Mexiko:43 Fragezeichen

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Die Zahl 43 steht in Mexiko für Behördenversagen und die Allmacht der Drogenkartelle. (Foto: Emilio Espejel/AP)

Noch immer quält Mexiko die Frage, was mit den vor fast anderthalb Jahren verschwundenen Studenten von Ayotzinapa geschehen ist. Nur eines wird klarer: Der Staat hat versagt.

Von Benedikt Peters, München

Vor bald anderthalb Jahren verschwanden in Mexiko 43 Studenten. Das Verbrechen hielt monatelang das Land in Atem, es ist bis heute ungesühnt. Nur zwei der Verschwundenen sind nachweislich tot. Körperteile von Jhosivani de la Cruz und Alexander Mora Venancio wurden in einem Fluss und auf einer Mülldeponie gefunden, zum Teil in Säcke verpackt. Alexander wurde 19, Jhosivani 20 Jahre alt. Von den 41 anderen fehlt bis heute jede Spur. Menschenrechtsorganisationen erheben seitdem schwere Vorwürfe gegen Mexikos Polizei und Justiz. Zuletzt warf Amnesty International den mexikanischen Behörden "tief greifendes Versagen" vor. Der Verbleib von insgesamt 27 000 Menschen sei in Mexiko ungeklärt.

Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto steht unter Druck. Das Verbrechen an den Studenten von Ayotzinapa ist bis heute auch ein Symbol für Mexikos Unfähigkeit, die Drogenkriminalität zu beenden - mindestens so sehr wie die grotesken Fluchten des Drogenbosses Joaquín Guzmán, genannt "El Chapo".

Miguel Ruiz Cabañas, Staatssekretär in Mexikos Regierung, und zuständig für Menschenrechte, sah sich kürzlich bei einem Besuch in Berlin zu einer Rechtfertigung genötigt. Ja, Ayotzinapa sei ein schreckliches Verbrechen gewesen, räumt er ein. Aber keine Sorge: "Die mexikanische Regierung unternimmt alle Anstrengungen, die notwendig sind, um die Wahrheit und die Verantwortlichen zu finden und sie zu bestrafen. Egal, wie lange das dauert."

Tatsächlich dauert es schon ziemlich lange. Am 26. September 2014 verschwanden in der 100 000-Einwohner-Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero 43 Studenten. Die offizielle Version, die die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft bald nach der Tat verkündet hatte, geht so: Die Studenten, eingeschrieben für das Lehramt an der Escuela Normal Rural de Ayotzinapa, hatten im nahen Iguala Reisebusse gekapert, mit denen sie zu einer Demonstration fahren wollten. Um halb zehn Uhr abends schossen plötzlich Polizisten auf sie, sechs Menschen starben.

Die Polizisten standen in den Diensten des Drogenkartells Guerreros Unidos. Sie nahmen 43 Studenten fest und übergaben sie Berufskillern der Drogenbande. Die Studenten wurden von diesen laut offizieller Version mit Kopfschüssen getötet, auf einer Müllkippe im nahen Cocula aufgeschichtet und verbrannt. Der frühere Generalstaatsanwalt José Murillo Karam bezeichnete das im Januar 2015 als "historische Wahrheit". Staatspräsident Peña Nieto sprang bei: Das Land müsse, so schrecklich das auch sei, nun nach vorne schauen.

Die Angehörigen glauben den Behörden längst kein Wort mehr

Aber es gibt ein Problem. Es ist 560 Seiten stark und stammt von einem Expertengremium der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH), die monatelang ermittelte. In ihrem Untersuchungsbericht heißt es, die Studenten können nicht auf der Müllkippe in Cocula verbrannt worden sein. Dafür gebe es dort zu wenige Spuren. Staatssekretär Ruiz Cabañas versteht das Problem nicht. "Das Ermittlungsverfahren war ja nie geschlossen, alles wird aufgeklärt werden", versichert er am Telefon. Wie das zu der "historischen Wahrheit" des früheren Generalstaatsanwalts passt, sagt er nicht.

Als Reaktion auf die Zweifel hat die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen das Verfahren neu aufgerollt. Die Müllkippe in Cocula soll noch einmal untersucht werden, 111 Verdächtige wurden festgenommen. Unter ihnen ist auch der mutmaßliche Drahtzieher, Gildardo López Astudillo, bekannt als "El Gil". Zweifel an der Sorgfalt der Ermittlungen aber sind geblieben. Beweismittel wurden offenbar zurückgehalten. Inwieweit Sicherheitsbehörden in die Tat verstrickt sind, ist noch immer nicht geklärt. Sicher ist nur: Um 43 Menschen verschwinden zu lassen, braucht es viele Helfer, auch von offizieller Stelle. Dubios bleibt auch die Rolle des Militärs. Klar ist, dass Soldaten des 27. Infanteriebataillons vor Ort waren, als die Polizisten die Studenten beschossen. "Nähere dich nicht und riskiere nichts", soll laut der spanischen Zeitung El País ein Befehl gelautet haben. Die Angehörigen der Verschwundenen glauben kein Wort der offiziellen Version. Seit Monaten organisieren sie Massenproteste und rufen zu Wahlboykotten auf, unterstützt von Menschenrechtsorganisationen. Geholfen hat der Protest bisher nichts. Nun wollen die Angehörigen Papst Franziskus treffen, wenn er im Februar nach Mexiko kommt.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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