Süddeutsche Zeitung

US-midterms:In den "suburbs" entscheidet sich die Wahl

Wütende Frauen, Hausbesuche, Politiker am Küchentisch: Die US-Kongresswahlen werden in den Vororten gewonnen. Eindrücke aus einem Wahlkampf, bei dem es um mehr geht als um Donald Trump.

Von Alan Cassidy, Willingboro

Samstagmorgen in der Shoppingmall von Willingboro, eine halbe Stunde östlich von Philadelphia. Ein Minivan nach dem anderen rollt auf den Parkplatz, der dreimal so groß ist wie das Baseball-Feld nebenan. Aus den Autos klettern Eltern mit Kindern, sie verschwinden im Supermarkt oder im Turnschuh-Outlet. Ein Vater geht mit seinem Sohn das kurze Stück zum Baseball-Feld, die Sporttasche um die Schultern, den Schläger in der Hand. Auch Audrey Iacobucci und Vicki Brooks haben ihre Kombis geparkt, am Ende der Mall. Sie sind allerdings nicht zum Einkaufen hier, auch nicht für den Sport - sondern um sich als Freiwillige einzuschreiben. Im örtlichen Büro der Demokratischen Partei.

Iacobucci, Kinderärztin, 38 Jahre, und Brooks, Hausfrau, 59 Jahre, sind beide Mütter. Beide kümmerten sich jahrelang nicht groß um Politik, gingen zwar ab und zu wählen (meist die Demokraten), aber mehr als das? Nein. Doch jetzt stehen beide hier, im etwas chaotischen, provisorischen Parteibüro in der Shoppingmall, um zu helfen. Sie tragen rote T-Shirts von "Moms Demand Action", einer Organisation von Müttern, die schärfere Waffengesetze fordert, und sie hören dem jungen Mann zu, der mit ihnen die Aufgabe des Tages durchgeht: Sie sollen gleich von Haustür zu Haustür ziehen, um Werbung für den Kandidaten der Demokraten zu machen.

Für Iacobucci und Brooks wird es das erste Mal sein. "Viele Frauen wachen gerade auf", sagt Brooks, die Ältere der beiden. "Sie wollen mitreden, sie wollen eine Stimme haben." Eine Antwort geben auf all das, was passiert ist, seit Donald Trump im Weißen Haus sitzt. Den neuen Verfassungsrichter Brett Kavanaugh mochte Brooks schon nicht, bevor die Vorwürfe sexueller Gewalt gegen ihn auftauchten. "Er ist ein rabiater Abtreibungsgegner." Trump selber? "Er steht nicht auf der Seite der Frauen. Er steht konsequent auf der Seite der Täter." Viele Frauen seien schon lange wütend, aber etwas habe sich geändert in letzter Zeit, sagt Iacobucci, die Kinderärztin: "Viele, die bisher still waren, werden nun aktiv." Frauen wie sie.

Auf dem Land herrschen die Republikaner, in den Städten die Demokraten

Am 6. November wählen die Amerikaner einen neuen Kongress: alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, ein Drittel des Senats. Und zumindest im Repräsentantenhaus stehen die Chancen für die Opposition gut, eine Mehrheit zu erobern. Es wäre ein schwerer Schlag für Trump und seine Republikaner - und vielleicht der erste Schritt auf dem Weg zurück ins Weiße Haus für die Demokraten.

Die entscheidenden Schlachten werden dabei in den Vororten geführt, wo die Leute tendenziell besser ausgebildet sind und besser verdienen - und wo besonders Frauen mit Trumps Stil nichts anfangen können. Auf dem Land herrschen die Republikaner, in den Städten die Demokraten - aber die Vororte sind umkämpftes Gebiet. Von den 65 Wahlkreisen, die diesen Herbst als battleground districts gelten, liegen die meisten in den suburbs. Wollen die Demokraten die 24 zusätzlichen Sitze holen, die sie für eine Mehrheit im Repräsentantenhaus brauchen, müssen sie dort siegen.

In Orten wie Willingboro. Die kleine Gemeinde gehört zum dritten Wahlkreis des Bundesstaats New Jersey. Der Kampf um diesen Bezirk ist einer der härtesten des Landes. Vor zwei Jahren wählte hier eine knappe Mehrheit Donald Trump als Präsidenten. Im Kongress wurde der Bezirk meistens von einem Republikaner vertreten. Derzeit ist das Tom MacArthur, ein früherer Versicherungsmanager, der im Kongress fast immer auf Parteilinie stimmt. Als er die Kampagne für seine Wiederwahl lancierte, hielt Trump für ihn in seinem Golfclub eine Spendengala ab - ein kleines Dankeschön vom Präsidenten.

Der Mann, der MacArthur aus dem Amt drängen will, heißt Andy Kim. Der 36-jährige Sohn südkoreanischer Einwanderer ist in der Gegend aufgewachsen, ging dann aber früh nach Washington und arbeitete dort als außenpolitischer Berater für die US-Regierung. Zuletzt war er Irak-Spezialist im Nationalen Sicherheitsrat von Präsident Barack Obama. Gleich zu Beginn seiner Kampagne erklärte Kim, keine Spenden von Political Action Committees (Pacs) oder von Unternehmen anzunehmen - so, wie das inzwischen einige Demokraten machen. Stattdessen bestreitet er seinen Wahlkampf vor allem mit einer außergewöhnlich hohen Zahl an Kleinspenden: 34 Dollar beträgt der durchschnittliche Betrag, den ihm seine Unterstützer überweisen. Damit sich das irgendwie summiert, absolviert Kim bis zu fünf Auftritte am Tag.

Jetzt hält Kim in seinem Kleinwagen vor dem Haus der Familie Singh in Mount Laurel, die ihn für eine Rede gebucht hat. Er springt aus dem Auto, dunkelblaue Jeans, dunkelblaues Hemd, begrüßt mit ausgestrecktem Arm die Gastgeber und wird von ihnen durch die Garage in die große offene Küche im oberen Stock geführt. Hier warten schon gut 40 Leute aus der Nachbarschaft, viele mit indischen Wurzeln, sie trinken Chai-Tee und essen Gemüse-Pakoras. Kim geht einmal durch den Raum, schüttelt Hände, lächelt, hört zu. Dann stellt er sich hin und erzählt von seinem Vater, der als Waise mit Kinderlähmung in die USA kam und es hier bis zum Arzt schaffte. Er erzählt von seiner Dankbarkeit gegenüber dem Land, das ihm eine gute Ausbildung ermöglichte. Es ist eine sehr amerikanische Geschichte.

Als Nächstes zieht Kim über seinen Konkurrenten her, der Hunderttausende Dollar Spenden aus der Pharmaindustrie erhalten habe. "Es ist kein Zufall, dass er das Gesetz schrieb, mit dem die Republikaner Obamas Gesundheitsreform rückgängig machen wollten!" Überhaupt dreht sich hier vieles um die Gesundheitsversorgung: Seine Prämie sei von monatlich 500 auf 1200 Dollar gestiegen, sagt ein aufgebrachter Mann mit Turban. Trump, die Russland-Affäre, Impeachment, all die Dinge also, mit denen sich die Washingtoner Blase jeden Tag abgibt: Sie sind hier kein Thema. Kim erwähnt sie mit keinem Wort.

So geht es derzeit vielen Demokraten, die in republikanisch geprägten Wahlkreisen kandidieren. Es wäre verlockend, einfach Trump-Bashing zu betreiben, sagt Kims Mitarbeiter, der ihn an alle Anlässe begleitet. "Aber die Leute hier interessieren sich für lokale Themen." Lokale Themen, das heißt in dieser Ecke von New Jersey: die unterfinanzierten Schulen. Die Folgen von Trumps Steuerreform. Die Zukunft der Militärbasis, die der größte Arbeitgeber in der Gegend ist.

Lieber redet Kim also darüber, wie kaputt der Kongress sei. "Das Hauptproblem in Washington", sagt Kim vor dem Kühlschrank der Familie Singh, "ist die fehlende Integrität auf beiden Seiten. Es gibt zu viel Korruption." Bevor Kim nach einer guten Stunde weiterfährt zum nächsten Anlass, dreht er noch einmal eine Runde durch die Küche: "Danke für Ihre Stimme!" Knapp 2000 Dollar hat er hier gesammelt.

Mit Kritik in Trump ist nicht viel zu holen

Mit solchen Beträgen kommt man in der US-Politik nicht weit. Darum ist Kim auf Hilfe vor Ort angewiesen. 1500 Freiwillige hat seine Wahlkampforganisation bereits rekrutiert - darauf ist er stolz. Es sind Leute wie Audrey Iacobucci und Vicki Brooks, die Kinderärztin und die Hausfrau von "Moms Demand Action", die an Haustüren klopfen. Sie stehen jetzt in einer Siedlung, wo jedes Haus gleich aussieht: schräges Dach, große Einfahrt, akkurat geschnittener Rasen.

Der Erste, den die beiden Frauen ansprechen, ist Kevin Neal, ein Mann in den Vierzigern, der gerade in kurzen Hosen dabei ist, seinen Offroader zu waschen. Neal ist weder als Demokrat noch als Republikaner registriert, sondern als unabhängiger Wähler. Mit Kritik an Trump, das merken Iacobucci und Brooks rasch, ist bei ihm nicht viel zu holen. "Eines muss man Trump lassen", sagt er gleich zu Beginn, "er hat alle seine Versprechen gehalten." Aber Tom MacArthur, der Abgeordnete der Republikaner? "Soll abfahren. Der hat sich hier in all den Jahren kein einziges Mal blicken lassen."

Als Brooks darüber spricht, dass sich Kim für strengere Waffengesetze starkmache, nickt der Mann. Er habe selber zwei Glock-Pistolen im Schrank: "Aber dass es Bundesstaaten gibt, wo einfach jeder eine Knarre haben kann, finde ich nicht gut." Wen Neal im November wählt, will er nicht sagen: "Ich muss mich erst noch schlaumachen." Auf ihrer Wählerliste macht Brooks ein Kreuz bei "nochmals anrufen". Dann ziehen die Frauen ein Haus weiter.

Als sie nach zwei Stunden ins Parteibüro zurückfahren, reden sie im Lokalradio über die neueste Umfrage in ihrem Wahlbezirk. Andy Kim liegt vorne.

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