Mesut Özil:Hingehängt

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Der Abgang des Nationalspielers ist traurig und peinlich. Aber er hat recht: Viele Angriffe gegen ihn sind rassistisch. Und bestärken das Gefühl vieler Deutsch-Türken: Du kannst so gut sein, wie du willst. Es genügt nie.

Von Gökalp Babayiğit

In Deutschland kritisieren viele Menschen die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Mit die härteste Kritik kommt dabei von vielen Deutschen mit türkischen Wurzeln. Unter ihnen wiederum sind viele, die sich nun mit Mesut Özil solidarisieren. Passt das zusammen? Wer hier einen unauflösbaren Widerspruch sieht, ist Teil des Problems, ohne es zu merken.

Zwei Punkte in Mesut Özils Erklärung erscheinen besonders bedeutend. Da ist zum einen seine Begründung, wie und wieso es zu dem Foto mit Erdoğan mitten in dessen Wahlkampf kam. Özil schreibt von seinen zwei Herzen - einem türkischen und einem deutschen. Man kann nachvollziehen, dass er so empfindet, auch wenn dies die Mehrheit der Deutschen noch immer vor ein Rätsel stellt. Was man nicht verstehen kann, ist, wieso er diese beiden Herzen nicht mal miteinander sprechen lässt. Wie sonst ist zu erklären, dass Özil mit keinem Wort erwähnt, dass in der Türkei deutsche Landsleute zu Unrecht in türkischen Gefängnissen festsitzen? Dass Zehntausende unbescholtene türkische Bürger nach dem Putsch ihren Job verloren, gar inhaftiert wurden? Özil schreibt, er werde stets seine Herkunft und seine Familientraditionen in Ehren halten. Man muss es andersherum betrachten: Wer der Türkei verbunden ist und das Land seiner Eltern liebt, der sollte nicht nur das höchste Staatsamt respektieren. Der sollte auch auf der Seite des Volkes stehen, wo zurzeit viele Menschen gegängelt und unterdrückt werden.

Der zweite Aspekt wird hoffentlich eine breitere Debatte in Deutschland lostreten. Mesut Özil erklärt, dass er angesichts der rassistischen Angriffe auf ihn aus dem Nationalteam zurücktrete. Es ist bezeichnend, dass in den frühen Reaktionen vor allem Özils Kritiklosigkeit gegenüber Erdoğan attackiert wurde. Den zweiten Teil ignorierten viele Kommentatoren oder sie warfen Özil sogar vor, er stilisiere sich zum Rassismus-Opfer. Die Botschaft an die deutschtürkische Minderheit liest sich dabei aber so: In Deutschland ist es immer noch die nicht-betroffene Mehrheit, die definiert, wer Rassismus ausgesetzt ist und wer nicht.

Die zwei Beispiele, die Özil auswählt, haben Symbolkraft. Er zitiert keine AfD-Schreihälse. Es sind Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft. Özil nennt den SPD-Kommunalpolitiker Bernd Holzhauer aus dem nordhessischen Bebra, der Özil auf Facebook übel beleidigt hatte. Seine Fraktion distanzierte sich, Holzhauer trat Wochen später zurück, weil er seiner Partei die "öffentliche Situation" nicht habe zumuten wollen - einen wirklichen Aufschrei in der SPD gab es nicht. Özil nennt Werner Steer, Intendant des Deutschen Theaters in München, der nach seinem Tweet "Hau ab nach Anatolien" entschuldigend erklärte, er habe sich in der Wortwahl vergriffen - was heißt: Das war vielleicht ein bisschen drastisch formuliert, doch inhaltlich stehe ich dazu. Dass Fremdenfeinde finden, Menschen, die sie für fremd halten, seien abartig und sollten verschwinden - daran haben sich die Minderheiten und wohl auch Özil gewöhnt. Wenn aber Sozialdemokraten und Intendanten so reden, dann sind das bedrohliche Töne aus dem Lager, das man eigentlich auf seiner Seite wähnte.

Das traurige und peinliche Ende einer Nationalmannschaftskarriere wirft ein Schlaglicht auf eines der größten Missverständnisse rund um Mesut Özil. Der 29-Jährige war nie das Musterbeispiel für Integration, was kein Vorwurf gegen ihn ist. Özil wollte das nie sein. Er ist einfach nur einer der besten Fußballer seiner Generation, den jeder Verband der Welt gerne in seinen Reihen hätte. Er gehört der globalen Kicker-Elite an, die heute in Madrid spielt und morgen in London - und die von Herausforderungen der Integration zu Hause nicht mehr viel mitbekommt.

Aber der DFB, die Politik, die Fans wollten ihn zum Vorbild machen. Sie wünschten sich so sehr, dass er als leuchtendes Beispiel vorangeht, sie überschütteten ihn mit Preisen und Lob - auch wenn der Gelsenkirchener mit Politik nie etwas am Hut hatte. Seht her, war die Botschaft, unser Sport hilft mit bei der Integration. Tausende Jungs mit türkischen Wurzeln auf den Fußballplätzen haben es geglaubt.

Nun wird Özil von dem Verband hingehängt, der ihn so lange in den Vordergrund rückte. Die Fans, die ihn gerade noch bejubelten, beleidigen ihn rassistisch und würden ihn am liebsten ausbürgern; Sponsoren nehmen ihn aus ihren Kampagnen. Das alles bestärkt bei der deutschtürkischen Minderheit genau jenes Gefühl, das auch in Özils Erklärung anklingt: Egal wie viel Mühe du dir gibst, egal wie gut du in deinem Metier bist, wie viel du zur Gesellschaft beiträgst - am Ende liegt es nicht in deiner Hand, ob du dazugehörst, ob du respektiert wirst.

Am Ende kannst du immer auf deine oder auf die Herkunft deiner Eltern reduziert werden. Immer wird es welche geben, die dir dein Deutschsein absprechen. Selbst wenn du einer der besten Fußballer bist, die je ein deutsches Nationaltrikot getragen haben.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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