CDU-Chef Friedrich Merz ist bei der Wahl im Bundestag im ersten Wahlgang gescheitert. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316.
Die AfD stellt die zweitgrößte Fraktion im Bundestag hinter der Union. Die gescheiterte Kanzlerwahl zeige, „auf welch schwachem Fundament die kleine Koalition aus Union und von den Bürgern abgewählter SPD gebaut ist“, schrieb Parteichefin Alice Weidel bei X. Sie forderte direkt eine Neuwahl des Bundestags. Das vorgesehene Prozedere ist allerdings ein anderes. Ob die AfD in einem zweiten Wahlgang für Merz stimmen könnte – und die schwarz-rote Koalition damit in ein noch größeres Dilemma bringen könnte – ließ Weidel zunächst offen.
Tino Chrupalla, Co-Chef der als rechtsextrem eingestuften Partei, sagte: „Wir werden dem auch nicht im Wege stehen, dass wir morgen den zweiten Wahlgang hier durchführen. Da wird sich natürlich auch zeigen, inwieweit Friedrich Merz überhaupt in der Lage ist, seine Reihen zu schließen.“
Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge, erklärte, ihre Partei werde Merz nicht wählen. „Selbstverständlich werden wir einem Kanzler unser Vertrauen nicht aussprechen, von dem wir denken, dass er mit dem, was er jetzt in den nächsten Wochen und Monaten plant in eine falsche Richtung für unser Land geht. Friedrich Merz und Lars Klingbeil werden selber eine Mehrheit für ihre Koalition organisieren müssen.“
Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner sagte: „Wir wünschen uns für Europa und Deutschland eine handlungsfähige Regierung.“ Bedauerlicherweise hätten Merz und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil dafür die Mehrheit ihrer eigenen Fraktionen nicht sichern können. „Sie müssen nun beweisen, dass sie das jetzt, aber auch für vier Jahre können“, schrieb sie auf X.
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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann drängte auf einen schnellen weiteren Wahlgang. „Es muss jetzt zügig gehen“, sagte er am Rande einer Fraktionssitzung. „Wir stehen.“ Allerdings bestreitet auch die SPD-Fraktion, dass es in ihren Reihen Abweichler gibt.
Der designierte Außenminister Johann Wadephul (CDU) erklärte: „Der Vorgang ist ärgerlich.“ Er sei aber auch kein Drama. Am Ende sei die Wahl eine Gewissensentscheidung, die sei „bedauerlicherweise so ausgefallen, wie sie ausgefallen ist“. Nun würden die Abgeordneten „noch einmal in sich gehen“, und er sei „zuversichtlich“, dass es danach klappen werde.
Thüringens früherer Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte die zügige Wahl eines Bundeskanzlers. „Merz und Klingbeil sind gescheitert. Sie tragen die Verantwortung für dieses Chaos“, sagte der Linke-Politiker. „Ich bin krachsauer auf die Koalition.“
„Die Wahlniederlage von Merz unterstreicht, wie weit Union und SPD politisch voneinander entfernt sind und dass der Koalitionsvertrag bei zahlreichen Abgeordneten auf tiefe Ablehnung stößt. Der Koalitionsvertrag enthält ungewöhnlich wenige verbindliche Absprachen und lässt viele der großen Themen – von Steuerreform über Rentenreform bis hin zur Migration – offen“, kritisierte der Ökonom Marcel Fratzscher. „Eine Schlussfolgerung dieser Wahlniederlage ist, dass Union und SPD dringend mehr Mut für grundlegende Reformen und Veränderungen benötigen und der Koalitionsvertrag keine gute Grundlage für das Regieren in den nächsten Jahren sein kann. Das fehlende Vertrauen bei Bürgern und Unternehmen ist Deutschlands größtes Problem heute, denn die wirtschaftliche Realität ist noch immer deutlich besser als die Stimmung.“
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht einen Dämpfer für die angestrebte schwarz-rote Koalition. CDU-Chef Friedrich Merz habe jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem, sagte Korte im TV-Sender Phoenix. „Die Startmöglichkeiten für ihn, mit vielleicht auch Zauber des Anfangs daherzukommen, die sind verpufft.“
Auch im Ausland wird die Entwicklung in Deutschland genau beobachtet. „Natürlich brauchen wir eine starke Regierung in Deutschland“, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas dem Fernsehsender Phoenix. Dass Merz im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit verfehlt habe, sei aber ein normaler Teil des demokratischen Prozesses: „Das ist so in der Demokratie, und es hängt von den Abgeordneten ab.“ Deutschland komme als größtem Mitgliedsland der EU eine besondere Bedeutung zu. „Was sich dort zuträgt in der Politik, aber auch in der Wirtschaft, wirkt sich auf alle europäischen Staaten aus“, betonte sie. Sie hoffe auf eine stabile Regierung in Berlin, mit der die EU künftig gut zusammenarbeiten könne, sagte Kallas.
Einen Vergleich zur Papstwahl, die am morgigen Mittwoch beginnt, zog der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker. „Ich gehe davon aus, dass Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt werden wird. Auch im Konklave ist es oft nicht der erste Wahlgang.“