Mexiko:Ein Populist tritt ab

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Sie hat eine bequeme Parlamentsmehrheit, aber keine bequeme Amtszeit vor sich: Claudia Sheinbaum wird nun die erste Frau an Mexikos Staatsspitze. (Foto: ALFREDO ESTRELLA/AFP)

Andrés Manuel López Obrador gilt als einer beliebtesten Präsidenten in der Geschichte des Landes. Nun tritt er ab – und hinterlässt seiner politischen Ziehtochter und Nachfolgerin, Claudia Sheinbaum, ein trotzdem vergiftetes Erbe.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Jeden Morgen, von Montag bis Freitag, und egal, ob es regnete oder die Sonne schien, ob die Wirtschaft schwächelte oder eine Pandemie das Land heimsuchte: Stets erschien Andrés Manuel López Obrador im Fernsehen. „La mañanera“ wurde die Pressekonferenz genannt, in der Mexikos Präsident tagtäglich seine Sicht auf das Land und die Welt präsentierte, sich dann Fragen der Journalisten stellte – mal bereitwillig, mal unwirsch. Je nachdem, wer fragte und um welches Thema es ging. Es war ein tagtägliches Ritual, ein Spektakel, live übertragen ins Fernsehen und ins Netz, oft mit Hunderttausenden Zuschauern.

Fast 1400 dieser mañaneras hat Andrés Manuel López Obrador abgehalten, nun aber ist Schluss: Am 1. Oktober endet seine Amtszeit, nach sechs Jahren wie es die Verfassung vorsieht, Wiederwahl ausgeschlossen. López Obrador wird sein Amt übergeben an Claudia Sheinbaum, seine politische Ziehtochter, 62 Jahre alt, promovierte Physikerin, ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt – und bald die erste Präsidentin des größten spanischsprachigen Landes der Welt.

Bei den Wahlen im vergangenen Juni bekam sie über 60 Prozent der Stimmen, vor allem auch, weil López Obrador sie offen unterstützte. Im Parlament verfügt sie nun über wesentlich komfortablere Mehrheiten als ihr Vorgänger. Zugleich aber tritt sie ein schweres Erbe an. Mexiko leidet massiv unter den Folgen des Klimawandels, die Korruption ist immer noch omnipräsent und auch der Drogenkrieg nicht beendet, ganz im Gegenteil sogar.

Sozialleistungen und Infrastruktur sind in acht Jahren vorangekommen

Und zum Schluss ist da auch ihr Vorgänger selbst, Andrés Manuel López Obrador: Nun, da er kein Präsident mehr ist, hat er versprochen, sich auf sein Landgut zurückzuziehen. So recht glauben mag das aber niemand: Der 70-Jährige gilt als einer der beliebtesten Präsidenten in der jüngeren Geschichte Mexikos, ein begnadeter Populist, der die politische Landschaft in seiner Heimat wohl für immer verändert hat.

Sichtbartes Beispiel sind eben jene allmorgendlichen Pressekonferenzen: Zuvor hatten sich die meisten mexikanischen Präsidenten kaum jemals Fragen von Journalisten gestellt, geschweige denn dem Volke in größeren Umfang ihr Politik erklärt. Andrés Manuel López Obrador verkehrte dies ins Gegenteil: Zweieinhalb Stunden dauerten seine mañaneras im Schnitt, gerne redete der Präsident auch noch länger, besonders wenn es um Fortschritte im Land ging und um Projekte, die ihm besonders am Herzen lagen.

Einer der beliebtesten Präsidenten, die Mexiko je hatte: Manuel López Obrador scheidet aus dem Amt, sein Einfluss bleibt aber wohl. (Foto: ALFREDO ESTRELLA/AFP)

López Obrador hatte 2018 die Wahlen vor allem auch deshalb gewonnen, weil er versprochen hatte, Schluss zu machen mit Filz und Vetternwirtschaft. Politik und die Politiker sollten endlich wieder ans Volk denken und nicht mehr nur an sich selbst. „Zuerst die Armen“, war eines von López Obradors Lieblingsmottos.

Tatsächlich hat sich in seiner Amtszeit der Mindestlohn verdoppelt, und rund fünf Millionen Mexikaner haben es geschafft, der Armut zu entfliehen. Sozialleistungen wurden eingeführt und immer weiter ausgebaut, nicht nur für Alte und Alleinerziehende, sondern auch für Schüler und Studenten. López Obradors Regierung hat gigantische Infrastrukturprojekte angeschoben, allen voran den sogenannten Tren Maya, eine Zugstrecke, die einmal die Yucatán-Halbinsel umrundet und dort den Tourismus stärken soll, ebenso wie den Handel mit dem Rest des Landes und der Welt.

Gegen die wachsende Macht der Drogenkartelle unternahm er wenig

Eine eigene Behörde wurde geschaffen, um von Kriminellen beschlagnahmte Villen, Luxusautos und Schmuck zu verkaufen und die Einnahmen wieder dem Volke zugutekommen zu lassen. Gleichzeitig zelebrierte López Obrador auch selbst Bescheidenheit: Statt Limousine fuhr er meist einen alten VW-Jetta. Den luxuriösen Regierungsflieger verkaufte er sogar ganz und flog stattdessen Touristenklasse.

Hatten viele Mexikaner zuvor jedes Vertrauen in die Politik verloren, stieg dieses nun wieder an. Gleichzeitig aber wuchs auch die Kritik: Die grundlegenden Probleme ging der Präsident kaum oder nur oberflächlich an. Um die mächtigen Drogenkartelle im Land zu bekämpfen, schuf López Obrador zum Beispiel eine Nationalgarde. Bald kümmerte diese sich aber vor allem um Eindämmung und Bekämpfung von Migration, während die Narco-Banden weiterhin ihre Macht ausbauen konnten. Heute kontrollieren sie ganze Landstriche.

Noch immer kommt nur ein Bruchteil der Verbrechen in Mexiko vor Gericht, und die allerwenigsten Täter landen im Gefängnis. Dazu hat López Obrador ganz am Ende seiner Amtszeit auch noch eine gigantische Justizreform im Eiltempo durch das Parlament geboxt. Sie sieht vor, dass ab 2025 so gut wie alle Richter im Land vom Volk gewählt werden. Kritiker glauben, dass so die Unabhängigkeit der Justiz massiv Schaden nehmen könnte. Manche sehen in Mexiko sogar die Demokratie als ganzes in Gefahr, weil auch das Militär unter López Obrador stark an Macht gewonnen hat, während unabhängige Kontrollinstanzen geschwächt wurden.

Die Hoffnung ist nun, dass Claudia Sheinbaum, die Amtsnachfolgerin des scheidenden Präsidenten, einen Teil dieser gefährlichen Tendenzen wieder stoppt. Sie steht im Ruf, sich vor allem von Fakten leiten zu lassen, vor ihrer Karriere in der Politik war sie Wissenschaftlerin.

Was sie am Ende aber wirklich bewegen kann, ist fraglich: Ihr Vorgänger und politischer Ziehvater hat seine Freunde und Vertrauten in wichtige Positionen in der gemeinsamen Partei gesetzt. Sie werden weiter zu ihm halten und sein Erbe verteidigen. Und zu allem Überfluss ist Andrés Manuel López Obrador im Volk immer noch beliebt.

Das größte Versprechen von Mexikos neuer Präsidentin ist darum, erst mal so weiterzumachen wie bisher – das schließt auch die mañaneras ein, die tagtäglichen Pressekonferenzen, die auch Claudia Sheinbaum weiterhin allmorgendlich abhalten will, von Montag bis Freitag, egal, ob es regnet, stürmt oder die Sonne scheint in Mexiko.

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