Friedrich Merz:Eine Kiew-Reise als Druckmittel

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Überraschend trifft CDU-Chef Friedrich Merz in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. (Foto: Niels Starnick/dpa)

CDU-Chef Friedrich Merz besucht die Hauptstadt der Ukraine und trifft Präsident Selenskij. Dann stellt er Forderungen an die Regierung zu Hause.

Von Christoph Koopmann, Kiew

Friedrich Merz sieht am Dienstagvormittag noch etwas müde aus, wie er da sitzt und den Menschen, die ihm auf Twitter folgen, von seinem Ausflug erzählt. Das Setting: ein ungemachtes Bett im Schlafwagenabteil eines Zuges, draußen zieht Grün vorbei, auf dem Tischchen Plastikwasserflaschen und Mappen, die nach Arbeit aussehen, und mittendrin ein CDU-Vorsitzender in beigefarbenen Chinos und einem Streifenhemd, das erstaunlich faltenfrei aussieht nach einer Nacht in der Bahn.

Die Botschaft, die Merz in diesem 17-Sekunden-Clip verbreiten möchte: "Alles sicher, alles gut" auf dem Weg nach Kiew. Nur die Augenlider hängen halt auf halb acht. Ist eben recht beschwerlich, ein Trip in ein Kriegsgebiet, in dem für die wenigsten alles sicher, alles gut ist.

Als er ankommt, geht es zuerst in den von russischer Besatzung befreiten Vorort Irpin. Hinterher sagt er, er sei "wirklich vollkommen erschüttert" von dem, was der Zivilbevölkerung dort angetan wurde. Und dann trifft er, der Oppositionsführer im Bundestag, überraschend den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, laut Merz mehr als eine Stunde lang. Was die beiden besprochen haben, verrät er nicht. Darüber werde er zunächst mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprechen.

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Die Ausladung Steinmeiers erregt Unmut: Kanzler Scholz nimmt eine Einladung in die Ukraine vorerst nicht an. Auch den Wunsch nach schweren Waffen lehnt er weiterhin ab.

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Dann mahnt er doch noch ein wenig inhaltlich: Deutschland müsse in der Frage nach Garantiemächten für die Sicherheit der Ukraine "eine führende Rolle spielen", genau wie bei den EU-Beitrittsverhandlungen für das Land. Am Abend empfiehlt Merz im ZDF-"Heute-Journal" noch Bundeskanzler Olaf Scholz, ebenso nach Kiew zu reisen, um persönlich Gespräche zu führen. Dessen Partei hatte gewisse Bedenken, ob Merz' Reise tatsächlich nur ein Zeichen der Solidarität mit den Ukrainern sein sollte. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte gemahnt, den Krieg nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren.

Dass die Reise Druck auf den Kanzler machen soll, bestreitet Merz

Denn: SPD-Bundeskanzler Scholz ist bisher nicht in Kiew gewesen und plant, das nach jüngsten Aussagen auch in absehbarer Zeit nicht zu ändern. Dem ZDF sagte Scholz, Grund dafür sei Kiews Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, worauf der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk den Kanzler prompt eine "beleidigte Leberwurst" nannte.

Friedrich Merz hingegen möchte ein Staatsmann sein, auch wenn er durch eine aus seiner Sicht unglückliche Fügung nur als Oppositionsführer und nicht als Kanzler ins Kriegsgebiet fahren kann. Dass er mit seiner Reise Druck auf Scholz ausüben wolle, bestritt Merz vor Fahrtantritt: Das ukrainische Parlament habe ihn eingeladen, da müsse er nicht die Bundesregierung um Erlaubnis fragen.

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Wobei es vorstellbar ist, dass sie im Kanzleramt langsam ganz gern ein Vetorecht für Reisepläne deutscher Politiker besäßen. Erst neulich mussten sich in Sachen Lieferung schwerer Waffen die skeptischen Teile der Ampelkoalition ärgern, dass die Abgeordneten Michael Roth (SPD), Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) in die Ukraine gefahren sind, um dort der ukrainischen Seite beizupflichten, dass eben solche schweren Waffen sinnvoll und nützlich seien. Dieses Thema ist gerade erst qua Einlenken der Skeptiker durch - und nun kommt Merz um die Ecke.

In den vergangenen Wochen fuhren ja schon etliche Regierungschefs, die EU-Kommissionspräsidentin, der Ratschef und der UN-Generalsekretär nach Kiew - Menschen mit einem gewissen Handlungsspielraum also, wenn es um Hilfe oder Vermittlungsbemühungen geht.

Am Abend Luftalarm in Kiew

Merz als Oppositionsführer aber kann so viel nicht ausrichten für die Ukrainer, zumal die gröbsten Streitigkeiten um Waffen gelöst zu sein scheinen. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Wochenende jedenfalls noch gesagt, sie genehmige keine Ukraine-Reise-Anträge von Abgeordneten, wenn der Zweck nicht erkennbar sei. Was Merz ihr wohl gesagt hat?

Am Abend trifft sich Merz noch mit dem Kiewer Bürgermeister und einstigen Box-Champion Vitali Klitschko und dessen Bruder Wladimir. In Kiew ist Luftalarm, Menschen begeben sich zum Schutz in Metro-Stationen, der kurze gemeinsame Auftritt der drei vor Fernsehkameras verspätet sich. Vielleicht ist auch der in allererster Linie ein Signal: Merz, der starke Mann, an der Seite zweier buchstäblich sehr starker Männer.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den SPD-Vorsitzenden Klingbeil noch in seiner früheren Funktion als Generalsekretär genannt.

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