Zum vierten Mal ist Angela Merkel an diesem Mittwoch zur Kanzlerin gewählt worden. Während ihrer politischen Laufbahn hat sie eine Vielzahl von Beinamen und Etiketten erhalten, die ihr Wesen, aber auch ihr politisches Wirken beschreiben. Ein Überblick.
Kohls Mädchen
Der politische Aufstieg der Ostdeutschen Angela Merkel im wiedervereinigten Deutschland verläuft steil. 1990 wird sie per Direktmandat zur Bundestagsabgeordneten im ersten gesamtdeutschen Parlament gewählt - und von Bundeskanzler Kohl überraschend zur Ministerin für Frauen und Jugend ernannt. 36 Jahre ist Merkel da alt. Drei Jahre später wechselt sie an die Spitze des Umweltressorts. "Mein Mädchen" nennt ihr politischer Mentor Merkel - eine Bezeichnung, die ihr lange anhaften wird. Erst im Zuge der Parteispendenaffäre distanziert sich Merkel - mittlerweile CDU-Generalsekretärin - 1999 öffentlich von ihrem politischen Ziehvater. Er wird es ihr dauerhaft übel nehmen.
Bundeskanzlerin:Merkels Weg - wie aus Angst Gewissheit wurde
Am Anfang stand ein Brief gegen Ziehvater Kohl, Angela Merkel fürchtete um ihr politisches Überleben. Unser Korrespondent blickt zurück auf 20 Jahre Merkel.
Angie
Es war 2005, als die Wahlkampfstrategen der CDU es offenbar für gut befanden, Auftritten der eher trocken wirkenden Klassikliebhaberin Merkel mittels der Rockballade "Angie" von den Rollings Stones mehr Pep zu verleihen. Wie es scheint, hatte man den Song allein nach dem Titel ausgesucht und den Inhalt nicht näher ins Auge gefasst. Denn darin kommen ganz und gar Wahlkampf-untaugliche Zeilen vor wie: "All the dreams we held so close, seems to all go up in smoke" (Alle Träume, die uns so nahe waren, scheinen sich in Rauch aufzulösen) oder "Ain't it time we said goodbye" (Ist es nicht Zeit, auf Wiedersehen zu sagen?). Als die britischen Rockstars davon erfuhren, waren sie zudem not amused und untersagten der CDU die Nutzung des Songs. Erstaunlicherweise setzte sich die Bezeichnung "Angie" für Merkel trotz der Diskrepanz von Person und Song doch irgendwie durch.
Klimakanzlerin
Im Jahr 2007 unternahm Kanzlerin Angela Merkel mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Reise nach Grönland, um sich selbst ein Bild von den drastischen Folgen der Erderwärmung zu machen. Vor allem aus der grünen Opposition war leichter Spott über die "Reisegruppe Merkel/Gabriel" zu vernehmen. Und doch prägte das Bild von Merkel und Gabriel in roten Anoraks vor schmelzenden Gletschern maßgeblich das Image von der "Klimakanzlerin". Damals gab Merkel das Ziel aus: Bis 2020 solle Deutschland 40 Prozent weniger Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen. Auch international setzte Merkel den Klimaschutz auf die Agenda. Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm sorgte sie im gleichen Jahr dafür, dass sogar die USA und Japan ein Bekenntnis zum Kampf gegen die Erderwärmung unterzeichneten. Auf der internationalen Bühne hat die Kanzlerin sich seitdem immer wieder für das Thema stark gemacht. Und doch bröckelte das Bild von der Klimakanzlerin zusehends, zeigte sich doch, dass gerade in Deutschland das selbstgesetzte Klimaziel nicht erreicht werden wird. In vielen Medien mutierte Merkel daher zur "Klimakanzlerin a. D.".
Bildungskanzlerin
"Ein Riesenschritt in Richtung Bildungspolitik" nannte Merkel das, was sie und die damaligen Ministerpräsidenten beim Bildungsgipfel 2008 festlegten: Die Zahl der Jugendlichen ohne Berufsabschluss sollte bis 2015 auf die Hälfte schrumpfen. Dazu sollten zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung fließen. Doch woher die Milliarden dafür kommen sollten, wurde nicht präzisiert. Heraus kam nicht viel mehr als ein vages Versprechen, dass Deutschland irgendwann einmal mehr Geld für Schulen und Hochschulen ausgeben werde. Merkel klammerte aus, dass Bildung Ländersache ist und so verkündete sie zwar: "Wir wollen Bildungsrepublik werden." Nur sie selbst konnte wenig dafür tun. Nun soll das Kooperationsverbot gekippt werden.
Mutti
Die Bezeichnung "Mutti" soll angeblich von CSU-Mann Michael Glos stammen. Er soll sie in seiner Zeit als Wirtschaftsminister, die von 2005 bis 2009 dauerte, geprägt haben. Andere männliche Weggefährten Merkels übernahmen wohl den spöttisch Beinamen. Auch Philipp Rösler, FDP-Chef und Vizekanzler von 2011 bis 2013, soll von Merkel als "Mutti" gesprochen haben - er allerdings voller Bewunderung, wie es hieß. Erstaunlicherweise gelang es Merkel, das abschätzige Etikett in etwas Positives umzuwandeln. Manch einer behauptet sogar, der Spitzname sei das Beste, was ihr passieren konnte: Denn auch der Wähler denke an sie als "sparsame und besorgte Mutter", angelehnt an das Ideal der "schwäbischen Hausfrau", wie die Geschlechterforscherin Dorothee Beck im SZ Magazin erklärte. Merkel, die "mit sanfter Hand über ihre politische Familie und ihr Land wacht", wie die Bunte schrieb, hat sich erfolgreich von ihrem Übervater Helmut Kohl emanzipiert - und mit Kochtipps für Kartoffelsuppe den Mythos von sich selbst als "Mutter der Nation" gefestigt.
Madame No
Auf der internationalen Bühne büßte die Kanzlerin im Zuge der Finanzkrise von 2008 an für eine Zeit lang deutlich an Beliebtheit ein. Merkel verweigerte sich nämlich schon bald Forderungen der europäischen Partner, weitere staatliche Milliarden zur Ankurbelung der Konjunktur zu bewilligen. In Brüssel, in Paris und London war viel von "Madame No" die Rede. Doch während man auch in Washington ihre "Mutlosigkeit" anprangerte und "le nein de Merkel" sie in Frankreich unbeliebter denn je machte, schien die Stimmung im eigenen Land ihre Linie zu bestätigen: Jeder Zweite gab in einer Umfrage an, die Kanzlerin direkt zu wählen, so er denn könnte.
Teflonkanzlerin
Es gab eine Zeit, da schien Merkel zumindest im Inland unangreifbar zu sein. Ob es um Streit mit dem Koalitionspartner FDP ging, die Regierung abenteuerliche Volten schlug wie in der Atompolitik oder die Euro-Krise die Menschen verunsicherte - der Kanzlerin schien das nichts anhaben zu können. Angriffe politischer Gegner ließ sie einfach ins Leere laufen. Kritische Fragen von Journalisten beantwortete sie mit wolkigen, aber doch beruhigend präsidial wirkenden Aussagen. Mochte ihr Koalitionspartner in den Meinungsumfragen absacken oder sogar ihre CDU Federn lassen, die Kanzlerin führte weiterhin unangefochten die Liste der beliebtesten Politiker an. An ihr perlte alles ab wie an der Teflonschicht einer Bratpfanne. Am Ende ihrer zweiten Legislaturperiode, im Wahlkampf 2013, genügte ihr ein schlichtes "Sie kennen mich" an die Wähler, um sich von ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück abzusetzen. Erst mit der Flüchtlingskrise 2015 büßte Merkel ihr Image als Teflonkanzlerin ein.
Ein Verb: merkeln
Während ihrer Amtszeit wurden Angela Merkel nicht nur eine Vielzahl verschiedener Etiketten angeheftet. Durch ein ihr typisches Verhalten prägte sie gar ein eigenes Verb. Gab es ein Problem, egal wie drängend dessen Lösung schien, gelang es der Kanzlerin immer wieder, erst einmal keine Entscheidung zu treffen, sich nicht auf irgendetwas festnageln zu lassen, sondern einfach abzuwarten. Mochten andere vorpreschen, die Sache Merkels war das im Allgemeinen nicht - und so tauchte in ihrer dritten Amtszeit das Verb "merkeln" auf. Ausgerechnet im Jahr 2015, als Merkel in der Flüchtlingskrise gerade völlig anders agierte, galt "merkeln" sogar kurzzeitig als Favorit zum Jugendwort des Jahres (am Ende landete es auf Platz 2).
Flüchtlingskanzlerin
Womöglich blicken Historiker in einigen Jahrzehnten auf die Ära Merkel zurück und beschreiben ihre Bedeutung für Deutschland mit einem einzigen Satz: "Wir schaffen das." Die unerwartete humanitäre Geste, die Grenzöffnung für gestrandete Flüchtlinge im Spätsommer 2015 und die von ihr proklamierte, neue Willkommenskultur brachte Merkel den Beinamen der "Flüchtlingskanzlerin" ein. Ihr "Wir schaffen das" verfolgt Merkel bis heute. Er ist inzwischen gleichermaßen Paradigma der Optimisten und Narrativ der Rechten. So sagte Alexander Gauland (AfD) ein Jahr später, die "Flüchtlingskanzlerin" Merkel habe Deutschland mit ihrer Politik der offenen Grenzen genug geschadet. Weil ihr auch zunehmend Mitglieder der eigenen Partei und der Schwesterpartei CSU Kritik entgegenbrachten, distanzierte sie sich von dem Satz - und zunehmend auch von der damit verbundenen Politik.
Leader of the free world (Anführerin der freien Welt)
Im Jahr 2016 war die westliche Welt in Aufruhr: Europa war zerstritten in der Auseinandersetzung über die Bewältigung der Flüchtlingskrise und stand noch unter dem Schock des Brexit-Votums vom Sommer, da verstörte die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten viele Menschen auf dem Globus massiv. Dessen "America first"-Doktrin schuf ein großes Maß an Unsicherheit in der internationalen Politik. Vor allem im anglo-amerikanischen Raum wurden Stimmen laut, die forderten, Europa und vor allem Deutschland müsse mehr Veranwortung in der Welt übernehmen. Britische und US-amerikanische Zeitungen sahen Merkel nun gefordert als "leader of the free world" (Anführerin der freien Welt). Der britische Historiker Timothy Garton Ash sagte im Stern, wenn es denn noch einen solchen Anführer gebe, "dann ist das Angela Merkel". Doch Die Kanzlerin enttäuschte die Hoffnungen - zwei Jahre später beschwerten sich US-Zeitungen, dass Merkel allenfalls rede, die eigentliche Arbeit zur Sicherung der westlichen Welt aber immer noch andere übernehmen müssten.
Die ewige Kanzlerin
16 Jahre sollen es werden, zwölf sind es schon: Die Generation der Millenials kann sich nur vage an eine Zeit vor Merkel erinnern. Weil nur einer vor ihr länger Bundeskanzler in Deutschland war - ihr Mentor Helmut Kohl -, wird Merkel in Medien seit 2013/14 zunehmend die "ewige Kanzlerin" genannt. Kohl war immerhin 16 Jahre lang Regierungschef. Wenn die Amtszeit nicht vorzeitig beendet wird, zieht sie mit ihm gleich. Einen anderen Rekord hält Merkel bereits: Kein anderer der G-7-Staaten wird so lange vom selben Regierungschef geführt wie Deutschland.