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Neuauszählung in Florida: Zwischen Pech und Verschwörung

  • Nach den Midterms werden in Teilen der USA immer noch Stimmen gezählt - besonders spannend ist es in Florida.
  • Dort liegen die Kandidaten für den Senat als auch für den Gouverneursposten sehr nahe beinander.
  • Für US-Präsident Trump ist die Sache einfach. Er hält das Ganze für einen großen Betrugsversuch.

Von Thorsten Denkler, Washington

Es ist Tag neun nach den Midterms. Und noch immer werden in den USA Stimmen ausgezählt. Mal geht es um einen Sitz im Repräsentantenhaus, mal um ein Gouverneursamt, wie in Georgia. Und dann, wie in Florida und Mississippi, um einen Posten im Senat. Die Gründe für die Neuauszählungen sind vielfältig und die Rennen knapp. Es kommt auf jede Stimme an.

Besonders spannend macht es gerade Florida, sowohl bei der Wahl um das Gouverneurs-Amt als auch für den Senat. Beim Rennen um das Gouverneurs-Amt führt der Republikaner Ron DeSantis mit etwas mehr als 30 000 Stimmen oder 0,4 Prozentpunkten vor dem Demokraten Andrew Gillum. Beim Senatsrennen trennen sogar nur knapp 12 500 Stimmen den führenden Republikaner Rick Scott vom demokratischen Amtsinhaber Bill Nelson.

In Florida sieht das Gesetz vor, dass es automatisch zu einer Neuauszählung der Stimmen kommen muss, wenn die Ergebnisse der führenden Kandidaten einen halben Prozentpunkt oder weniger auseinanderliegen. Kommt danach ein Ergebnis heraus, in dem beide Kandidaten 0,25 Prozentpunkte voneinander entfernt sind, muss noch mal per Hand ausgezählt werden. Allerdings werden dann nur Wahlzettel neu ausgewertet, auf denen Wähler in einem Rennen keinen Kandidaten angekreuzt haben (undervotes) oder gleich mehrere (overvotes).

Für die Auszählung gibt es zeitliche Grenzen. Die gerade laufende Neuauszählung per Maschine muss bis Donnerstag, drei Uhr Ostküstenzeit, abgeschlossen sein. Für die wahrscheinliche Neuauszählung per Hand bleibt dann Zeit bis zum 18. November. Es gibt angesichts Zehntausender betroffener Wahlzettel aber jetzt schon Zweifel, ob die zweite Deadline gehalten werden kann. Die Demokraten wollen erreichen, dass danach weitergezählt wird. Die Republikaner wollen, dass das geltende Recht respektiert wird.

Die großen Hoffnungen der Demokraten konzentrieren sich jetzt auf einen Vorgang in Broward County ganz im Süden von Florida. Knapp 700 000 Stimmen gilt es zu zählen.

Die Ausgangslage sieht so aus: 68 Prozent der Wähler haben hier für Nelson gestimmt, 31 Prozent für Scott. Oder, weil es hier um jeden Wahlzettel geht: 471 334 Stimmen pro Nelson, 211 119 pro Scott.

Das Problem ist: Die Zahlen aller Kandidaten zusammengerechnet ergeben etwa 25 000 Stimmen weniger, als im gleichen County auf den gleichen Wahlzetteln Stimmen in der Gouverneurswahl zusammengekommen sind. Es kann durchaus passieren, dass sich manche Wähler in einem Rennen für den einen Kandidaten entscheiden, sich aber in einem anderen Rennen enthalten.

Das kennen die Demokraten aus der Wahl 2016 etwa in Pennsylvania. Dort haben demokratische Wähler massenhaft ihre Stimme für den demokratischen Kongresskandidaten abgegeben - nicht aber für Hillary Clinton. Sie haben das Feld einfach frei gelassen.

Aber 25 000 sogenannte undervotes in einem ansonsten zutiefst demokratischen Wahlbezirk?

Nelsons Leute vermuten, dass ein Fehler der Stimmzettel-Lesegeräte vorliegt. Maschinenfehler sind gar nicht so ungewöhnlich. Im Nachbar-Bezirk Palm Beach County haben sich die jahrzehntealten Zählmaschinen überhitzt, was zu Fehlern im Ergebnis geführt hat. Eine erneute Neuauszählung dürfte die Folge sein.

In Broward County könnte aber auch das Design der Stimmzettel für die vielen "undervotes" verantwortlich sein, sagen Wahlexperten. Das Feld für die wichtige Senats-Wahl ist derart ungünstig auf dem ohnehin recht unübersichtlichen Stimmzettel platziert, dass es viele Wähler einfach übersehen haben könnten.

Branda Snipes wird zur Zielscheibe der Republikaner

Die Republikaner versuchen jetzt die Schuld auf Brenda Snipes abzuladen. Snipes ist Demokratin und die gewählte Chefin der Wahlkommission in Broward County. Snipes weist alles von sich, aber sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. 2016 wurde gerichtlich festgestellt, dass in ihrer Zuständigkeit Wahlzettel zerstört worden sind. Und in diesem Jahr sind angeblich 22 vorläufige Wahlzettel mitgezählt worden, die nicht hätten mitgezählt werden dürfen. Auf CNN bestreitet sie das. In einer Presskonferenz erklärte sie auf die Frage, ob es Fehler gegeben habe, dass "Dinge passiert seien, die nicht hätten passieren sollen".

Für US-Präsident Donald Trump ist die Sache einfach. Er hält das Ganze für einen großen Betrugsversuch. Auf Twitter behauptet er ohne jeden Beweis, dass in Florida eine große Zahl von Stimmzetteln "aus dem Nichts" aufgetaucht seien. Außerdem fehlten viele Zettel oder seien manipuliert worden. Eine korrekte Auszählung sei deshalb nicht mehr möglich, die Wahlzettel seien in großem Umfang "infiziert".

Noch-Gouverneur Rick Scott hat die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, Ermittlungen aufzunehmen. Denn keinem "Pöbel liberaler Aktivisten oder Anwälten aus Washington darf es erlaubt sein, den Bürgern von Florida diese Wahl zu stehlen". Die Behörden teilten jedoch mit, dass es keine Ermittlungen geben werde. Schlicht, weil keine belastbaren Hinweise auf Betrug vorliegen.

Trump empfiehlt, das Ergebnis der Wahlnacht anzuerkennen. Aus seiner Sicht verständlich. Dann wären nämlich beide Bewerber der Republikaner die Sieger. Nur gibt das Wahlrecht so ein Prozedere leider nicht her.

Der republikanische Senator Marco Rubio spricht nicht von Betrug. Beklagt aber wie Scott, dass angeblich die Demokraten die Wahl mit Hilfe von Anwälten stehlen wollen, sagte er im Sender CBS. "Wahl-Anwälte werden nicht angeheuert, um sicherzustellen, dass jede Stimme gezählt wird. Sie werden angeheuert um sicherzustellen, dass jede Stimme des Kandidaten gezählt wird, der sie angeheuert hat."

Was Rubio nicht erwähnt: Auch die Republikaner haben eine ganze Phalanx von Anwälten für den Nachzählprozess engagiert. Rick Scott hatte bereits mehrere Klagen in der Sache eingereicht. In einem Fall klagt er dagegen, dass in Broward County womöglich noch Stimmen nach einer vergangenen Samstag verstrichenen Deadline gezählt worden sind. Er will außerdem, dass alle Zählmaschinen aus Broward und Palm Beach County nach der Zählaktion zur Prüfung beschlagnahmt werden. Und beide Bezirke sollen ihm alle Stimmzettel und alle Zählunterlagen übergeben.

Der zuständige Richter hat sich nicht wie gewünscht auf Scotts Klagen eingelassen. Stattdessen wies er an, dass Sicherheitsleute die Stimmzettel bewachen sollen. Und an alle Parteien gerichtet warnte er: "Mäßigt eure Sprache."

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