damit vor allem, dass Kommunen häufiger ein Vorkaufsrecht haben sollten - das aber würde eine Änderung des Baugesetzbuchs erfordern und damit in der Hand der Bundesregierung liegen. Dasselbe gilt für weitere Vorschläge, das Baurecht zu vereinfachen und zu entschlacken. Die aktuelle Rechtslage erfordert teilweise viele Bearbeitungsschritte in Kommunalverwaltungen, denen das Personal fehlt - und so werden Bauvorhaben oft schon ganz am Anfang verzögert.

Kürzlich hat der Bundestag einer Änderung der Grundsteuer zugestimmt, um die Bund, Länder und Parteien monatelang gerungen hatten. Die Grundsteuer ist eine Steuer auf den Besitz von Grundstücken und Gebäuden. Die gerade vom Bundestag verabschiedete Grundsteuer-Reform führt dazu, dass sie neu berechnet wird anhand des Bodenwerts und der durchschnittlichen Miete. Die Initiative "Grundsteuer: Zeitgemäß!", die von Naturschutz-Aktiven und einigen Bürgermeistern ausgegangen ist, findet, dass Gebäude zu stark in die Berechnung einfließen, weshalb Bauvorhaben entmutigt würden. Sie fordert eine Art Bodensteuer statt der Grundsteuer.

Die Stadt Münster verkauft städtische Grundstücke nicht mehr nach Höchstgebot, sondern nur noch nach dem Kriterium, wer die niedrigsten Startmieten bietet. Baurecht für Mehrfamilienhäuser gibt es zudem nur, wenn die Stadt das Grundstück zur Hälfte kaufen kann.

Mehr Wohnraum in Vororten und Vorstädten

Die Stadt Regensburg hat Anfang 2016 eine Wohnbauoffensive ins Leben gerufen, um damit auf knapper werdenden Wohnraum zu reagieren, mit dem Regensburg als Universitätsstadt zu kämpfen hat. Das zeigt sich aber auch im Landkreis. Immer mehr Wohnraum entsteht auch dort. Neubaugebiete in Vororten bedeuten aber gleichzeitig auch, dass neue Flächen versiegelt werden, auch weil Gebiete teilweise erst mit einer Straße angebunden werden müssen. Gleichzeitig kann die bessere infrastrukturelle Anbindung von bestehenden Wohngebieten Vorstädte attraktiver machen, sodass dort bestehender Wohnraum besser genutzt wird: Wenn aus dem Vorort ein Bus in die Innenstadt fährt, ist der Vorort als Zuhause gleich viel attraktiver.

Die Stadt Regensburg will künftig auch wieder mehr Gebiete in der Stadt selbst entwickeln und entgegen ihrer bisherigen Nutzung umfunktionieren. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne sollen 650 neue Wohnungen entstehen. Mindesten 60 Prozent davon sollen gefördert werden. Außerdem sollen Grundstücke nicht mehr an den Höchstbietenden vergeben werden, sondern nach dem besten Konzept.

Airbnb strenger kontrollieren

Den Städten ist die Plattform Airbnb, bei der Privatleute ihre Wohnungen als Ferienwohnungen vermieten können, gleich aus zwei Gründen ein Dorn im Auge: Den Städten entgehen nicht nur Steuereinnahmen, sondern vor allem der in Großstädten rare Wohnraum. Die Plattform ist gerade in bei Touristen beliebten deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin, Köln und München ein Problem, aber auch in europäischen Metropolen wie Paris und Barcelona, die sich mittlerweile gegen Airbnb verbünden. Die Stadt München befindet sich aktuell in einem Rechtsstreit mit dem US-Unternehmen - sie will, dass Airbnb die Namen und Adressen von Anbietern illegal genutzter Ferienwohnungen an sie weitergibt. In München gelten private Wohnungen, die mehr als acht Wochen im Jahr als Ferienwohnung angeboten werden, als zweckentfremdet.

Auch die Stadt Köln geht gegen Airbnb vor. Am 1. Juli ist dort eine neue Wohnraumschutzsatzung in Kraft getreten, die der Vermietung von Privatwohnungen als Ferienwohnungen entgegenwirken soll. Sie soll dafür sorgen, dass Wohnungen "auch zum Wohnen genutzt und nicht für andere kommerzielle Interessen zweckentfremdet werden. Wir verhindern damit Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, die in vielen europäischen Metropolen beobachtet werden", so die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Satzung gibt der Stadt die Möglichkeit, die "Wiederzuführung von Wohnraum zu Wohnzwecken" anzuordnen und kann bis 50 000 Euro Bußgeld pro Wohneinheit verhängen.

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