Süddeutsche Zeitung

Mexiko:Ohrenbetäubender Schrei nach Wandel

Die Mexikaner haben López Obrador zu ihrem neuen Präsidenten gewählt, weil seine Vorgänger so eklatant versagten. Er ist seinen Wählern klare Kante schuldig. US-Präsident Trump könnte das beeindrucken.

Kommentar von Sebastian Schoepp

Mexiko hat links gewählt, und zwar mit nie gekannter Eindeutigkeit: Andrés Manuel López Obrador - genannt Amlo - hat auf Anhieb alle Konkurrenten hinter sich gelassen. Das ist weniger Ausdruck eines stark angewachsenen linken Bewusstseins in der grundsätzlich eher konservativen mexikanischen Bevölkerung - eigentlich kommt Mexiko sehr spät mit dieser Volte; der lateinamerikanische Linksruck der Nullerjahre ist längst Geschichte. Die diktatorischen Anwandlungen von Nicolás Maduro in Venezuela und Daniel Ortega in Nicaragua haben die Linke sogar stark desavouiert.

Doch solche geopolitischen Erwägungen sind dem normalen mexikanischen Wähler egal: Der Sieg des Linken López Obrador ist ein ohrenbetäubender Schrei nach Wandel in einem Land, das zu ersticken droht an Gewalt, der Korruption und der strukturellen Armut trotz Wachstum - die Hauptmotive für die starke Auswanderung. López Obrador wurde gewählt, nicht weil die meisten Mexikaner glauben, er könne das alles in Bälde lösen - sondern weil seine Vorgänger so eklatant versagt haben, allen voran der ölige Telenovela-Präsident Enrique Peña Nieto, der mit miserabelsten Umfragewerten aus dem Amt scheidet.

Nicht zuletzt am großen Nachbarn USA, an dem sich Wohl und Wehe der Mexikaner scheiden, ist Peña Nieto gescheitert. Auch López Obrador ist bisher nicht als großer Außenpolitiker aufgefallen. Aber der neue mexikanische Präsident ist eine starke Persönlichkeit. Von ihm ist zumindest zu erwarten, dass er für Donald Trump ein zäher und beinharter Gegenspieler wird. Politisch verbindet die beiden auf den ersten Blick nichts. López Obrador ist ein klassischer Linker, der auf Keynesianismus und Umverteilung setzt, der die Einkommen der unteren Bevölkerungsschichten stärken will, Privatisierung kritisch sieht und darauf dringt, dass Handelspolitik eine soziale Komponente hat. Das dürfte bei den anstehenden Neuverhandlungen über das Freihandelsabkommen Nafta mit den USA und Kanada zu Konflikten führen - zumal López Obrador für eine Einbindung Zentralamerikas kämpfen wird, woher die meisten Migranten kommen, die Mexiko durchqueren mit dem Ziel USA.

López Obrador muss klare Kante zeigen. Das ist er seinen Wählern schuldig

López Obrador wird also ein Präsident sein, der gegen den weltpolitischen Trend des "Freihandel über alles" antritt - und da tun sich wiederum interessante Parallelen zu Trump auf. Dessen Protektionismus trägt ja manchmal Züge, die an lateinamerikanische Linkspopulisten erinnern. López Obrador ist darüber hinaus ein Kämpfer, er besitzt ein großes Ego. Er hat die Fähigkeit, Massen zu begeistern, ein Populist, sagen seine Gegner. Leicht kleinzukriegen ist er nicht: Er hat zwei Wahlen verloren - und beim dritten Versuch triumphiert. Alles Dinge, die einem Donald Trump imponieren könnten.

Bisher hat der US-Präsident sich ja leicht beeindrucken lassen von Typen, die ihm politisch zwar fernstehen, aber Kante zeigen - von Putin über Macron bis Kim. Und Kante zeigen wird López Obrador ohne Zweifel, das ist er seinen Wählern schuldig, die ihn nicht zuletzt wegen seiner entschlossenen Ausstrahlung gewählt haben. Was das für die Zehntausenden bedeutet, die an der Grenze zwischen Mexiko und den USA in der Wüste oder in Lagern festhängen, ist noch offen. Klar ist aber: Südlich des Rio Grande heißt es künftig: México zuerst!

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SZ vom 03.07.2018
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