Merkels Rückzug:"Merkel will ihre Nachfolge nicht anderen überlassen"

Die CDU ist in Aufruhr: Wer folgt Merkel an der Spitze? Wie stellt sich die Partei inhaltlich auf? Politologin Ursula Münch über die Herausforderungen der Christdemokraten.

Interview von Clara Lipkowski

Es war eine denkwürdige Pressekonferenz, die Angela Merkel am Montag in Berlin gegeben hat. Nach 18 Jahren an der Parteispitze der CDU erklärte sie den Rückzug von ihrem Posten. Warum sie damit auch das Ende ihrer Kanzlerschaft eingeleitet hat und was das für Annegret Kamp-Karrenbauer und Horst Seehofer bedeutet, erklärt Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing.

SZ: Angela Merkel hat am Montag ihr eigenes politisches Ende eingeleitet. Hat sie mit ihrer Entscheidung eine mögliche Blamage abgewendet, dass sie irgendwann "gegangen wird"?

Ursula Münch: Ja, natürlich. Wie sie gehandelt hat, zeichnet sie als Person aus. Angela Merkel ist jemand, der das Heft des Handelns gern in der Hand behält. Es hätte ihr durchaus gelingen können, die Sache noch etwas auszusitzen. Denn das eine ist ja, ob sich jetzt die Nachfolger laut zu Wort melden - klar, das müssen sie jetzt. Das andere ist, ob es überhaupt jemanden gegeben hätte, der den Mut besitzt, sie aus dem Amt zu drängen, und damit auch noch Erfolg hat. Insofern zeugt ihr Schritt von Souveränität, die man meines Erachtens nicht unterschätzen sollte.

Merkel wollte ihr Amt in Würde verlassen. Das ist ihr also gelungen?

Ja. Es geht ihr offensichtlich auch darum, Einfluss auf die Nachfolge zu nehmen - im Parteivorsitz und eventuell in der Kanzlerschaft. Deswegen hat sie jetzt selbst die Initiative ergriffen. Merkel will ihre Nachfolge nicht anderen überlassen und sich nicht weiter in die Defensive drängen lassen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Erst der Parteivorsitz, bald die Kanzlerschaft - hat es jemals schon einen vergleichbaren Rückzug auf Raten gegeben?

Konrad Adenauers Rückzug als Bundeskanzler war gewissermaßen auch auf Raten. Das geschah damals auf Druck des damaligen Koalitionspartners FDP. 1961 hat man während der Koalitionsgespräche vereinbart, dass Adenauer nur noch die Hälfte der Legislaturperiode im Amt bleiben würde, das musste er der FDP und seiner eigenen Partei versprechen. Er ist dann 1963 zurückgetreten, Parteivorsitzender blieb er aber noch ein paar Jahre. Der gesamte Rückzug war für Adenauer nur bedingt freiwillig - die FDP hat ja entsprechend Druck ausgeübt. Was Merkel nun mit Blick auf den Parteivorsitz tut, ist im Vergleich zu Adenauer schon freiwilliger. Ansonsten kennen wir von Helmut Kohl, dass jemand durch die Wahl das Amt verliert.

Was bedeutet das nun für die CDU? Immerhin erlebt die Partei gerade einen Kulturbruch. 18 Jahre lang wurde nicht über die Frage des Parteivorsitzes diskutiert. Dieser war immer undenkbar ohne dazugehörige Kanzlerin.

Wichtig wird jetzt, was am 6. Dezember auf dem Parteitag der CDU entschieden wird. Man wird sicher auch künftig bei der Tradition bleiben wollen, Parteivorsitz und Kanzlerschaft in einer Hand zu halten. Insofern wird man dann sehen, wer der nächste Kanzlerkandidat ist. Oder die Kanzlerkandidatin. Und die nächste Bundestagswahl, das wissen wir alle, kann turnusgemäß 2021 stattfinden - aber das ist eher unwahrscheinlich.

Warum ist es der CDU so wichtig, Parteivorsitz und Kanzlerschaft zusammenzuhalten?

Die CDU ist keine typisch programmatische oder ideologische Partei wie zum Beispiel die Sozialdemokraten. Sie hat sich immer als Sammlungsvereinigung verstanden, als Union eben, mit einer großen inhaltlichen Breite, die die breite Bevölkerung anspricht. Und das ging immer einher mit einer starken Rolle der jeweiligen Parteiführung, die dann eben auch Kanzler werden sollte. Fast immer waren das auch starke Persönlichkeiten.

Erwarten Sie jetzt in der CDU einen harten Konkurrenzkampf?

Ja. Schon vor dem 6. Dezember wird entschieden, wer sich mit wem verbündet und wer wen unterstützt. Fragen an die Parteichefin oder den Parteichef sind ja jetzt: Wie hältst du es mit der Flüchtlingspolitik, wie hältst du es mit der Globalisierung, mit der Gleichstellung von Männern und Frauen und so weiter. Ich denke, da kommt schon einiges in Aufruhr.

Und auch, wie man sich zur AfD positionieren wird?

Das ist ein Punkt, der gewaltiges Sprengpotenzial hat. Die Frage: Wie schätzt die CDU eigentlich die AfD und ihre Wähler ein? Rechnet man letztere ins bürgerliche Lager? Oder sagt man: Das ist gefährlich, weil wir uns dann womöglich auch mit der Partei verbrüdern. Wäre man bereit, sich in Einzelfällen von der AfD auf Landesebene tolerieren zu lassen? Diesen Konflikt auszutragen, wird die CDU massiv fordern. Ein kluger Parteivorsitzender muss das einfangen und Führung zeigen bei der Frage: Wie lassen wir die AfD dort, wo sie ist, nämlich in der rechten Ecke und schaffen es, die Protestwähler zurückzugewinnen?

Am Montag haben sich schon diverse Kandidaten für den Vorsitz in Stellung gebracht: Annegret Kramp Karrenbauer, Friedrich Merz, Jens Spahn und Armin Laschet.

Eigentlich ist das unklug. Eigentlich müsste man jetzt Personen aus zwei bis drei Lagern identifizieren, aus einem wirtschaftsnahen Lager, einem konservativen und einem eher liberalen Lager. Dass sie sich jetzt intern auch noch Konkurrenz machen, wundert mich. Sie nehmen sich gegenseitig die Gefolgschaft weg. Jens Spahn und Friedrich Merz sind beide Vertreter der konservativen CDU, wobei Merz noch eher wirtschaftsnah ist. Spahn spricht auch die Jüngeren an und die, die in mancher Hinsicht ein aufgeschlosseneres Gesellschaftsbild haben und gleichzeitig doch sehr konservativ sind. Annegret Kramp-Karrenbauer würde eher eine liberale Ausrichtung der CDU fortführen, sicher mit gewaltigen Abstrichen in Sachen Flüchtlingspolitik. Und sie hat einen ganz großen Vorteil: Sie ist die einzige Frau. Ich denke, Merkel hat sie mit Bedacht zur Generalsekretärin gemacht - weil sie die Mischung aus Modernität und Führungspersönlichkeit, aber auch einen gewissen Wertkonservatismus mitbringt.

Was bedeutet Merkels Rückzug für Seehofer?

Merkel hat in ihrer Erklärung gesagt, dass die Bundesregierung ein sehr schlechtes Erscheinungsbild abgegeben habe. Das zielt ganz klar in Richtung CSU. Dieser Satz war die Aufforderung an Seehofer, es ihr gleichzutun.

Zur SZ-Startseite
Germany's Chancellor Merkel Said to Quit as Party Chief As Her Chancellorship Wobbles

Rückzug als CDU-Chefin
:Merkels Wagnis

Die Kanzlerin übernimmt die Verantwortung für das schlechte Ergebnis der CDU in Hessen - und erklärt ihren schrittweisen Abschied von der Macht. Es ist ein bemerkenswerter Auftritt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: