Merkels Regierungsstil in Krisen:Was mich nicht stürzt, härtet mich ab

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Wie Helmut Kohl ist Angela Merkel eine Kanzlerin des Abwartens und Aussitzens. Doch Merkel hat auch gelernt, Autorität zu zeigen. So gelingt es ihr - wie im jüngsten Steuerstreit - die desolate Lage der Koalition zu kaschieren.

Nico Fried

Angela Merkel war eigentlich schon erledigt, als sie anfing. Als Merkel vor fünf Jahren Bundeskanzlerin wurde, prognostizierten die politischen Gegner, sie werde an der ersten Krise scheitern, die das Land heimsuche. Diese Vorhersage ist nicht eingetreten, was daran gelegen haben mag, dass die Krisen nicht groß genug waren oder dass es die SPD gab - oder an was auch immer. Manch einer, der eine Kanzlerschaft Merkels nie für möglich hielt, wartet jedenfalls auch in diesem Jahr wieder auf Merkels Untergang, um endlich sagen zu können: Hab ich's doch gleich gewusst.

Die Kanzlerin hat derzeit viele Krisen. Doch Merkel hat gelernt, mit ihnen umzugehen. (Foto: dapd)

Und die Vorzeichen stehen so schlecht nicht. 2011 beginnt mit Problemen in allen Etagen der Relevanz. International schwelt eine Währungskrise mit unabsehbaren möglichen Kosten. National verdirbt ein Dioxin-Skandal den Bürgern den Appetit auf Eier und Schweinefleisch. Und die schwarz-gelben Koalitionäre pflegten wegen einer minimalen Steuersenkung schon wieder wochenlang die Kunst von Beschimpfung und Bedrohung, die längst fester Bestandteil sogenannter bürgerlicher Umgangsformen geworden ist.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer, zu dessen zuvörderst erinnerlichen Eigenschaften Respekt nicht unbedingt gehörte, äußerte zu rot-grünen Zeiten bisweilen ehrliche Achtung vor dem Bundeskanzler. Nicht vor der Person, sondern vor dem Amt und dem dazugehörigen Druck. Hier liefen alle Fäden zusammen, hier liege die ganze Verantwortung, wusste Fischer dem staunenden Normalsterblichen zu berichten. Was unter Gerhard Schröder richtig war, wird heute nicht ganz falsch sein.

Ein einfacher Krach

Insofern sind all die wichtigen und weniger wichtigen derzeitigen Krisen auch Krisen der Kanzlerin. Und die politische Gefahr liegt darin, dass man nie weiß, ob eine miese kleine Koalitionskrise, deren Gegenstand eigentlich drittrangig erscheint, sich nicht ruckzuck zu einem erstklassigen Problem entwickelt.

Je bedeutender eine Krise, desto schwieriger ist nämlich oft ihre Bewältigung zu beurteilen. Wer soll verstehen, warum es nötig sein könnte, einen Rettungsschirm, der schon jetzt die sagenhafte Summe von 750 Milliarden Euro umfasst, noch einmal auszuweiten? Und warum kann es richtig sein, sich auf eine Umschuldung Griechenlands vorzubereiten, wenn schon die Überlegung eigentlich nichts anderes als das Eingeständnis bedeutet, das bisherige Krisenmanagement könne fehlerhaft gewesen sein?

Um wie viel einfacher ist da ein Koalitionskrach zu beurteilen, in dem es um den Arbeitnehmerpauschbetrag geht, den die meisten von ihrer Steuerkarte kennen. Deshalb kann eine Kanzlerin wegen 80 Euro bei der Abzugsfähigkeit ebenso ins Straucheln geraten wie wegen weiterer 80 Milliarden für den Euro.

Gerhard Schröder schätzte die Krise, zumindest dann, wenn sie ihm die Chance zum starken Auftritt gab, zur Demonstration von Tatkraft. Der kurzfristige Eindruck war ihm mindestens genauso bedeutend wie das konkrete Ergebnis. Die Flutkatastrophe 2002 war eine Krise, die es Schröder sogar erlaubte, in Gummistiefeln durch überspültes Gelände zu einer kaum noch für möglich gehaltenen Wiederwahl zu stapfen.

Merkel hingegen geht in der Regel emotionslos an Krisen heran. Wenn nicht Gefahr im Verzug ist, wie seinerzeit in der Finanzkrise, steht die Langsamkeit ihres wahrnehmbaren Krisenmanagements zudem meist im starken Kontrast zur öffentlich erwarteten Geschwindigkeit. Die Kanzlerin, die des Zauderns und Zögerns geziehen wurde, als die Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent einbrach, ist heute allerdings auch die Kanzlerin des Landes, das sich mit am besten von der Wirtschaftskrise erholt hat.

Für sich als Politikerin beurteilt Merkel Krisen weniger nach Chancen als nach Gefahren für ihre Macht. Das hat sie von Helmut Kohl gelernt, dessen berühmtes Aussitzen ja vor allem bedeutete, sich in die Probleme anderer möglichst lange Zeit nicht einzumischen, um selbst keinen Schaden zu nehmen. Zudem dürfte eine Verbraucherschutzministerin wie Ilse Aigner die Kanzlerin dieser Tage gelegentlich an die frühere Umweltministerin Angela Merkel erinnern, die auch die Erfahrung gemacht hat: Was uns nicht stürzt, härtet uns ab.

Merkels Gespür für Autorität

Die Regel des Grundgesetzes, dass Minister ihren Geschäftsbereich in eigener Verantwortung führen, ist für einen Regierungschef ein gutes Versteck. Merkel nutzt das in der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung. Und sie nutzte es im Dioxin-Skandal, ehe sie jüngst die Botschaft durchsickern ließ, dass sie sich telefonisch eingeschaltet habe. Es war der Moment, in dem die Kanzlerin verhindern musste, dass Kritik an einer Ministerin zur Kritik an der Regierung Merkel würde - Prävention in eigener Sache.

In der Abwägung, sich früh und fürs Publikum erkennbar einzubringen, oder aber als führungsschwach zu gelten, nimmt Merkel häufig Letzteres in Kauf. Zugleich hat sie ein gutes Gespür dafür, wann eine Intervention noch als Ausdruck von Autorität zu verkaufen ist. Nur so lässt sich dann, wie im jüngsten Steuerstreit, auch die Frage kaschieren, um was für eine desolate Koalition es sich eigentlich handeln muss, wenn eine solche Lappalie derart eskalieren kann.

© SZ vom 20.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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