Süddeutsche Zeitung

Friedrich Merz:Der gefühlte Wirtschaftsexperte

Friedrich Merz wähnt Deutschland und die EU in der "Liquiditätsfalle" - und erntet Widerspruch von Ökonomen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Rüdiger Bachmann sagt von sich selbst, er sei jemand, den die CDU "im Prinzip" gewinnen könnte. Der Professor für Makroökonomie lehrt derzeit an der katholischen Privatuniversität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana, die als konservativ gilt. Nur, am Sonntag hat die CDU alles andere als Werbung für sich gemacht. Der Grund? Ein Tweet des angeblichen Wirtschaftsexperten der Partei, Friedrich Merz.

Merz hatte bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts im Bundestag seine Stirn in breite Sorgenfalten gelegt. "Der Bundeshaushalt steigt auf ein Volumen von 550 Milliarden Euro, 240 Milliarden Euro davon sind neue Schulden. Deutschland und die EU sind mit ihrer Finanzpolitik angekommen, wo sie niemals hätten hinkommen dürfen: in der Liquiditätsfalle", twitterte er am Sonntag. Huch, fragt man sich da, sitzen die Deutschen in der Falle, weil die da in Berlin und Brüssel keine Ahnung haben?

Doch dann rauscht ein Shitstorm durchs Netz. Wirtschaftspolitiker, Ökonomen und Vertreter des Wahlvolkes sind entsetzt von mangelndem Sachverstand oder einfach empört. Er biete Merz "ein kurzes Briefing in Sachen Geldsystem und Staatsfinanzen" an, "sollte nicht länger als ein Jahr dauern, bis wir Sie so fit haben, dass Sie wieder mitreden können", twittert der Ökonom Maurice Höfgen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitet. "Ist schon fast lustig, dass der 'Wirtschaftsexperte Merz' keine Ahnung von wirklich grundlegender Ökonomie zu haben scheint", ein anderer. "Die alte Nummer, den Menschen große Angst vor angeblichen Schulden machen", ärgert sich ein Nutzer.

"Ohgottohgott, dieser Mann tritt in meinem Wahlkreis an. @FriedrichMerz, kommen Sie doch mal rüber in die Altstadt, ich leih' Ihnen meinen Bofinger", bietet jemand an. Auf die "Grundzüge der Volkswirtschaftslehre" von Peter Bofinger verweist auch der Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi, er twittert ein Bild des Lehrbuchs. "Ist das die neue Wirtschaftskompetenz?", fragt er. Und, an Merz gerichtet: "Wissen Sie eigentlich, was eine Liquiditätsfalle ist? Sie scheinen da was verwechselt zu haben." - "Oh Lord Keynes!"

Professor Peter Bofinger lacht

Man ruft an bei jenem Peter Bofinger, der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg ist und lange einer der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung war. Sind Deutschland und die EU wegen der hohen schuldenfinanzierten Ausgaben in der Liquiditätsfalle gelandet? Bofinger lacht. "Nein, da stecken wir nicht." Tatsächlich gibt es nach der Lehre des Ökonomen Keynes eine Liquiditätsfalle, aber nur in einem sehr theoretischen und anders gelagerten Modell. Nämlich dann, wenn zusätzliches Geld der Notenbanken nicht mehr zu steigenden Investitionsausgaben führt, sondern das Geld gebunkert wird aus Angst vor steigenden Zinsen. Mit Blick auf das Zitat von Merz gelte: Der Zusammenhang zwischen den Staatsschulden und der Liquiditätsfalle sei praktisch null.

Mit einem Schuss Ironie fügt Bofinger an, dass Merz so etwas twittere, könnte drei Gründe haben: Vielleicht habe sein Professor es in der Vorlesung nicht richtig erklärt. Oder Merz habe nicht aufgepasst. Oder aber er wollte einfach diesen Begriff unterbringen. Und es stimmt ja auch, dass das schaurig klingt. Wer mag schon in einer Falle sitzen. "Mit solchen Schlagworten sammelt Merz Wählerklientel ein." Und Merz ist ja schon im Wahlkampf. Geradezu geräuschlos hat der Mittlerweile-Kanzlerkandidat der Union Armin Laschet seinen Teampartner, den glücklosen Gesundheitsminister Jens Spahn, gegen den gefühlten Wirtschaftsexperten Merz getauscht. "Ich habe @reinerhaseloff zugesagt, dass ich ihm dabei helfen werde, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zu gewinnen", twitterte Merz vergangene Woche. Termin ist der 6. Juni.

Man fragt lieber noch mal nach bei Friedrich Merz: Ist der Tweet ein Versehen? Keinesfalls, das sei ein Zitat aus dem aktuellen Blog "Merz-Mail", sagt der Sprecher. Und was da stehe, gelte auch am Montag noch.

Falsch ist es trotzdem, sagt Professor Bachmann. "Im Prinzip ist es genau umgekehrt." Wenn die Zinsen nicht weiter sinken können, weil sie schon an der Nulllinie sind, sei "eine expansive Fiskalpolitik das Gebot der Stunde". Was den Volkswirtschaftler ärgert, ist aber nicht, dass jemand mal was verwechselt. "Mich ärgert, dass Friedrich Merz eine Kompetenz simuliert, die er nicht hat." Merz sei Jurist und sicher ein guter Wirtschaftsjurist. "Wenn ich eine Firma übernehmen wollte, würde ich mich an ihn wenden." Aber so zu tun, als ob er als Wirtschaftsjurist auch was von Wirtschaftspolitik verstünde, das hält Bachmann für unredlich.

"Robert Habeck hat einfach zu viele Wissenslücken", hatte Merz nach der Nominierung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen getwittert. Habeck war einst bei der Erklärung der Pendlerpauschale ins Stottern gekommen. Die Chuzpe ist bemerkenswert, denn die Liquiditätsfalle von Merz ist kein Ausreißer. Im Juni 2020 hatte er die geringe "Preiselastizität" bei Lebensmitteln angeführt, um zu begründen, dass Fleisch nicht zu teuer werden dürfe. "Ziemlich konfus", twitterte ein Nutzer. "Wenn die Elastizität gering ist, dann kaufen die Leute auch bei höheren Preisen."

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