Sieg der Frauen bei den US-Midterms:Weiblich, mächtig, uneinig

Kongresswahlen in den USA

Die Demokratin Ilhan Omar nach der Wahl mit Unterstützerinnen

(Foto: dpa)
  • Die Kongresswahl in den USA war weiblich - noch nie haben so viele Frauen kandidiert.
  • Viele der neuen Abgeordneten der Demokraten eint aber nicht mehr als ihr Geschlecht - das dürfte die politische Arbeit erschweren.
  • Auf die demokratische Partei kommt ein Richtungsstreit zwischen dem gemäßigten und dem progressiven, linksliberalen Flügel zu.

Von Hubert Wetzel, Washington

Amerikas Frauen sind die Gewinnerinnen dieser Kongresswahl. Noch nie haben so viele Frauen in den USA für ein Abgeordnetenmandat kandidiert - fast 200 Demokratinnen und an die 60 Republikanerinnen. Und noch nie haben so viele Frauen ihre Wahlkämpfe gewonnen. "Der Sieg" mag ein männliches Pronomen haben. Aber "die Wahl" ist weiblich, und diese war es ganz besonders.

Das gilt vor allem für die Demokratische Partei, die - mithilfe der Stimmen von Millionen Wählerinnen, die genug hatten von Präsident Donald Trump und seinen Republikanern - die Mehrheit im Repräsentantenhaus übernommen hat. Von Januar an wird die Fraktion der Demokraten mehr als 100 weibliche Mitglieder haben. Bei der republikanischen Opposition sind es deutlich weniger - nur 15.

Bei vielen der neuen Parlamentarierinnen kann man zwei Wörtchen hinzufügen: die erste. Ayanna Pressley zum Beispiel, die erste schwarze Abgeordnete aus Massachusetts; Cindy Axne und Abby Finkenauer, die ersten Frauen, die aus dem Bundesstaat Iowa ins Repräsentantenhaus einziehen; Deb Haaland und Sharice Davids, die ersten indianischstämmigen Frauen im Parlament; Veronica Escobar und Sylvia Garcia, die ersten Latinas aus Texas; Rashida Tlaib und Ilhan Omar, die ersten Musliminnen; und Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, die zwar in keiner Kategorie die Erste ist, dafür aber mit 29 Jahren die jüngste Frau, die jemals bei einer Kongresswahl gewonnen hat.

Jungstar im Wahlkampf bedeutet nicht unbedingt Macht im Kongress

Doch jetzt ist die Wahl vorbei, und die Parlamentsarbeit beginnt. Und es wäre keine Überraschung, wenn sich dann herausstellte, dass viele dieser Parlamentarierinnen eigentlich nicht viel mehr eint, als dass sie eben alle Frauen sind. Wo und wie sie gewählt wurden, wird dann für ihre politische Arbeit mindestens so wichtig sein wie ihr Geschlecht.

Das liegt vor allem daran, dass die Demokraten trotz ihres Wahlsiegs keinesfalls einig sind, in welche Richtung die Partei steuern soll. Es gibt einen sogenannten progressiven Flügel, der einen dezidiert linksliberalen Kurs fordert; und es gibt einen gemäßigten Flügel, der eher die politische Mitte besetzen will. Im Wahlkampf wurde diese Spaltung oft übertüncht - alle wollten gewinnen. Aber das wird künftig schwieriger sein, wenn es um Entscheidungen geht.

In diesem Zusammenhang ist wichtig, wie eine Parlamentarierin überhaupt ins Amt gelangt ist. Ayanna Pressley und Alexandria Ocasio-Cortez zum Beispiel haben ihre entscheidenden Siege nicht am 6. November errungen, sondern sehr viel früher: in den parteiinternen Vorwahlen. In diesen haben sie jeweils altgedienten demokratischen Amtsinhabern - weißen Männern - die Kandidatur streitig gemacht und abgenommen. Da sie in soliden demokratischen Wahlkreisen antraten, in denen die Partei seit Jahrzehnten siegt, war danach ihr Einzug ins Abgeordnetenhaus praktisch sicher.

Das bedeutet aber auch: Politisch sind solche Parlamentarierinnen vor allem den treuen - und eher linksliberalen - Parteianhängern und Aktivisten verpflichtet, die in den Vorwahlen das Sagen haben.

Aufmerksamkeit für Alltagsprobleme

Das sieht bei Abgeordneten wie Sharice Davids oder Cindy Axne ganz anders aus. Sie haben in den konservativen Bundesstaaten Kansas und Iowa Sitze für die Demokraten erobert, die bisher von den Republikaner gehalten worden waren. Sie haben also die neue demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus geschaffen, indem sie am 6. November republikanische Amtsinhaber besiegt haben.

Das freilich gelang ihnen nur, weil sie sich vom linken Flügel ihrer Partei mehr oder weniger distanziert haben. Tatsächlich hat am 6. November keine einzige demokratische Kandidatin gegen einen Republikaner gewonnen, die von den beiden weit links stehenden Lobbygruppen Our Revolution oder Justice Democrats unterstützt worden war. Was den innerparteilichen Richtungskampf angeht, war die Wahl kein Erfolg für die linken Demokraten. Die Macht im Abgeordnetenhaus haben moderate Demokratinnen errungen, die im Wahlkampf nicht über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump oder die Auflösung der Grenzschutzbehörde ICE geredet haben, sondern über die Alltagsprobleme der Wähler - Krankenversicherung, Jobs, Bildung. Sie verdanken ihr Mandat einer anderen, deutlich weniger linken Klientel als manche Kolleginnen.

Auch in anderer Hinsicht unterscheiden sich die neuen Parlamentarierinnen stark. Frauen wie Elissa Slotkin oder Abigail Spanberger, die früher im Pentagon und bei der CIA gearbeitet und nun in Michigan und Virginia Sitze gewonnen haben, verbinden nur wenige politische Gemeinsamkeiten mit ihren künftigen Kolleginnen Rashida Tlaib und Ilhan Omar. Die beiden Musliminnen, Töchter palästinensischer Einwanderer und somalischer Flüchtlinge, haben zumindest in der Vergangenheit zum Nahost-Konflikt und zu Israel durchaus umstrittene Ansichten geäußert. Das kann bei Gelegenheit Folgen für ihre politische Arbeit haben und zu Meinungsunterschieden mit anderen Abgeordneten führen, die nicht allein dadurch überbrückt werden können, dass sie alle Frauen und Demokratinnen sind.

Und schließlich werden die neuen Abgeordneten zu spüren bekommen, dass ein Status als gefeierter Jungstar im Wahlkampf nicht automatisch Einfluss und Macht im Abgeordnetenhaus bedeutet. Für die Rangfolge dort zählen Seniorität, Erfahrung, Verbindungen und vor allem die Fähigkeit, möglichst viele Wahlkampfspenden einzusammeln, für sich selbst und für bedürftige Kollegen.

Erfolge in den Hipster-Gegenden - und nicht bei Schwarzen und Latinos

So war zum Beispiel der Sieg von Alexandria Ocasio-Cortez in der Vorwahl über den langjährigen, ranghohen Abgeordneten und Parteifreund Joseph Crowley eine Sensation. Und natürlich war die junge Frau mit lateinamerikanischen Wurzeln, die in der Bronx als Kellnerin arbeitete, aus medialer Sicht deutlich attraktiver als ein älterer, irischstämmiger, weißer Katholik.

Aber Crowley war ein Schwergewicht im Parlament, er hatte Macht, und diese hat er in der Vergangenheit immer wieder genutzt, um viel Geld aus der Staatskasse in seinen Wahlkreis zu lenken. Das kam seinen Wählern zugute, von denen sehr viele arm sind. Ocasio-Cortez fängt jetzt als Parlamentsneuling wieder ganz unten an.

Es war daher wahrscheinlich kein Zufall, dass Ocasio-Cortez bei der Vorwahl vor allem in den Gegenden ihres Wahlkreises gut abschnitt, in die in den vergangenen Jahren junge, wohlhabende und weiße Hipster gezogen sind. Die eingesessenen Schwarzen und Latinos stimmten überwiegend für Crowley - sie brauchen Hilfe vom Staat und wussten, was sie an ihm haben.

Politische Zwänge versus Frauensolidarität

Die mächtigste Frau im neuen Repräsentantenhaus wird daher vermutlich eine der dienstältesten sein: Nancy Pelosi, 78 Jahre alt, seit 1987 Abgeordnete. Sie kennt das Parlament wie keine andere, sie weiß, wie man Deals macht und wie man einen Haufen sehr unterschiedlicher Parlamentarier auf Linie hält. Sie hat über die Jahre diverse Führungsposten in der Fraktion gehabt, von 2007 bis 2011 hatte sie das mächtige Amt des Speakers inne, den Vorsitz des gesamten Abgeordnetenhauses.

Diesen Posten strebt Pelosi auch jetzt wieder an. Allerdings gibt es Widerstand aus den eigenen Reihen. Pelosi ist eine Parteilinke, und es gibt etliche konservative Demokraten im Abgeordnetenhaus, die sich angesichts von Trumps Wahlerfolgen in traditionellen demokratischen Gegenden einen Führungswechsel wünschen. Bisher ist nicht sicher, dass Pelosi die notwendige Anzahl an Stimmen zusammenbekommt, um zum Speaker gewählt zu werden. Einige Demokraten haben im Wahlkampf ihren Wählern ausdrücklich versprochen, nicht für Pelosi zu stimmen - eine Reaktion darauf, dass die Republikaner Pelosi mit Erfolg zu einer Art linksradikalem Schreckgespenst gemacht haben.

Unter diesen Pelosi-Gegnern sind auch mehrere Frauen. Die politischen Zwänge schlagen in diesem Fall also die Geschlechtersolidarität. Aber das ist ja unter Männern auch nicht anders. So sei eben das politische Geschäft, sagte Pelosi am Donnerstag in einem Interview. "Das hier ist kein Besuch am Strand. Das ist Politik."

Zur SZ-Startseite
Richard Nixon

Rauswurf von US-Justizminister
:Trump agiert wie Nixon vor seinem Sturz

Der erzwungene Rücktritt von Justizminister Sessions erinnert an einen denkwürdigen Abend im Oktober 1973, der als "Saturday Night Massacre" in die Geschichte einging.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: