Süddeutsche Zeitung

Messerattacke in Regionalzug:Behörden in Kiel und Hamburg beschuldigen sich gegenseitig

Wer wusste wann was - und hätte die Tat verhindert werden können? Etwa eine Woche nach dem tödlichen Messerangriff von Brokstedt läuft die Aufarbeitung.

Nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg schieben sich die Behörden in beiden Städten in Bezug auf den Umgang mit dem mutmaßlichen Täter gegenseitig die Verantwortung zu. Man habe die Kieler Ausländerbehörde bereits früh darüber informiert, dass der 33 Jahre alte Palästinensers Ibrahim A. in Hamburg inhaftiert gewesen sei, sagten Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) und eine Vertreterin der Innenbehörde am Donnerstag im Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft.

Zudem habe es mehrere vergebliche Versuche gegeben, Kontakt zu der Kieler Behörde aufzunehmen. Am Vortag hatte die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) bemängelt, dass Informationen aus Hamburg zum mutmaßlichen Täter nicht in Schleswig-Holstein angekommen seien.

Ibrahim A. soll am Mittwoch vergangener Woche in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit einem Messer auf andere Fahrgäste eingestochen haben. In dem Ort Brokstedt kam der Zug zum Stehen und A. wurde auf dem Bahnsteig schließlich festgenommen. Zwei junge Menschen starben bei der Tat, fünf weitere wurden teils schwer verletzt. Knapp eine Woche zuvor war A. aus der U-Haft in Hamburg entlassen worden.

Erstmals in Hamburg tauchte A. im November 2021 auf, nachdem ihm in einer Kieler Unterkunft Hausverbot erteilt worden war. In Hamburg wurde der drogenabhängige und mehrfach einschlägig vorbestrafte Mann kurz nach seiner Ankunft wegen eines Messerangriffs festgenommen.

Bereits einen Tag nachdem A. im Januar 2022 die Untersuchungshaft in Hamburg angetreten habe, so stellt es die Hamburger Innenbehörde dar, habe ein Polizeibeamter die Kieler Ausländerbehörde per Mail darüber informiert und um Rücksprache gebeten. Allerdings habe es trotz mehrfacher Kontaktversuche keine Reaktion gegeben. Erst als man sich Anfang März an die Zuwanderungsstelle in Kiel gewandt habe, sei eine Antwort gekommen, so erzählte es die Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit in der Hamburger Innenbehörde jetzt vor dem Justizausschuss. Man habe den Kielern mitgeteilt, dass sich A. in Untersuchungshaft befinde, welche Straftaten ihm in Hamburg zur Last gelegt würden und welche zuvor bereits aktenkundig geworden seien, sagte die Beamtin.

Es gehe ihr nicht darum, "irgendwo einen Schwarzen Peter hinzuschieben", sagt die Justizsenatorin

Justizsenatorin Gallina ergänzte, dass die Justizvollzugsanstalt Billwerder der Kieler Ausländerbehörde am 4. und 5. Mai Unterlagen zu Ibrahim A. zugesandt habe. Zuletzt habe die JVA im November 2022 den Kontakt mit der Ausländerbehörde in Kiel gesucht, um den ausländerrechtlichen Status des Gefangenen zu klären. Zu dem Kieler Vorwurf, aus Hamburg nicht ausreichend informiert worden zu sein, wollte sich die Senatorin nicht direkt äußern. Es gehe ihr nicht darum, "irgendwo einen Schwarzen Peter hinzuschieben", sie gebe lediglich die Aktenlage wieder.

Nachdem die Tat von Brokstedt bekannt wurde, sei es ihr Anliegen gewesen, zu prüfen, ob Informationen an die entscheidenden Stellen gegangen seien und das sei so gewesen. Auch den Vorwurf, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht über die Inhaftierung von A. informiert zu haben, wies Gallina zurück. Das Bamf sei seit März 2022 in die Kommunikation eingebunden gewesen.

Während seiner Untersuchungshaft habe sich Ibrahim A. 16 Mal mit einem Psychiater getroffen. Grund seien psychische Auffälligkeiten während der Haft gewesen, sagte Hamburgs Justizstaatsrat Holger Schatz bei der Ausschusssitzung. So habe A. nach eigenen Angaben "Stimmen und Geräusche" gehört. Zudem habe es in der JVA zwei Zwischenfälle gegeben. Zum einen sei der Behörde ein handgreiflicher Streit mit einem Mitgefangenen gemeldet worden. Zum anderen habe A. mit einer Tasse nach einem Vollzugsbediensteten geworfen, als ihm eine zweite Portion Tee versagt worden war.

In den Beurteilungen von A. - zuletzt kurz vor der Entlassung - habe der Psychiater aber keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass der Mann für sich oder andere eine Gefahr darstellen könnte. Allerdings sei es nur um eine Beurteilung des Gefangenen zum konkreten Zeitpunkt, gegangen, betonte Gallina, und nicht um ein Prognosegutachten.

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