Merkels Kanzlerschaft:Die Baustellen bleiben

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Nach 18 Jahren CDU-Vorsitz und 13 Jahren Kanzlerschaft beschäftigt sich die Republik mehr und mehr mit dem möglichen Ende der politischen Karriere von Angela Merkel.

(Foto: Getty Images)
  • In Berlin wird über eine mögliche Nachfolge für Angela Merkel spekuliert.
  • Fraglich ist aber, was ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin überhaupt an der Politik der Bundesregierung verändern könnte
  • Die Spielräume für Veränderung wären in vielen Bereichen nur klein.

Von Stefan Braun, Berlin

Man kann es ahnen und man kann es angesichts abstürzender Umfragewerte auch nachvollziehen: Allmählich denken immer mehr Abgeordnete, Funktionäre, Mitglieder und Wähler der CDU darüber nach, wann Angela Merkel wohl aufhört. Wahrscheinlich wird es schon an diesem Wochenende wieder Spekulationen geben. Denn beim Deutschlandtag der Jungen Union treten gleich mehrere potenzielle Nachfolger der Kanzlerin und CDU-Chefin auf: Jens Spahn, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet.

Die Nachfolge-Debatte ist spannend wegen des damit verbundenen Umbruchs; es ist aufregend, weil sich plötzlich Karrierechancen auftun. Und es belebt die Phantasie, weil plötzlich neue Namen im Spiel sind. Nach 18 Jahren CDU-Vorsitz und 13 Jahren Kanzlerschaft versteht sich von selbst, dass ein mögliches Ende der politischen Karriere von Angela Merkel die Republik beschäftigt.

Dabei gerät eine Frage indes aus dem Blick, und das, obwohl diese Frage genauso spannend, aufregend und Phantasie-belebend sein müsste: Wie geht es danach weiter? Alle großen Baustellen gelöst? Oder bleibt Sisyphos ein ständiger Begleiter?

So verständlich manchem der Wunsch nach einer neuen CDU und Regierungsspitze erscheinen mag, so irrig wäre es zu glauben, dass die Probleme zum Beispiel in der Flüchtlings- in der Außen-, in der Europa- oder auch der Schulpolitik einfach verschwunden wären.

Die Welt im Jahr 2018 ist sehr kompliziert, ganz gleich wer im Kanzleramt sitzt. Umso wichtiger ist es, sich die Möglichkeiten und Grenzen bewusst zu machen. Sonst könnten nach einem Abschied von Angela Merkel große Erwartungen schnell enttäuscht werden.

Die Baustellen in der Flüchtlingspolitik

Das beginnt bei dem Thema, das die Gesellschaft nach Angaben vieler Meinungsforscher am meisten umtreibt: der Flüchtlingspolitik. Wie kaum etwas hat das Thema zur Spaltung beigetragen; gleichzeitig bleiben schnelle Lösungen schwierig und unwahrscheinlich.

Bestes, weil kompliziertestes Beispiel: Abschiebungen. Hier schafft der Staat seit Langem nicht das, was er gerne erreichen würde: Dass alle abgelehnten und darunter vor allem alle straffälligen Bewerber möglichst schnell abgeschoben werden können. In Zahlen ist das Problem erheblich, aber nicht dramatisch. Gefühlt dagegen haben Berichte über besonders gravierende Fälle die Stimmungslage zuletzt massiv verschlechtert.

Lösungen dafür sind kompliziert. Solange es nicht gelingt, entsprechende Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern zu schließen, könnte auch ein neuer Regierungschef nichts Besseres liefern. Er könnte Staaten wie Algerien, Marokko und Tunesien mehr drohen oder sie mehr umschmeicheln. Aber Abkommen sind damit noch nicht geschlossen.

Drohungen wirken zunächst vor allem aggressiv; auch ein armes Tunesien kann sich dann plötzlich stur stellen. Und Schmeicheleien sind hierzulande umstritten - insbesondere im Umgang mit undemokratischen Regimen.

Nicht minder kompliziert ist die mangelnde Loyalität in der Europäischen Union. Auch hier stellt sich schnell die Frage, was möglich sein könnte - und was trotz bester Bemühungen unerreichbar bleibt. Könnte also ein anderer deutscher Kanzler die ablehnende Haltung der Osteuropäer bei der Verteilung oder der Lastenteilung aufbrechen?

Er könnte es mit mehr Verständnis für die Osteuropäer versuchen - was automatisch zu mehr Spannungen mit den Südländern Griechenland, Italien und Spanien führen würde. Er könnte es mit mehr Drohungen versuchen - was die Lage beim stand heute nur noch weiter verhärten würde. Alles nicht so einfach, ganz gleich, wer vorneweg marschiert.

Die Baustellen in der Welt

Nicht besser ist die Lage beim Blick auf die Welt da draußen. Ob es um Wladimir Putin geht oder Donald Trump, um den von vielen Seiten unter Druck geratenen offenen Welthandel, die Ukraine-Krise oder den verheerenden Zustand im Nahen Osten - ein neues Gesicht könnte bei all dem ein bisschen frischen Wind bringen, aber die Welt nicht aus den Angeln heben.

Trefflichstes Beispiel: Wladimir Putin. Ob man den russischen Präsidenten hofiert, wie Donald Trump es zwischenzeitlich tat, oder ob man ihn wie Angela Merkel wachsam beäugt und kritisiert - Putin macht am Ende das, was er für Russland möchte. Er hat sich selten bis nie durch eine besonders freundliche oder unfreundliche Geste beeindrucken lassen. In der Ukraine, in Syrien oder im Umgang mit seinen Hacker-Aktivitäten gegen den Westen hat er am Ende immer weiter das gemacht, was er sich vorgenommen hatte.

Anders, aber nicht besser ist das Bild, wenn man Richtung Washington blickt. Was dort derzeit geschieht, wird sich nicht dadurch verändern lassen, dass in Deutschland der Regierungschef wechselt. Darüber kann man sich lauter echauffieren, man kann sich auch harscher abgrenzen, so wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Welt wird das nicht ändern; allenfalls fühlt man sich bei mehr Abgrenzung vielleicht etwas besser.

Die Baustellen hierzulande

Bleibt die Frage, wie groß die Baustellen hierzulande sind und wo es Spielräume geben könnte. Allerdings gibt es auch hier Begrenzungen; das zeigen die großen Themen wie Pflege und Digitalisierung, in die sich die aktuelle Regierung endlich einigermaßen angemessen und mit großem Geldaufwand gestürzt hat. Hier gibt es kaum Möglichkeiten, alles gleich wieder anders zu machen. Zu groß ist der Bedarf, und zu groß ist der Druck, endlich zu handeln.

Nicht besser ist es, wenn man sich noch einmal die Weiterungen aus der Flüchtlingskrise anschaut. Zwei Themen spielen hier eine besondere Rolle: Das Gefühl, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe. Und die Kritik, dass für die Flüchtlinge zu viel getan werde.

Sieht man sich die Statistik an, dann ist die Sicherheitslage nicht schlechter geworden. Im Gegenteil, die Daten zeigen eine Verbesserung. Aber fürs Gefühl jedes Einzelnen hilft das wenig. Wenn Eltern immer häufiger darüber nachdenken, ob sie ihre Töchter abends noch alleine ausgehen lassen, dann trifft Bauchgefühl auf Verstand - und der Bauch ist stärker.

Um dies zu bekämpfen, müsste vor allem die Polizeipräsenz erhöht werden. Allerdings berührt das genau den Bereich, über den der Bund nicht entscheidet. Dort, wo es wirklich um viele Polizeistellen geht, hat die Kanzlerin (oder ihr Nachfolger) nicht viel zu sagen. Sie sind fast ausschließlich Sache der Länder.

Nicht anders sieht es aus beim Vorwurf, für die Flüchtlinge habe man riesig viel Geld zur Verfügung, aber nicht für die Schwächeren in der eigenen Gesellschaft. Tatsächlich hat der Bund viele Milliarden an Hilfen zur Verfügung gestellt, aber das ist anders als gerne behauptet nicht der Grund dafür, dass der Hartz IV-Satz nicht höher liegt, dass Kommunen arm sind oder gar pleite, dass Freibäder, Theater, Museen geschlossen wurden. Die Kürzungen in diesen Bereichen sind viel älter und aus ganz anderen Motiven geschehen.

Veränderung ist nicht einfach - aber möglich

Gleichwohl heißt das nicht, dass nichts möglich wäre. Natürlich lassen sich im Haushalt andere Schwerpunkte setzen. Das ist am ehesten der Spielraum, der einem Regierungschef zur Verfügung steht. Mit einem freilich kann man selbst in einer für die CDU schönsten aller Welten nicht rechnen: dass sie nach einer erneuten Wahl plötzlich mit absoluter Mehrheit regieren könnte.

Es spricht wenig dafür, dass der Zwang zu Koalitionsbildungen kleiner werden könnte. Und das wird automatisch den Spielraum verkleinern.

Das alles heißt nicht, dass ein Wechsel nicht kommt oder nicht kommen sollte. Die CDU wird bei der Suche nach einer neuen Welt nur wissen müssen, dass selbst im Moment des großen Neuanfangs die Möglichkeiten für Neues begrenzt bleiben.

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