Grenzkontrollen:Zurückweisungen: So einfach geht das nicht

Lesezeit: 4 Min.

Halt und zurück? Dem Vorhaben, Flüchtlingen an der deutschen Grenze die Einreise einfach zu verweigern, steht europäische Rechtsprechung entgegen. (Foto: Harald Tittel/dpa)

Unionskanzlerkandidat Merz will Flüchtlinge an den deutschen Grenzen ohne jegliche Prüfung zurückweisen lassen. Doch rechtlich ist das wohl kaum machbar.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, muss wirksam begrenzt werden: Das ist das übergreifende politische Ziel dieser Tage. Da gäbe es viel zu besprechen, zum Beispiel, wie man den notleidenden europäischen Verteilmechanismus wieder in Gang setzt und wie man unwillige Staaten dazu bringt, Flüchtlinge zurückzunehmen. Doch Friedrich Merz hat nun einen Ton gesetzt, der nicht nach langwierigen Verhandlungen klingen soll, sondern nach entschlossenem Handeln. „Am ersten Tag meiner Amtszeit“, so kündigte der Kanzlerkandidat der Union vergangene Woche an, werde er „anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen“. Die Zurückweisung gelte „ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch“, sagte er.

Aber geht das rechtlich so ohne Weiteres? Im Falle eines Wahlsiegs würde er den Vorrang des nationalen Rechts anordnen, erklärte der CDU-Chef – ganz so, als sei Deutschland mit einem Mal frei von all den europa- und menschenrechtlichen Verpflichtungen, die es selbst unterschrieben hat.

Der Grund, warum das vermeintliche Wundermittel einer Zurückweisung an der Grenze nicht funktioniert, heißt Dublin III. Das ist eine EU-Verordnung, die das Verfahren zum Flüchtlingsschutz regelt und, wie nicht nur Merz bemängelt, schlecht funktioniert – aber eben immer noch rechtsgültig ist. Der Wortlaut von Artikel 3 ist im Grunde glasklar: „Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.“

Möglich wäre ein schnelleres Verfahren

Nun lautet das Kernargument der Kritiker, nach den Dublin-Regeln sei Deutschland als europäisches Binnenland praktisch nie für das Verfahren zuständig, weil Flüchtlinge stets über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen seien. Das ist zwar richtig, bedeutet aber, dass die Grenzbeamten nicht einfach Nein sagen dürfen, wenn jemand Asyl beantragt. Denn Flüchtlingsschutz heißt in diesem Fall, dass geklärt werden muss, wer für das Verfahren zuständig ist – und ob der Antragsteller dorthin überstellt werden kann. Schutz durch Verfahren, das mag bürokratisch klingen, ist aber für die Menschen an der Grenze existenziell, weil sie sonst Gefahr laufen, von Zurückweisung zu Zurückweisung durchgereicht zu werden.

Möglich wäre danach gewiss ein deutlich schnelleres Verfahren an der Grenze, mit einer schlanken Prüfung – etwa für Geflüchtete, die in einem anderen EU-Land bereits registriert sind. Das wäre dann eine beschleunigte Ermittlung der Zuständigkeit für das Asylverfahren, aber eben immer noch eine Prüfung des Gesuchs und nicht eine bloße Zurückweisung. Ob das funktioniert, dürfte von der Kooperationsbereitschaft der beteiligten Länder abhängen. Italien beispielsweise verweigert die Rücknahme von Asylbewerbern.

Derweil haben sich prominente Stimmen zu Wort gemeldet, die auch echte Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen für machbar halten. Eine Intervention stammt von Peter M. Huber, einem ehemaligen Verfassungsrichter, der davor kurzzeitig für die CDU Innenminister Thüringens war. Die zeitweilige Rückkehr zu Grenzkontrollen im Schengenraum, wie sie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im September anordnete, erlaube auch Einreiseverweigerungen an der Grenze, schrieb Huber in einem forschen Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. So stehe es im Schengener Grenzkodex. Dies habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom September 2023 anerkannt, unter der Voraussetzung, dass die Garantien der EU-Rückführungsrichtlinie nicht unterlaufen würden.

Der EuGH hat bisher alle Vorschläge abgeblockt

Liest man in dem Urteil nach, dann ist die Einreiseverweigerung eine eher theoretische Möglichkeit. Im Normalfall müssen die Staaten eine „Rückkehrentscheidung“ erlassen (also wieder Schutz durch Verfahren), es sei denn, es ist bereits aufgrund bilateraler Abkommen geklärt, wer die Person aufnimmt. Zwar hat Deutschland mit seinen Nachbarn Rückübernahmeabkommen geschlossen – allerdings gelten sie nicht für das Thema Asyl. Der EuGH selbst stuft die Möglichkeit einer blanken Verweigerung der Einreise als äußerst gering ein; die Gewährleistungen der Rückführungsrichtlinie würden ihr wohl „einen Großteil ihrer Wirksamkeit nehmen“.

Eigentlich hatte die Union bei ihren Zurückweisungsplänen auf ein anderes Pferd gesetzt, nämlich auf eine Notlagenklausel, die Abweichungen vom EU-Recht „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ erlaubt. Also kein Dublin III, keine Zauberwirkung des Wortes „Asyl“ an der Grenze, hieße das. Aber bisher gibt es keinerlei Signale, dass diese Brücke juristisch trägt.

Denn der EuGH hat bisher alle Vorstöße abgeblockt, über diesen Artikel 72 eine rigide Flüchtlingspolitik durchzusetzen. Als Polen, Ungarn und Tschechien die europäischen Umsiedlungsbeschlüsse unterlaufen wollten, mit denen im Flüchtlingsjahr 2015 Griechenland und Italien entlastet werden sollten, ernteten sie ein Nein aus Luxemburg. Gleiches gilt für die ungarischen Transitzonen an der serbischen Grenze, ein kafkaeskes System, das es den Menschen faktisch unmöglich machte, einen Asylantrag zu stellen.

Ab nach Österreich? Da spielt Wien nicht mit

Die Vorschrift sei eng auszulegen, sagte der EuGH. Es genüge nicht, dass ein Mitgliedstaat sich kurzerhand auf sein Interesse an Sicherheit und Ordnung berufe. Die Staaten müssten vielmehr nachweisen, „dass die Inanspruchnahme der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahme notwendig ist, damit sie ihre Zuständigkeiten in diesen Bereichen wahrnehmen können“, entschied das Gericht 2020. Das bezog sich, wohlgemerkt, auf Maßnahmen von Staaten an den europäischen Außengrenzen im Nachgang zur Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016. Dass Deutschland sich in einer Zeit zurückgehender Asylanträge auf die Vorschrift berufen könnte, klingt unwahrscheinlich.

Geht also gar nichts? Daniel Thym, Migrationsrechtler an der Universität Konstanz, sieht für Binnenländer wie Deutschland einen gewissen Spielraum für Zurückweisungen – wobei auch er eher über die juristische Theorie als über die politische Praxis spricht. Der elementare Grundsatz des Flüchtlingsrechts ist das Verbot des refoulement, also der Zurückweisung in Länder, in denen den Betroffenen Verfolgung droht. Dieses Verbot werde aber nicht verletzt, wenn deutsche Zurückweisung an der prinzipiellen Sicherheit des Asylsuchenden nichts ändere, etwa, weil er nach Österreich zurückgeschoben werde, das ebenfalls eine leistungsfähige Asylverwaltung habe. Eine individuelle Prüfung sei entbehrlich, wenn das Nachbarland eindeutig sicher sei, dies habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. „Die Zurückweisung könnte also durchgesetzt werden, bevor ein Gericht ein grünes Licht gab“, schrieb Thym im Fachportal Verfassungsblog.

Also ab nach Österreich? „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden“, sagte der konservative Innenminister Gerhard Karner. Das deutsche Nein an der Grenze könnte also eine Kettenreaktion in Gang setzen, an deren Ende die Flüchtlinge dort landen, wo sie hergekommen sind. Politisch mag das beabsichtigt sein, um die Anreize für eine Flucht nach Europa zu minimieren. Juristisch wäre dies ein klarer Verstoß gegen das Refoulement-Verbot – weil man damit die, die wirklich verfolgt werden, ins Verderben schickt.

Dieser Artikel wurde nach den Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz am 23. Januar 2025 aktualisiert. Die vorherige Fassung erschien bereits am 10. September 2024 in der „Süddeutschen Zeitung“.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungMesserangriff in Aschaffenburg
:Geflüchtete ohne Papiere nicht mehr ins Land lassen? Der Vorschlag von Friedrich Merz bricht Europarecht

Kommentar von Ronen Steinke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: