Mexiko:Riskantes Wende-Manöver

Mexiko: Aus der Traum: So sollte der neue Flughafen nach den Plänen der Star-Architekten Narman Foster und Fernando Romero aussehen.

Aus der Traum: So sollte der neue Flughafen nach den Plänen der Star-Architekten Narman Foster und Fernando Romero aussehen.

(Foto: HO/AFP)

Der künftige Präsident López Obrador stoppt den Bau eines Mega-Flughafens - noch vor seinem Amtsantritt. Die Opposition wirft ihm jetzt vor, er wolle aus dem Land ein zweites Venezuela machen.

Von Sebastian Schoepp

Er sollte das Tor Mexikos zur Welt werden, ein Drehkreuz für den ganzen amerikanischen Kontinent. Ein gigantisches Bauwerk, geplant von den Stararchitekten Norman Foster und Fernando Romero. Gleichzeitig sollte der neue Flughafen von Mexiko-Stadt die große Hinterlassenschaft des scheidenden Präsidenten Enrique Peña Nieto werden, der sonst wenig hinterlassen hat, außer einen schwachen Eindruck, allerlei Korruptionsskandale und steigende Kriminalität. Doch in Lateinamerika gehört es zur Tradition, dass ein neuer Präsident erst einmal die Errungenschaften und Pläne des Vorgängers abräumt, weshalb Andrés Manuel López Obrador, der am 1. Dezember das Amt antritt, schon angekündigt hat, das Flughafen-Projekt zu stoppen. Es sei ein "Fass ohne Boden".

Der bestehende Flughafen ist überlastet - und der neue schon zu einem Drittel fertig

Die mexikanische Unternehmerschaft fühlt sich nun in ihrer Befürchtung bestätigt, der linksgerichtete künftige Präsident sei investorenfeindlich. Es gab Demonstrationen, die Opposition kritisierte, Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO, regiere schon, bevor er überhaupt im Amt sei, und er wolle aus Mexiko ein zweites Venezuela machen. Der Präsident des Unternehmerverbandes Coparmex, Gustavo de Hoyos, schäumte: am Schicksal des Flughafens werde sich komplett die Präsidentschaft entscheiden, sagte er, was eine höfliche Umschreibung war für: einen größeren Fehler kann López Obrador im Amt eigentlich gar nicht mehr machen.

Problematisch ist die Entscheidung deswegen, weil der bestehende Flughafen Benito Juárez komplett überlastet - und der Nuevo Aeropuerto Internacional von Mexiko-Stadt schon zu einem Drittel fertig ist. Bei der Eröffnung 2020 sollte er 68 Millionen Passagiere im Jahr bewältigen können, etwas mehr als Frankfurt. Bis 2065 sollte er in Schritten zum Mega-Airport werden, mit zwei Hauptgebäuden, Satelliten-Terminals und sechs Landebahnen. Er wäre dann mit einer Kapazität von 125 Millionen Passagieren der zweitgrößte Airport nach Präsident Recep Tayyip Erdoğans Mammutprojekt in der Türkei.

Klar erkennbar sind an der Baustelle bereits die Strukturen Fosters, die das enorme Glasdach tragen sollten: 21 trichterförmige Stützen, die gleichzeitig der Ventilation dienen und die Klimaanlage entlasten. So stolz war Foster auf diesen Entwurf, dass er einen spanischen Neologismus dafür bilden ließ, fonil, von Englisch funnel für Trichter. Er wollte mit dem Bau an die "Monumentalität der mexikanischen Architektur" anknüpfen.

Doch der gewählte Präsident hat diesen Monumentalismus im November "am Tag der Toten beerdigt", schrieb die Amerika-Ausgabe von El País. AMLO berief sich dabei auf eine Art Volksabstimmung, die er im Oktober selbst angezettelt hatte, "als Bürger", wie er sagte. Allerdings widersprach dieses "Referendum" allen internationalen Regeln und auch denen der mexikanischen Verfassung. In nur 538 der 2463 Gemeinden des Landes wurde überhaupt abgestimmt, eine Registrierung fand praktisch nicht statt und von geheimer Wahl konnte auch keine Rede sein. Knapp 70 Prozent der genau 1 067 859 Mexikaner, die abstimmten, waren gegen das Projekt. AMLO selbst präsentierte einen weißen Stimmzettel, er sei in der Sache neutral, beteuerte er, es gehe ihm "um die Demokratie".

Diese Art und Weise, von der Straße heraus zu regieren, könnte Usus werden in Mexiko, befürchten AMLO-Gegner. Der künftige Präsident ist ein Freund der Basisdemokratie, er badet gern in der Menge, geht auf Menschen zu, pflegt einen direkten Stil. Leibwächter lehnt er ab; das Volk schütze ihn, sagt er. Zweimal verlor er die Wahlen, weil sein Linkskurs vielen Mexikanern zu radikal erschien. Doch dann milderte AMLO seinen Kurs ab, wirkte nicht mehr wie die mexikanische Inkarnation von Hugo Chávez - und gewann prompt im dritten Anlauf im Juli dieses Jahres gegen schwache Gegner. Er hatte auf eine Kampagne über soziale Netzwerke gesetzt, was ihm den Vorwurf seiner Konkurrenten einhandelte, er sei ein Linkspopulist.

AMLO sicherte gleich nach der Wahl zu, Verträge einzuhalten und Investoren zu schützen. Die Firmen, die am neuen Flughafen mitbauen, fühlen sich nun verschaukelt. Darunter ist Operadora Cicsa des Milliardärs Carlos Slim, einer der reichsten Männer der Welt. Slim hat mal gesagt, der Flughafen werde so "wichtig wie der Panama-Kanal". Nicht ausgeschlossen ist, dass hinter dem Manöver AMLOs der Versuch steckt, seinen früheren Amigo Carlos Slim zur Übernahme des Projekts zu nötigen - also jener 13 Milliarden Euro, die es wohl kosten wird und von denen der Staat eigentlich 60 Prozent tragen soll. Diese Summe ängstigt viele Mexikaner. "Ein Wahnsinn", urteilte der frühere Minister und Kolumnist Jorge Castañeda in El Financiero.

Auch Umweltschützer machten gegen das Megaprojekt mobil, weil der Airport in unmittelbarer Nähe der letzten Reste des Sees von Texcoco zu stehen kommen sollte, in dem die Azteken einst ihre Hauptstadt hatten, bevor die Konquistadoren das Gebiet, auf dem heute Mexiko-Stadt steht, trockenlegten. Ein früheres Projekt für Texcoco sah vor, diese ökologische Katastrophe wenigstens ein Stück weit rückgängig zu machen durch Kanal- und Bewässerungssysteme. Die Planer des Flughafens versprachen, die Vorgaben in das Projekt zu integrieren; gewissermaßen einen ökologischen Flughafen zu bauen.

Doch eine Studie der Universidad Nacional Autónoma de México behauptet, dass dieser ökologische Ansatz "verraten" worden sei, wie der Analyst Fernando Córdova der New York Times sagte. López Obrador versichert nun: Niemand werde mehr die Enten und Zugvögel stören. Aus der baldigen Bauruine will er eine Art Ökopark machen. Den beteiligten Firmen hat er zugesichert, sie hätten keinen Schaden zu erwarten. Außerdem solle es ja einen Flughafenneubau geben, nur eben woanders: die Militärbasis Santa Lucía, 50 Kilometer von Mexiko-Stadt entfernt, will der künftige Präsident zum Großflughafen ausbauen. Außer Carlos Slim springt doch noch ein.

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