Markus Söder und Friedrich Merz:Zwei Männer, eine Botschaft: Die Zeit drängt

Lesezeit: 3 min

"Es ist jetzt endlich Zeit zu handeln": Markus Söder (rechts) und Friedrich Merz geben eine Pressekonferenz vor dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2 in Niederbayern. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Vom Kernkraftwerk Isar 2 aus heizen die Chefs von CDU und CSU die Debatte um längere Laufzeiten weiter an. Söder wirft dem Kanzler eine "faustdicke Unwahrheit" vor, Merz stellt das Ergebnis des Stresstests infrage, bevor es überhaupt vorliegt.

Von Michael Bauchmüller und Andreas Glas, Essenbach/Berlin

Bevor es losgeht, ein schneller Blick nach draußen. An der Zufahrt zum Kraftwerk rollen ein paar Leute ihre Transparente aus und ihre gelben Fahnen mit der lachenden Sonne drauf und diesem Schriftzug, den in Deutschland wirklich alle kennen: "Atomkraft? Nein, Danke." Man zählt fix durch, 20 Männer und Frauen. Ein Häuflein, mehr nicht. War die Kernenergie nicht mal ein Reizthema in diesem Land?

Und jetzt nach drinnen, aufs Gelände des Kernkraftwerks Isar 2 in Essenbach nahe Landshut, Niederbayern. Am frühen Donnerstagnachmittag, halb zwei, bauen sich Friedrich Merz und Markus Söder vor den Mikros und Kameras auf. Die Sonne knallt, Merz trägt eine verspiegelte Brille, Söder ist da schmerzfrei. "Es ist jetzt endlich Zeit zu handeln", sagt Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef, "es zählt jeder Tag". Dann spricht CDU-Chef Merz. Er setzt SPD, Grünen und FDP eine Deadline. Die Bundesregierung müsse sich noch im August entscheiden, "wenn wir im September sind, wird es kritisch. Wenn wir an Weihnachten sind, ist es unmöglich." Zwei Männer, eine Botschaft: Die Zeit drängt. Hinter ihnen dampft gleichgültig der Kühlturm.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.

Seit Wochen, ja, inzwischen Monaten trommeln Merz und Söder dafür, die letzten drei deutschen Atommeiler weiterlaufen zu lassen, statt sie Ende Dezember 2022 abzuschalten. Dass es weiter dampft im Emsland, in Neckarwestheim und eben hier, in Essenbach, mindestens bis Mitte 2024, vielleicht sogar länger. Die Bundesregierung? Ist sich da längst nicht so einig.

Der Stresstest? Werde "gebogen, dass es irgendwo passt", vermutet Merz

Im Frühjahr, nach einer ersten Prüfung, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Weiterbetrieb noch ausgeschlossen. Nun prüft sein Ministerium ein zweites Mal. Ein "Stresstest" soll unter verschärften Annahmen klären, ob die Kernenergie helfen könnte, knappes Gas zu sparen. Das Ergebnis soll Ende August kommen, erst dann will die Bundesregierung entscheiden. Doch so lange will die Union nicht warten, das macht CDU-Chef Merz am Donnerstag deutlich. Der Stresstest werde von der Bundesregierung sowieso "gebogen, dass es irgendwo passt". Genaue Prognosen zum Stromverbrauch im kommenden Herbst seien "gar nicht möglich".

Für Merz ist der Weiterbetrieb der drei noch laufenden Kernkraftwerke "technisch, personell und rechtlich möglich". Das hätten die Gespräche mit den Isar-2-Betreibern bestätigt, mit denen Söder und Merz das Kernkraftwerk vor ihrem Presseauftritt besichtigt haben. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich sagte, längere Laufzeiten könnten unter Umständen "Sinn machen", stellt Merz nicht zufrieden. Zu sagen, dass etwas Sinn mache, "ist noch keine Politik". Derweil nutzt CSU-Chef Söder seinen Auftritt einmal mehr, um die Sicherheitszweifel innerhalb der Bundesregierung als "Unwahrheiten" zu bezeichnen. Dass Kanzler Scholz in Bayern ein besonders großes Gasproblem sieht, weil der Ausbau der Windkraft dort zu langsam gehe, ist für Söder sogar eine "faustdicke Unwahrheit".

SZ PlusEnergiekrise
:Warum Bayern an einem Gasspeicher in Österreich hängt

Nördlich von Salzburg befindet sich der zweitgrößte Speicher für Erdgas in Europa. Bislang war er fast leer, Österreich und Bayern stritten sich. Jetzt kommt Bewegung in die Sache.

Von Caspar Busse

Zuletzt hat Söder ja ein Bierzelt nach dem anderen besucht, im Herbst 2023 ist Landtagswahl in Bayern, sein Instagram-Profil läuft schon über vor lauter Masskrug-Fotos. Auf den Besuch des Ministerpräsidenten im Kernkraftwerk mussten die Isar-2-Betreiber dagegen monatelang warten. Dass Söder beim Bierzeltpublikum für eine Laufzeitverlängerung wirbt, aber zunächst nicht mit denen sprach, die den Weiterbetrieb stemmen sollen, das hat bei der Eon-Tochter Preussen-Elektra, die Isar 2 betreibt, nicht unbedingt für Freude gesorgt, wie zwischenzeitlich zu vernehmen war. Am Donnerstag empfängt Standortleiter Carsten Müller den Ministerpräsidenten mit einem Lächeln. Vor die Kameras tritt er aber nicht mit Söder und Merz.

Und das ist wahrscheinlich gar keine schlechte Entscheidung von ihm: Denn längst ist aus der Atomfrage eine geworden, die nur noch am Rande mit der drohenden Gaskrise zu tun hat. Es geht nun um politische Geländegewinne - etwa die Frage, wie weit sich die pragmatischen Grünen mit einem unverhofften Ja zur Atomkraft in die Enge treiben lassen.

Isar 2 könnte länger laufen als geplant. Aber wird er auch gebraucht?

Dabei sollte alles ganz sachlich zugehen, eigentlich. Für den Essenbacher Reaktor spricht, dass er im Süden Deutschlands liegt. In Ermangelung großer Leitungen von Nord nach Süd müssen hier öfter mal Kraftwerke kurzfristig angeschmissen werden, um das Stromnetz zu stabilisieren. Oft handelt es sich dabei um Gaskraftwerke, die ja nun sparen sollen. Obendrein ist Isar 2 noch vergleichsweise gut mit Brennstoff versorgt. Während bei den beiden anderen Rest-Akws das nukleare Material zur Neige geht - schließlich waren alle von einem Ende zum 31. Dezember ausgegangen -, ließe es sich an der Isar noch um einige Monate strecken. Aber wird er wirklich gebraucht?

Das soll eine Analyse der Stromnetz-Betreiber ergeben, die anschließend von der Bundesnetzagentur überprüft wird. Sie soll sich strikt daran orientieren, ob der weitere Betrieb tatsächlich zur Stabilisierung des Stromnetzes dienen kann. Dann hätte auch der grüne Energieminister Habeck Argumente, um eine Verlängerung der Laufzeit der eigenen Klientel zu verkaufen. Zumindest eine vorübergehende.

Doch zusehends erhitzt sich die Debatte. Am Donnerstag wird ein Schreiben des obersten Atomaufsehers des Bundes, Gerrit Niehaus, publik, in dem er seinem bayerischen Amtskollegen "eine nicht nachvollziehbare Beurteilung der Sicherheit" vorwirft. Und auch das Protokoll einer Telefonkonferenz zwischen Regierung und Betreiberkonzernen wird öffentlich, dabei auch: Leonhard Birnbaum, Chef des Energiekonzerns Eon und damit oberster Herr von Isar 2. Ohne Kompromisse bei der Sicherheit, so wird darin deutlich, sei ein längerer Betrieb der drei Akws nicht machbar.

Doch um dergleichen geht es am Donnerstag in Essenbach nicht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivStreit um AKW Isar 2
:Bund wirft Bayern laxen Umgang mit Nuklearsicherheit vor

Dies widerspreche den Grundsätzen der deutschen Aufsichtspraxis, klagt der oberste Aufseher des Bundes.

Von Michael Bauchmüller und Andreas Glas

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: